Eva-Marie Distler: Städtebünde im deutschen Spätmittelalter. Eine rechtshistorische Untersuchung zu Begriff, Verfassung und Funktion (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; Bd. 207), Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2006, IX + 271 S., ISBN 978-3-465-04001-9, EUR 49,00
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Aus der Sicht eines Historikers versucht die Arbeit einen großen Wurf: eine vergleichende Untersuchung der deutschen Städtebünde nach dem Ende der staufischen Herrschaft. Das wäre in einer schlanken Arbeit von weniger als dreihundert Seiten kaum zu leisten, und das ist auch nicht das Ziel der Autorin. Ihr Interesse richtet sich "vielmehr auf die Erkenntnis der tragenden Rechtsprinzipien". Im Mittelpunkt stehen dabei die rheinischen, schwäbischen, elsässischen und sächsischen Städteverbindungen, die sich durch eine gewisse Gemeinsamkeit urbaner Strukturen auszeichnen. Einen Referenzpunkt bietet dabei immer wieder der Rheinische Städtebund von 1254-1256, der nach dem Ende der staufischen Herrschaft erstmals einen weitgreifenden und komplexen Zusammenschluß deutscher Städte bot. Weil der Rheinische Städtebund nach dem Urteil informierter Zeitgenossen ein Bündnis nach dem Vorbild lombardischer Städte gewesen sei (more lombardicarum civitatum), nimmt die Autorin ihren Einstieg über den lombardischen Städtebund, der Friedrich Barbarossa im Konstanzer Frieden von 1183 die Anerkennung als eigenständiges Rechtssubjekt abgerungen hatte. Dabei ist überraschend, dass die Verfasserin die Möglichkeit nicht in Betracht zieht, dass das Vorbild von 1254 auch in dem zweiten lombardischen Städtebund von 1226 bestehen könnte, der Friedrich II. widerstand. Allerdings fragt die Autorin nach den Prinzipien, und die wurden im Frieden von Konstanz formuliert.
Eva-Marie Distler unterscheidet zwischen umfassenden Städtebünde mit einem hohen Organisationsgrad und bedeutender Macht und Städteverträgen, wie Justizverträgen und Handels- oder Wirtschaftsabkommen. Die Schweizer Eidgenossenschaft und die Hanse versteht sie in diesem Sinne nicht als Städtebünde. Ein Städtebund zeichnete sich dadurch aus, dass er auf dem Weg der Vergemeinschaftung über seine Institutionen zu einem eigenständigen Rechtswesen wurde. Diesen Vorgang erkennt die Verfasserin auch in der Sprache der Urkunden, die für die Städtebünde Begriffe wie "coniuratio" oder "coniunctio" verwendete, die üblicherweise zur Beschreibung kommunaler Phänomene verwendet wurden. Die unterschiedlichen Regionen des Reiches mit unterschiedlicher städtischer Tradition brachten zwei Grundtypen von Städtebünden hervor. Während der königsnahe Süden eher Bündnisse von Reichsstädten hervorbrachte, waren in den Bündnissen des Nordens in der Mehrzahl auch adlige Mitglieder vertreten.
Die Arbeit ist in drei großen Schritten aufgebaut: Auf eine eingehende Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur und auf eine knappe Phänomenbeschreibung in einem kurzen Überblick folgt in einem zweiten Teil die Auseinandersetzung mit der Begriffsbildung in den Quellen und in der Forschungsliteratur, bevor die Verfasserin in einem dritten Teil eine abstraktere Analyse der Institutionen, des Selbstverständnisses und der Ziele unternimmt. Die Verfasserin bemüht sich um Quellennähe, muss aber gleichzeitig den prinzipiellen Charakter ihres Untersuchungsinteresses im Blick behalten. Diese Verbindung gelingt unterschiedlich gut. So quellennah ihre Arbeit ist, so ist der Bestand der Urkunden, den sie für ihre Argumentation heranzieht, aus der Perspektive historischer Arbeit in manchen Fällen überschaubar, und die Literatur, die sie verwendet, stammt in verschiedenen Teilkapiteln aus einer schon älteren Zeit. Das beeinträchtigt die Analyse mitunter. Wenn die Verfasserin bei der Untersuchung der städtebündischen Institutionen die Einführung des Majoritätsprinzips auf das pragmatische Interesse zurückführt, klare Entscheidungen zu erlangen, so müßte man schon die Frage nach den vielfältigen Widerständen gegen diesen Weg erörtern. Die Frage des Majoritätsprinzips war nicht nur eine technische, sie war auch eine immens politische Frage. Die Bereitschaft zu so weit gehender Einbindung in die Bündnisstruktur war nicht sehr häufig. Es gelingt der Autorin nicht immer, die schwierige Balance von Quellenanalyse, Forschungsüberblick und Abstraktion in Hinblick auf die tragenden Rechtsprinzipien zu wahren. Bei dem wiederholt herangezogenen Beispiel des Rheinischen Städtebundes, den sie in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisiert, gibt es sehr klare und überzeugende Passagen, aber es gibt auch den Rückschritt auf die Ebene der älteren Literatur, die eher dem 19. Jahrhundert als dem 21. Jahrhundert entstammt. Die Analyse der Schiedsgerichtsbarkeit des Rheinischen Städtebundes ist vielleicht nicht mehr so neu, wie Frau Distler annimmt. Dem Friedensschutz widmet die Verfasserin gegen Ende ihrer Untersuchung besondere Aufmerksamkeit, wobei sie auch die herrschaftsstabilisierende Wirkung der Städtebünde zugunsten der Ratsherrschaft in den einzelnen Städten herausarbeitet. Insofern wirkten die Städtebünde als ein bedeutendes Instrument zur Stärkung und Erhaltung des politischen Anspruchs der Stadtgemeinde in der europäischen Verfassungstradition.
Der positive Eindruck der Klarheit und des weiten Zugriffs ist nicht ganz ungetrübt, weil die Ergebnisse der neueren Forschung mitunter hinter die Klassiker der Rechtsgeschichte zurücktreten. Hier wäre wohl noch ein etwas konzentrierterer Zugriff möglich gewesen. Die Klarheit der Argumentation und der Versuch eines breit angelegten Gesamtbildes der Städtebünde im späten Mittelalter ist dagegen sehr anregend.
Martin Kaufhold