Jürgen Mittag / Wolfgang Wessels (Hgg.): "Der kölsche Europäer". Friedrich Carl von Oppenheim und die europäische Einigung, Münster: Aschendorff 2005, 544 S., ISBN 978-3-402-00404-3, EUR 39,80
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Biografien über deutsche Bankiers sind im Augenblick in Mode. Im vierteljährlichen Rhythmus erscheinen momentan Studien sowohl über das Führungspersonal der deutschen Großbanken als auch über prominente Privatbankiers. Lange Zeit von der Forschung vernachlässigt hat die Wirtschafts- und Sozialgeschichte den Sozialtypus des Bankiers als lohnendes Forschungsobjekt entdeckt. Der vorliegende Sammelband von Jürgen Mittag und Wolfgang Wessels entspricht einerseits diesem neuen Trend, weicht andererseits von den augenblicklich veröffentlichten biografischen Studien zu deutschen Bankiers ab. Das vorliegende Buch behandelt mit Friedrich Carl von Oppenheim zwar ein prominentes Mitglied des bedeutenden Kölner Bankhauses, jedoch keinen herausragenden Exponenten für das fein ziselierte Geschäft des Privatbankiers, sondern einen Vertreter des Bankierstandes, dessen bleibende Verdienste eher im Bereich der Politik anzusiedeln sind.
Außer der Einleitung behandeln insgesamt sechs Beiträge von unterschiedlicher Länge das Leben und Wirken Friedrich Carl von Oppenheims. Im Zentrum aller Beiträge stehen dabei seine Arbeit und seine zahlreichen Funktionen in der Kölner und in der deutschen Europa-Union (dem Zusammenschluss der christlich-demokratischen Parteien auf europäischer Ebene), weniger seine Tätigkeit als Bankier in seinem renommierten Kölner Bankhaus. In seiner ausführlichen biografischen Darstellung zur Person Oppenheims begründet Jürgen Mittag diese Schwerpunktsetzung wohl zurecht damit, dass dieser das operative Tagesgeschäft ohnehin lieber seinem Bruder Waldemar überließ und sich selbst eher in der Rolle eines Netzwerkspezialisten, "Kommunikators" und politisch handelnden Bankiers vor allem in der Kölner Gesellschaft sah. Dabei lag Oppenheim vor allem das Projekt der europäischen Einigung am Herzen, wie nicht nur Jürgen Mittag, sondern auch die Autoren der anderen Beiträge betonen. Oppenheim engagierte sich zunächst in der Europa-Union auf lokaler und regionaler Ebene, bevor er in das Führungsgremium dieser europapolitischen Vereinigung in Deutschland aufrückte.
Die Tätigkeit der Europa-Union und ihre Rolle im politischen Leben der jungen Bundesrepublik bildet daher außer der Person Oppenheims den zweiten Schwerpunkt in den Beiträgen dieses Sammelbandes. Die Aufsätze von Wilfried Loth oder Vanessa Conze behandeln zum Beispiel die Europa-Union und ihre oftmals schwierigen Entscheidungsfindungsprozesse ausführlich, streifen die Person Friedrich Carls von Oppenheim dabei jedoch eher am Rande. Überhaupt ist es ein Manko des Sammelbandes, dass die Europa-Union in vielen Beiträgen zu detailliert behandelt wird, während die Person Oppenheims deutlich zurück tritt. Dies steht durchaus im Gegensatz zu den in der guten Einleitung der beiden Herausgeber aufgestellten Kriterien für eine moderne Biografie. Gerne hätte man in dem einen oder anderen Beitrag etwas mehr über die Rolle von Oppenheim in der Kölner Stadtgesellschaft der Nachkriegszeit, über seine Verkehrskreise, über seine Arbeit im Bankhaus, über seine sozialen und kulturellen Aktivitäten jenseits der Europa-Union und über seine zahlreichen persönlichen Netzwerke gewusst. Stattdessen wird in vielen der Beiträge zu ausführlich auf die personal politischen Grundsatzkonflikte in der Europa-Union sowie auf die Richtungsdebatten in dieser Vereinigung eingegangen. Für Fachleute und interessierte Laien mit einem Faible für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, vor allem für Liebhaber von Biografien bleibt die Figur Oppenheims daher oftmals etwas konturenlos. Die Experten aus dem Bereich der politischen Geschichte, vor allem dem der europäischen Einigung kommen dagegen in diesem Sammelband sicherlich eher auf ihre Kosten.
Im Ergebnis erweitern die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes unser Wissen über die deutsche Europa-Union erheblich, unsere Kenntnis über ein prominentes Mitglied der Kölner Bankiersdynastie jedoch nicht im selben Maße. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Sammelband von den anderen im Augenblick publizierten Biografien zu deutschen Bankiers, etwa die Biografie Lothar Galls zu Hermann Josef Abs. Der Politiker Friedrich Carl von Oppenheim dominiert in diesem Sammelband eindeutig den Bankier, aber auch den Privatmenschen.
Harald Wixforth