Hans-Jürgen Bömelburg (Hg.): Polen in der europäischen Geschichte. Band 2: Frühe Neuzeit. 16. bis 18. Jahrhundert, Stuttgart: Anton Hiersemann 2017, VIII + 924 S., 7 Kt., ISBN 978-3-7772-1710-9, EUR 364,00
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Wenn über die Rolle Polens in der frühneuzeitlichen europäischen Geschichte gehandelt wird, stellt das Verhältnis zu seinem Nachbarn Brandenburg-Preußen ohne Frage einen hoch bedeutsamen Aspekt dar. Aus dieser Perspektive soll der vorliegende Band besprochen werden, sodass allgemeine Erörterungen über die Grundkonzeption und Anlage des Bandes eher im Hintergrund bleiben werden.
Folgt man den seinerzeit von Klaus Zernack vorgegebenen Zäsuren der Beziehungsgeschichte zwischen Polen-Litauen und der Hohenzollernmonarchie, die ja seit Langem einen festen Platz in der Geschichtsschreibung einnimmt, bildet die erste Hälfte der in diesem Band behandelten frühneuzeitlichen Geschichte eine vergleichsweise "normale Epoche, in der sich diese Beziehung nicht nennenswert von anderen Beziehungsgeschichten unterschieden hatte". [1] Spätestens aber mit der sogenannten "osteuropäischen Krise" 1648, der zweiten sogenannten Binnenzäsur in der frühneuzeitlichen Epoche der Geschichte Polens, sollte das Verhältnis zu Brandenburg-Preußen dann eine herausgehobene Bedeutung gewinnen, zunächst eher unterschwellig im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem alten Rivalen im Kampf um das Dominium Maris Baltici, Schweden, spätestens aber seit dem Schwedisch-Polnischen Krieg (dem "Zweiten Nordischen Krieg") dann offensichtlich und massiv. Der Aufstieg der Hohenzollernmonarchie verlief - in groben Strukturen betrachtet - fast zeitgleich zur Geschichte des staatlichen Niedergangs der Rzeczpospolita Polska, der ja partiell auch mit einem wirtschaftlichen Abstieg einherging. Dieser Prozess könnte also mithin auch als eine Parallelgeschichte beider Staatswesen erzählt werden, die aus vergleichender verfassungsgeschichtlicher Perspektive dem Typus der "composite monarchy" zugeordnet werden können. In jener Zeit wurde die polnisch-litauische Politik zunehmend "beeinflusst [...] vom Brandenburg-Preußen der Hohenzollern" (397). Mit den Verträgen von Wehlau, Bromberg und Oliva begann jene - letztlich irreversibel werdende - Wende in den Beziehungen zwischen beiden Staatsgebilden. Gegenseitige Beeinflussungen waren an der Tagesordnung und intensivierten sich auf vielen Feldern. So zog sich zum Beispiel von den Versuchen des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, die antikönigliche Opposition innerhalb der polnisch-litauischen Eliten zu stärken, eine lange Kontinuitätslinie bis hin zu den subtilen Bemühungen Preußens in der friderizianischen Zeit, eine "preußische Partei" innerhalb der polnischen Eliten zu etablieren und am Leben zu erhalten. Polen-Litauen nahm also auch innerhalb der Planspiele der Berliner Außenpolitik stets einen hohen Rang ein. Vor diesem Hintergrund erschien es somit nicht allzu verwunderlich, dass Kurbrandenburg während der gesamten Regierungszeit des Großen Kurfürsten rund 85 außerordentliche Gesandtschaften nach Polen geschickt hatte.
Die Konturen der diplomatischen Beziehungen und die Einbindung des polnisch-preußischen Verhältnisses in die europäische Mächtepolitik werden in verschiedenen Teilen des Handbuches kompetent und auf neuestem Forschungsstand beruhend nachgezeichnet. Zwar gibt es keine spezifischen Kapitel, die sich ausschließlich den zwischenstaatlichen Beziehungen zuwenden. Vielmehr wird diese Thematik in den relevanten Passagen, etwa zum "Zweiten Nordischen Krieg" (349-368), zur Rolle Polen-Litauens "in der europäischen Mächtepolitik von der Endphase des Großen Nordischen Krieges bis zur letzten Königswahl" (443-463) oder zur "Erste(n) Teilung Polens und ihre(n) Folgen" (513-528) angerissen. Dies erweist sich insofern als vorteilhaft, weil damit stets die komplexen Zusammenhänge im Blick bleiben und man nicht der Versuchung unterliegt, das polnisch-preußische Verhältnis in quasi fatalistischer Weise monokausal zu deuten.
Die Konzeption des vorliegenden Handbuches zeichnet sich zudem dadurch aus, dass hier über die in älteren Darstellungen im Vordergrund stehenden, eher politikgeschichtlichen Bezüge hinaus den vielfältigen Berührungspunkten zwischen den Staaten und eben auch zwischen den Gesellschaften nachgegangen wird. Auch in den sich der Wirtschafts-, Sozial-, Geistes-, Konfessions- und Sprachgeschichte zuwendenden Abschnitten wird das ambivalente Verhältnis zum westlichen Nachbarn berücksichtigt. Dazu zählen im Einzelnen insbesondere die regionalen und konfessionellen Identitäten in verschiedenen Teilen der Rzeczpospolita Polska (vor allem die Verhältnisse im Königlichen Preußen erweisen sich hier als aufschlussreich). Hervorhebenswert erscheint unter komparativem Aspekt auch die Einbindung der polnisch-litauischen ländlichen Gesellschaft(en) in das System der Gutsherrschaft. Hier werden die von der jüngeren agrarhistorischen Forschung vorgelegten Ergebnisse über eine wesentlich größere regionale Differenzierung des früher als viel zu homogen gezeichneten Bildes der sogenannten "ostelbischen Gutsherrschaft" in der ganzen Variationsbreite der Teillandschaften der polnisch-litauischen Monarchie vorgeführt (v.a. 291-301).
