René Hanke: Brühl und das Renversement des alliances. Die antipreußische Außenpolitik des Dresdener Hofes 1744-1756 (= Historia profana et ecclesiastica. Geschichte und Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Moderne; Bd. 15), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, XI + 383 S., ISBN 978-3-8258-9455-9, EUR 39,90
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Stellungnahme von René Hanke mit einer Replik von Frank Göse
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Das nicht nur historisch motivierte Interesse am Entstehen von Kriegen erscheint ungebrochen und - wen wundert es - allgegenwärtig. Auch die Literatur über die Vorgeschichte des Siebenjährigen Krieges füllt schon ganze Bibliotheken, dennoch fordern Desiderata immer wieder erneut zur Beschäftigung mit diesem Thema heraus. Die Aufmerksamkeit ist solchen Studien gewiss, wenn sie neue Interpretationen anbieten und zudem bislang weitgehend unerschlossenes Archivmaterial erschließen. Beide Vorzüge, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung, enthält die vorliegende, aus einer in Köln vorgelegten Dissertation hervorgehende Studie aus der Feder von Renè Hanke. Sie untersucht die Vorgeschichte des Siebenjährigen Krieges aus der Perspektive der sächsischen Politik und möchte dabei den Nachweis antreten, dass Brühl als der eigentliche Urheber der "diplomatischen Revolution" von 1756 anzusehen ist. Das Buch versteht sich zugleich als Fallstudie "für die außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten [...], welche einem Staat mittlerer Größe unter den damaligen mächtepolitischen Verhältnissen zur Verfügung standen". (2) Angesichts der lange Zeit wahrzunehmenden Fokussierung der Forschung zur Geschichte der europäischen Mächtepolitik des Ancien Régime auf die großen, gleichsam "geschichtsmächtigen" Staaten ist es zu begrüßen, dass sich in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit auch auf die Staatswesen der "zweiten Reihe" zu richten beginnt.
Das Buch ist stringent chronologisch aufgebaut. Nach einer knappen, aber perspektivenreichen Einführung in die Rahmenbedingungen sächsischer Außenpolitik und der "Vorgeschichte" des Untersuchungszeitraumes setzt die eigentliche Darstellung in der letzten Phase des Zweiten Schlesischen Krieges ein. Es war vor allem das Schockerlebnis der militärischen und politischen Niederlage von 1745, die den verantwortlichen Entscheidungsträger der sächsischen Außenpolitik, Heinrich Graf Brühl, zu weit ausgreifenden diplomatischen Planspielen veranlasst hat. Zu Recht weist der Autor mehrfach in seinen Darlegungen auf die Bedeutung der sächsisch-polnischen Union hin, deren politische Interessen und geostrategische Position Dresden immer stärker in den Gegensatz zur Hohenzollernmonarchie getrieben hat.
Das Interesse Sachsens an der österreichisch-französischen Annäherung, aber auch das Bemühen um eine engere Verbindung mit Russland, das Hanke nun sehr ausführlich im Hauptteil seiner Untersuchung beschreibt, erscheint vor dem Hintergrund der Ergebnisse der ersten beiden Schlesischen Kriege nur plausibel. Dass Brühl schon relativ zeitig auf eine solche Konstellation hingearbeitet hatte, war allerdings auch schon der älteren Forschung bekannt. Zudem bringt der Autor im Verlauf seiner Darstellung auch selbst immer wieder Belege für entsprechende diplomatische Aktivitäten, die neben Brühls Vorstößen die europäischen Kabinette beschäftigten. Ähnlich wie die Bestrebungen des sächsischen Premierministers richteten sich diese Konzepte zunächst darauf, einen Bruch zwischen Frankreich und Preußen herbeizuführen.
Einen großen Raum nimmt in der Untersuchung die Kritik an der bisherigen Forschung ein, was mitunter zu einem beträchtlichen Anschwellen des Anmerkungsapparates führt. Mitunter hätte einigen, sehr ausführlich ausgefallenen Passagen eine gewisse Straffung im Sinne des in der Studie zu verfolgenden "roten Fadens" gut getan. Dem ungeachtet handelt es sich aber um die bislang wohl gründlichste Darstellung der Geschichte der sächsischen Außenpolitik jener Zeit, die uns tiefere Einblicke in das Prozedere des diplomatischen Geschäfts, aber auch Erhellendes über die handelnden Akteure bietet.
Doch trotz dieses Erkenntnisgewinns wird wohl nicht jeder Leser von der vom Autor vertretenen Hauptthese, wonach man Brühl den Hauptteil am Renversement des alliances zuerkennen sollte, völlig überzeugt sein. Wenn man die Bemühungen des österreichischen Staatskanzlers Kaunitz mit denen des sächsischen Premierministers vergleicht, dann wird man - auch im Lichte der von Hanke unterbreiteten Quellen - kaum der Auffassung beipflichten können, dass es in erster Linie Brühls Aktivitäten waren, die die entscheidenden Weichenstellungen in der europäischen Mächtepolitik herbeigeführt hatten. Sicher waren Brühl und seine Emissäre unermüdlich tätig, um sich eröffnende diplomatische Chancen im Sinne der eigenen außenpolitischen Konzeption zu nutzen (z.B. die Vorbereitungen des englisch-russischen Subsidienvertrages von 1755). Doch sprang man nicht oftmals schon auf einen "fahrenden Zug" auf? Hanke vertritt ja selbst die Auffassung, dass sich Kursachsen, als es zur "heißen Phase" des Renversement des alliances kam, bereits im diplomatischen Abseits befunden hatte und die antipreußische Koalition "ohne Zutun und Wissen" (305) Brühls zustande gekommen war. Die Alternative, ob nun Brühl oder Kaunitz zuerst die Idee für die gravierende Veränderung des europäischen Mächtetheaters entwickelt hatten, erscheint sekundär vor der Frage, wer nun tatsächlich das "Renversement" praktisch umsetzen konnte. Zudem zeigt ein Blick in die Diplomatiegeschichte vor 1740, dass es durchaus schon in der europäischen Mächtepolitik nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges Ansätze zur Überwindung des habsburgisch-bourbonischen Gegensatzes gegeben hatte.
Fazit: Eine fleißige und akribische Arbeit, die uns die sächsische Außenpolitik der "Zwischenkriegszeit", ihren Handlungsspielraum, die konzeptionellen Ansätze und ihre Akteure - sehr zu begrüßen ist z.B. das Bemühen Hankes um eine ausgewogene Bewertung des sächsischen Premierministers, dessen gegenwärtige Beurteilung ja immer noch zwischen Verdammung und einer zu positiven Sichtweise schwankt - eingehend vorführt und viele, über die ältere Forschung hinausgehende Einsichten beschert. Dazu trägt nicht zuletzt die breite Quellengrundlage bei. So verwertet der Autor ausgiebig die im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden aufbewahrten Gesandtenberichte aus bzw. nach Wien, Versailles und St. Petersburg. Warum die durchaus für das Thema ergiebigen preußischen (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem) und österreichischen (Österreichisches Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien) Quellenbestände - zumindest fallweise - nicht hinzugezogen worden sind, erscheint allerdings nicht ganz nachvollziehbar. Man legt das Buch trotz seiner unbestreitbaren Vorzüge mit Blick auf die dort vom Autor mit Verve vertretene Hauptthese am Ende der Lektüre nicht ganz befriedigt zur Seite, obwohl R. Hanke viel Überzeugungskraft dafür aufgewandt hat.
Frank Göse