Jan Brademann: Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Studien zur Landesgeschichte; Bd. 14), Halle/Saale: mdv Mitteldeutscher Verlag 2005, 176 S., ISBN 978-3-89812-270-2, EUR 22,00
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In der historischen Forschung ist es üblich geworden, vormoderne bzw. vorkonstitutionelle Verfassungsverhältnisse weniger in Urkunden als in der Praxis zu suchen. Damit sind bestimmte Akte gemeint, durch die die Macht- und Herrschaftsverhältnisse symbolisch-expressiv offengelegt, darauf hin entweder bestätigt oder auch in Frage gestellt und neu ausgehandelt wurden. Dies war etwa der Fall, wenn ein neuer Herrscher - gleich ob durch Wahl oder Erbfolge - in sein Amt gelangte und die Untertanen zur Huldigung auf der Basis eines Eides aufgefordert wurden. Dass dabei nicht einfach nur bestehende Herrschaftsverhältnisse fortgeführt wurden, sondern Ideale wechselseitiger Verpflichtung gerade auch seitens der Untertanen eingefordert wurden, haben zahlreiche Studien in der Nachfolge André Holensteins gezeigt. Besonders spannend wurde es allerdings dann, wenn die Herrschaftsverhältnisse latent oder offen umstritten waren. Dies war der Fall bei den meisten Bischofsstädten des Alten Reiches, die seit dem späten Mittelalter darauf bedacht waren, gegenüber ihrem Bischof ein Mindestmaß an Autonomie oder sogar völlige Autarkie zu demonstrieren. In beiden Fällen bildeten die Huldigung und ihre Rituale einen zentralen Prüfstein für die herrschenden Kräfteverhältnisse und waren daher von besonderer Signifikanz für die jeweilige Stadt, ihr Selbstverständnis und ihre Positionierung gegenüber dem Bischof.
Jan Brademann hat nun mit seiner kurzen, aus einer Magisterarbeit hervorgegangenen Studie aufschlussreiche Erkenntnisse über Formen und Funktionen der Huldigungsrituale am Beispiel von Halle an der Saale vorgelegt und damit wichtige Ergänzungen zu Forschungen mit ähnlicher Fragestellung über rheinische und süddeutsche Bischofsstädte geleistet. Dabei geht Brademann nach der Verortung seiner Studie im Kontext der neueren Huldigungsforschung, der ritualorientierten Kulturgeschichte und der landesgeschichtlichen Forschung zunächst der Entstehung der Huldigung im Kontext spätmittelalterlicher Konflikte um städtische Autonomie und bischöfliche Herrschaftsansprüche nach. Das Hallenser Beispiel, so wird deutlich, bildete dabei keine Ausnahme, sondern wies Strukturen auf, wie sie auch bei zahlreichen anderen städtisch-bischöflichen Konflikten erkennbar sind. In Halle wie auch anderswo bildeten die Huldigungsrituale zudem kein unabänderliches Zeremoniell, sondern zeigten sich als flexibel und damit als Abbild der wechselnden Kräfteverhältnisse.
Dieser rituellen Flexibilität im Spannungsverhältnis zwischen der Stadt und ihren Erzbischöfen im Wandel der Zeit geht Brademann im dritten Kapitel nach, und zwar in fünf Detailstudien. Dicht beschrieben werden Einzüge und Huldigungen zwischen 1446 und 1681. Deutlich wird, wie im Ritual zunächst vor allem um städtische Autonomie- und bischöfliche Herrschaftsansprüche gerungen wurde. Bei den Huldigungen in den Jahren 1546 und 1547 zeigen sich dann die Folgen der Säkularisierung überkommener Rituale im Zeitalter der Reformation. Die Beseitigung beispielsweise der Heiligenanrufung stieß allerdings 1546 noch auf den Widerwillen des letzten (katholischen) Erzbischofs Johann Albrecht. Nach dessen Abdankung ein Jahr später aber avancierte die bewusste Fortlassung von Symbolen und Ritualen des alten Glaubens zur demonstrativen Inszenierung des lutherischen Bekenntnisses in der vorübergehend kursächsisch gewordenen Stadt. Die letzte untersuchte Huldigung von 1681 deutet Brademann schließlich als symbolische Integration Halles in den kurbrandenburgischen Fürstenstaat.
