Peter R. Anstey / John A. Schuster (eds.): The science of nature in the seventeenth century. Patterns of Change in Early Modern Natural Philosophy (= Studies in History of Philosophy and Science; Vol. 19), Heidelberg: Springer-Verlag 2005, ISBN 978-1-4020-3603-3, EUR 101,65
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Dem beneidenswerten Kredit, den man heute der modernen Naturwissenschaft zwar nicht uneingeschränkt, aber doch zu großen Teilen zugesteht - "science is authoritative, science inspires confidence, science is right" (1) -, steht die historische Ausgangsdiagnose des vorliegenden Bandes gegenüber, dass dieser epistemische Kredit ("epistemic-credit rating") sich erst mühsam hat entwickeln müssen, er also nicht immer so selbstverständlich gegeben war wie das heute der Fall ist. Im 17. Jahrhundert, so die Diagnose Ansteys und Schusters, sei im Gegensatz zur Moderne die Situation eine deutlich andere gewesen: Konkurrierende Autoritäten, sich verschiebende Disziplinengrenzen, neu entstehende Modi experimenteller Praxis und methodologische Reflexionen waren, so heißt es, einige der konstitutiven Elemente einer in sich durchaus differenten Mischung, in der das Wissen um die Natur keinesfalls als das herausragende Moment gegolten habe. Dem entsprechend ist es die erklärte Absicht der Herausgeber, die Kenntnis der Natur ("knowledge of nature") nicht isoliert zu betrachten, sondern in die "Kultur der Naturphilosophie" ("culture of natural philosophy") der Frühen Neuzeit einzubetten.
So ist mit den genannten Konstituenten bereits der anspruchsvolle Rahmen abgesteckt, in dem sich die Aufsätze des Sammelbandes bewegen: Es geht um diverse Verständnis- und Lesarten von Natur und Naturphilosophie, darunter u. a. auch um die Bezüge, die zwischen Theologie, Moralphilosophie und Naturphilosophie bestehen; darum, wie innerhalb der Naturphilosophie die normalerweise den theoretischen Disziplinen untergeordneten artes mechanicae eine Aufwertung und Neukonstitution erfahren, und wie sich das Verhältnis zwischen experimenteller und spekulativer Naturphilosophie in der Frühen Neuzeit entwickelt. Zentraler Begriff des Bandes ist daher auch nicht etwa der Wissenschaftsbegriff, sondern die historische Kategorie der Naturphilosophie, wie sie im breiten kulturgeschichtlichen Kontext und im Selbstverständnis der Frühen Neuzeit anzutreffen ist. Damit möchten die Herausgeber vor allem einer ahistorischen Projektion des modernen Wissenschaftsbegriffs auf die Frühe Neuzeit vorbeugen und zugleich die Rede von der 'scientific revolution' relativieren, zumal diejenige, die explizit von der wissenschaftlichen Revolution im Sinne des Endes der Naturphilosophie spricht. [1]
Dabei wird der Ansatz des vorliegenden Bandes noch dadurch spezifiziert, dass die Frage, wie denn überhaupt Ansprüche, Interessen und Herangehensweisen im Bereich der Naturphilosophie konstruiert und verortet worden sind, in den Vordergrund gerückt wird.
Es gehört nun zur hohen Qualität dieses Bandes, dass alle Beiträge dem zugrundeliegenden methodischen Ansatz und der thematischen Intention gerecht werden und sich, anders als in manchen anderen Sammelbänden, die nur eine Aneinanderreihung einzelner Beiträge bieten, vielfach aufeinander beziehen und sinnvoll ergänzen. Da ist es denn auch durchaus akzeptabel, dass sich gleich drei der acht Beiträge mit der Naturphilosophie Descartes' beschäftigen. Dadurch nämlich, dass Descartes von unterschiedlichen Perspektiven her kontextualisiert wird, ergibt sich ein detailreiches Bild der schon oben erwähnten "Kultur der Naturphilosophie", auf dessen Boden sich der cartesische Mechanismus entwickelt hat.