Es zeichnet die Anlage des Bandes ferner aus, dass bewährte konventionelle Fragestellungen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte ebenso ihre Berücksichtigung finden wie neue Teildisziplinen mit ihren innovativen methodischen Ansätzen. Lesenswert erscheinen aus dieser Perspektive zum Beispiel die Passagen über "Gesellschaft und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert" (649-675) oder über "konfessionelle Sondergruppen" (736-739) mit wichtigen Bezügen für die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkennbaren Stereotypenbildungen - gerade auch bezogen auf das polnisch-preußische Verhältnis. Vor allem die konfessionellen Entwicklungen beförderten im Verlauf des 17. Jahrhunderts entsprechende Polarisierungen bis hin zu solchen weit über die polnische Öffentlichkeit hinaus reflektierten Zuspitzungen wie im Zusammenhang des "Thorner Tumults" im Jahr 1724. Diskussionswürdig erscheint dabei freilich die These, dass die zunehmende religiöse Intoleranz in der polnischen Gesellschaft primär von den nichtkatholischen Teilungsmächten befördert worden sei.
Diese im Band verfolgten Ansätze bedeuten auch einen beträchtlichen Gewinn für die Analyse des Verhältnisses zu Brandenburg-Preußen. Insbesondere wird dies noch einmal in dem von Hans-Jürgen Bömelburg verfassten Abschnitt über den Weg Polens in die "Rückständigkeit" deutlich (817-829). Sehr abwägend analysiert der Autor hier die großen Linien der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Polens und plädiert für eine wesentlich differenziertere Sicht auf die vermeintliche "Rückständigkeit". Auch hier bieten sich im Übrigen erstaunliche Parallelen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte an, da diese - in quasi umgekehrter Weise - im Rahmen der bekannten "Sonderweg"-These häufig zu stark auf ihre vermeintlichen Vorsprünge hin interpretiert wird, während die zeitlich und sektoral unterschiedlich verlaufenden Prozesse mitunter zu wenig Beachtung finden.
Es ist dem konzeptionellen Ansatz des Gesamtwerkes, also einschließlich der anderen Bände des Handbuches, geschuldet, dass stets die "großen Linien" im Blick behalten werden sollten. Deshalb wird man nicht erwarten dürfen, dass die polnisch-preußische Beziehungsgeschichte ein zu starkes Übergewicht erhielt. So fehlt etwa im ersten Teil [A], der allgemeine Forschungstendenzen der polnischen Frühneuzeit-Historiografie referiert, die polnisch-preußische Beziehungsgeschichte als eigenständiges Thema. Andererseits ermöglicht aber diese konzeptionelle Anlage, dass die an der polnisch-preußischen Beziehungsgeschichte interessierten Leser die diesem Thema gewidmeten Aussagen, etwa zu den Religionsverhältnissen, den wirtschaftlichen Entwicklungen oder zu den sprachlichen Sondergruppen in den Gesamttext einzubinden vermögen. Dass unter den Autoren dieses Handbuches mit Michael G. Müller, Hans-Jürgen Bömelburg, Boguslaw Dybas u.a. eine Reihe von einschlägig ausgewiesenen Spezialisten zu finden ist, bietet die Gewähr, dass auch die Beziehungsgeschichte in vorzüglicher Weise behandelt wird. Nicht genug hervorzuheben ist die Tatsache, dass in diesem in deutscher Sprache vorliegenden Gemeinschaftswerk der polnischen und deutschen Geschichtswissenschaft sowohl die polnische als auch die deutsche Forschungsliteratur in repräsentativer Breite und auf neuestem Stand Eingang gefunden hat. Als einziger Kritikpunkt bleibt vielleicht nur das Fehlen eines Quellen- und Literaturverzeichnisses zu monieren, was aber sicher auf die Konzeption des auf vier Bände angelegten Gesamtwerkes zurückzuführen ist. Als sehr hilfreich erweisen sich hingegen die dankenswerterweise in den Anhang aufgenommenen informativen Karten.
Rundum handelt es sich also bei diesem Handbuch um eine bemerkenswerte Leistung, die ohne Einschränkung als "großer Wurf" charakterisiert werden kann. Ungeachtet der verschiedenen Schreibstile und spezifischen Interessen der Einzelautoren ist es den Herausgebern gelungen, ein Werk gewissermaßen "aus einem Guss" vorzulegen. Dieses Handbuch wird sich zweifellos als Standardwerk in der Scientific Community behaupten!
Anmerkung:
[1] Klaus Zernack: Polen und die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701-1871. Zur Einführung, in: Ders. (Hg.): Polen und die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701-1871, Berlin 1982, 1-3, hier 2.
Frank Göse