Im vierten Kapitel werden verschiedene konstitutive Elemente des Huldigungsrituals im Wandel der Zeit genauer unter die Lupe genommen. Bei den hier aufgegriffenen Aspekten handelt es sich vor allem um das Phänomen der Wechselseitigkeit, religiöse Elemente, profane Repräsentationsformen, die Symbolik des Mahls und Geschenke als Konsensfassaden. Erhellend sind dabei auch die Ausführungen über das Verhältnis von städtischer Sozialstruktur und Huldigungszeremoniell, das in der Lage war, gesellschaftlichen Statusveränderungen Rechnung zu tragen. Das fünfte Kapitel schlägt dann noch einmal eine analytische Schneise durch die Ergebnisse, die nicht nur einfach zusammengefasst, sondern mit Blick auf die eingangs formulierten Fragen auf den Punkt gebracht werden.
Das letzte Kapitel macht zudem deutlich, dass die eigentliche Herausforderung für eine Untersuchung städtisch-fürstlicher Kommunikationsrituale im Wandel von Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit in deren Spätzeit liegt. Auch Brademann stellt sich immer wieder die Frage, wie die scheinbare Monopolisierung der Rituale beim Einzug des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg 1681 zu bewerten sei: Als demonstrativer Sieg des Fürstenstaates über kommunale Mitbestimmungsansprüche und symbolische Absage an herkömmliches Vertragsdenken, Verfall und "Verhöfischung" (106) mittelalterlicher Rechtsrituale oder aber als Mittel zur Evozierung von Konsensfiktionen, auf die vermeintlich absolute Herrscher ebenso angewiesen waren wie ihre erzbischöflichen Vorgänger zuvor? Wenn die kurbrandenburgische Herrschaft über Halle auch im Ritual nicht mehr ausgehandelt wurde wie bei den Huldigungen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, so wird doch deutlich, dass sie trotzdem immer noch eigens vermittelt werden musste. Von einer Herrschaftspraxis auf der Basis von Befehl und Gehorsam war man noch weit entfernt.
Hinzu kam, dass die barocke Variante des Huldigungszeremoniells ganz neue Bedeutungsebenen aufwies: Zum einen richtete sich das Geschehen - wie andere höfische Akte auch - an eine überterritoriale Fürsten- und Adelsgesellschaft, zum anderen partizipierten und profitierten die Hallenser Bürger auf andere Weise an diesem Ritual als in den früheren Jahrhunderten: Sie betrachteten das Huldigungszeremoniell als einen Kreislauf des symbolischen Kapitals, bei dem sich ihre Investitionen in Form aktiver Mitwirkung an den Ehrenbezeugungen für den Kurfürsten am Ende auch für sie selbst auszahlten, indem der neue Herrscher ihre Bemühungen im Wortsinn honorierte. Diese Rationalität bzw. "Ökonomie der Ehre" (Andreas Pečar) hatte nichts mit dem Ausverkauf republikanischer Werte zu tun, sondern folgte einer bei Hof und in der Stadt weitgehend identischen sozialen Logik der barocken Ständegesellschaft.
Dieser Wandel der zeremoniellen Semantik und der Gesellschaft im Verlauf von immerhin mehr als 200 Jahren hätte durchaus noch etwas genauer untersucht werden können. Manche Formulierungen wie "prunkverliebte Herrscher der Frühen Neuzeit" (103) oder die Vermutung, dass das Zeremoniell vom Fürsten gegenüber den primär sinnlich strukturierten Untertanen als Herrschaftstrick eingesetzt wurde (ebd.), erwecken bisweilen den Eindruck, dass Adventus und Huldigung zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit eine Verfallsgeschichte darstellen. An anderer Stelle hätte man sich gewünscht, dass der Autor sein in der Einleitung skizziertes Vorhaben, genauer zwischen "Schein und Sein", zwischen dem "öffentlich mitgetragene(n) Ritual und (den) tatsächliche(n) (Macht-)Verhältnisse(n)" zu unterscheiden (22), auch eingelöst hätte. Implizit werden mit dem Fehlen diesbezüglicher Antworten wohl die Schwierigkeiten zugegeben, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man zwischen angeblich 'eigentlicher Macht' und 'bloßer Inszenierung' trennen möchte. Das ändert aber nichts daran, dass Brademann eine gelungene Studie über die Funktion symbolischer Kommunikation in der Politik vorgelegt hat, die das Grundproblem einer vormodernen Verfassung in actu (André Holenstein) überaus anschaulich darstellt.
André Krischer