So analysiert John A. Schuster anhand von Descartes' "Le Monde" und "Principia Philosophiae" nicht nur die cartesische Vortextheorie, sondern insbesondere auch die Rolle, die Isaac Beeckmans Einfluss auf Descartes gespielt hat; Peter Dear geht der Frage nach, wie Descartes konkret auf die pseudo-aristotelische mechanische Vortex-Konzeption (bezogen auf die Beobachtung, dass Objekte, die sich in strudelndem Wasser befinden, sich tendenziell zum Zentrum des Wirbels hin bewegen) in den "Quaestiones mechanicae" zurückgreift, diese kritisiert, transformiert und auf seine Vortextheorie der Planetenbewegungen und Gravitation überträgt. Helen Hattab dagegen rekonstruiert - durchaus mit zielgerichtetem Blick auf Descartes - die Rezeptions- und Transformationsgeschichte der "Quaestiones mechanicae" in der Frühen Neuzeit (z. B. bei Niccolò Leonico Tomeo, Alessandro Piccolomini, Girolamo Cardano, Francesco Maurolyco, Henri de Monantheuil und Galileo Galileo) als Neu- und Umwertung der artes mechanicae auf ausgesprochen kenntnisreiche und überzeugende Weise. Dass dies nun auch theologische Implikationen hatte, exemplifiziert Hattab an Henri de Monantheuil, Schüler des Petrus Ramus und Professor für Medizin und Mathematik in Paris, für den Gott nicht nur als "the most accurate and incessant Geometer" (114), sondern auch als "wisest, best, most powerful mechanic and maker of machines" (114) galt.
Mit dem Zusammenhang von Theologie und Naturphilosophie beschäftigt sich auch Peter Harrisons Beitrag "Physico-Theology and the Mixed Sciences". Dabei stellt er die interessante Frage, warum sich die disziplinäre Kategorie der Physikotheologie entwickelte, wo die zeitgenössische Naturphilosophie doch bereits theologische Dimensionen aufwies. Harrison geht dabei ausschließlich vom englischen Kontext aus und beginnt mit dem ersten Aufweis des Begriffs 'physico-theological' in Walter Charletons "The darkness of Atheism Dispelled by the Light of Nature. A Physico-Theologicall Treatise" von 1652, um dann ausführlich zu Robert Boyle überzugehen, der naturphilosophische Methoden auf einzelne Elemente der christlichen Doktrin anwandte, wie etwa auf die Auferstehung, respektabel Rekonstitution des Leibes nach dem Tode, und somit beispielhaft für die Durchlässigkeit disziplinärer Grenzen im 17. Jahrhundert stehen kann.
Einen ähnlich instruktiven und detailreichen Überblick bietet auch Peter R. Ansteys Aufsatz "Experimental Versus Speculative Natural Philosophy", der insbesondere für den debattengeschichtlichen Hintergrund des Newton-Diktums "hypotheses non fingo" aufschlussreich ist, das, und hier zieht Anstey deutliche Demarkationslinien, keineswegs ohne weiteres mit der modernen naturwissenschaftlichen Methodik identifiziert werden darf.
Der vom Anspruch her am weitest gehende Beitrag stammt vom niederländischen Wissenschaftshistoriker Hendrik Floris Cohen, der die Entstehungsbedingungen der Scientific Revolution zu analysieren versucht und der Frage nachgeht, warum sich die wissenschaftliche Revolution nun gerade im europäischen Kontext abgespielt hat. Cohens Antwort ist zu vielschichtig als dass sie hier ganz wiedergegeben werden könnte. Sie sollte aber bei ihrem innovativen Ansatz Anlass für breite Kontroversen geben. Cohen geht nämlich dezidiert auf die antike alexandrinische und athenische Schule in deren Transformation in der Frühen Neuzeit ein und zeigt, wie auf diese Weise zwei unterschiedliche Mathematik- und Philosophiekonzepte als begünstigende Faktoren auf die Genese und Entwicklung der Scientific Revolution eingewirkt haben. Das ist freilich nur ein Aspekt der vielschichtigen Antwort Cohens. Man darf daher auf Cohens breit angelegte Studie "How Modern Science Came Into the World: A Comparative History", von dem der vorliegende Beitrag nur einen Ausschnitt vorstellt, gespannt sein.
Fazit: Der Band wird seinem Anspruch, die "patterns of change in Early Modern Natural Philosophy" zu beschreiben und zu analysieren, in hohem Maße gerecht. Die Beiträge sind ausgesprochen konstruktiv und nehmen erfreulicherweise vielfach Bezug aufeinander, so dass eine für einen Sammelband selten anzutreffende Kohärenz entsteht.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu die entsprechenden Ansätze bei Peter Dear: "Discipline and Experience. The Mathematical Way in the Scientific Revolution", Chicago 1995 und Steven Shapin: "A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth Century England", Chicago 1994, von denen sich der vorliegende Band abgrenzt.
Hanns-Peter Neumann