Lothar Kolmer / Carmen Rob-Santer: Geschichte SCHREIBEN. Von der Seminar- zur Doktorarbeit (= Rhesis. Arbeiten zur Rhetorik und ihrer Geschichte; 3), Stuttgart: UTB 2005, 179 S., ISBN 978-3-8252-2688-6, EUR 13,90
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Dieses Buch ist aus der Praxis entstanden: Lothar Kolmer und Carmen Rob-Santer lehren seit 2004 das Fach Rhetorik an der Universität Salzburg. "Geschichte schreiben" bildet nach eigener Aussage einen Schwerpunkt ihrer Lehrtätigkeit. In der Tradition französischer und britischer Historiker möchten sie für leserorientiertes Schreiben werben. Der deutschen Geschichtswissenschaft attestieren die Autoren dagegen gleich auf den ersten Seiten mangelndes Interesse an gesellschaftlichen Herausforderungen und theoretisch-methodischen Innovationen; das Ergebnis: "staubtrockene, fakten- und statistikreiche Sachberichte" (13).
Spätestens an dieser Stelle möchte selbst der gutwillige Leser das Buch auf die Seite legen. Eine ausführliche Erwiderung auf diesen so offensichtlich ungerechtfertigten Angriff darf unterbleiben. Mindestens unglücklich ist dieser Einstieg, weil er auf diesem Weg sein deutsches Publikum nicht für die Lektüre zu gewinnen versteht. Und das wiederum ist schade, denn "Geschichte schreiben" behandelt eigentlich ein wichtiges Thema und verweist auf ein dramatisches Defizit: Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten informieren in der Regel kompetent über die formalen Anforderungen, die der Leser an Fußnoten und Literaturverzeichnis zu stellen gewohnt ist. Kaum ein Handbuch und nur die wenigsten Lehrveranstaltungen vermitteln jedoch die handwerklichen Fähigkeiten, welche die unerlässliche Voraussetzung bilden für die Konzeption komplexer Texte.
Hier hat Otto Kruse vor einigen Jahren Maßstäbe gesetzt: "Keine Angst vor dem leeren Blatt" lautete seine Aufforderung an Studenten mit verfestigten Schreibhemmungen, wobei der Fokus des Erfurter Psychologen kein spezifisch historischer war. [1] Speziell für Historiker liegt seit 1999 die von Wolfgang Schmale betreute deutsche Adaption eines amerikanischen "Schreib-Guide" vor. [2] Schmale informiert sowohl über typische Phasen des Schreibprozesses allgemein (Vorbereitung, Entwurf, Umarbeiten) wie auch über die besonderen Problemstellungen historischer Schreib- und Lernstrategien, über das Schreiben auf der Grundlage von Primärquellen, historische Prüfungsklausuren und Seminararbeiten, Literaturrecherche und Dokumentationstechniken. Das ist gut, umfassend und noch immer aktuell.
Kolmer und Rob-Santer versäumen es, einleitend klarzustellen, wie sie sich gegen ihre Vorgänger abzugrenzen gedenken. Ihr Buch vom Schreiben richtet sich jedoch offensichtlich in erster Linie an fortgeschrittene Studierende, die über das Promovieren und vielleicht sogar eine wissenschaftliche Karriere zumindest schon einmal nachgedacht haben. Darauf weist zumindest ihre Werbung in eigener Sache hin: "Ganz praktische Auswirkungen sollten nicht außer Betracht bleiben: Stellen für Historiker finden sich nicht ganz einfach; die Konkurrenz ist groß. Gefragt sind Zusatzqualifikationen, etwa die, praktisches Wissen erwerben und kommunizieren zu können. Dies lässt sich an einer Abschlussarbeit erweisen, durch die Wahl und Bearbeitung des Themas. Die Chance, sich durch ein herausragendes Werk zu profilieren, lässt sich besser nutzen - wenn man dieses Buch liest." (15)
Der Aufbau ihres Arbeitsbuches ist zweigeteilt: So steht am Beginn ein knapper historiographischer Abriss von Herodot bis Hayden White, der auf fünfzig Seiten kaum mehr bieten kann als kunstvolles Namedropping. Im Hauptteil werden anschließend praktische Handreichungen für das Verfassen wissenschaftlicher Texte in den Mittelpunkt gerückt: die Suche nach einem ansprechenden Thema und nach dem geeigneten Betreuer, das Exzerpieren und Rezensieren, Stil- und Gliederungsfragen, die Schlusskorrektur. Dabei räumen die Autoren zunächst den Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Schreibprozesse großen Raum ein und laden ein zur gründlichen Reflexion der Frage, ob das gewählte Thema in der vereinbarten Zeit mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen überhaupt zu bearbeiten ist: "Reichen Sie kein Riesenopus von 1000 Seiten und mehr ein - selbst wenn es dafür Vorbilder gibt!" oder auch: "Als Regel lässt sich sagen: 300 Seiten in drei Jahren" - zu fragen bleibt, ob damit tatsächlich die zentralen Probleme geschichtswissenschaftlich interessierter Studierender angesprochen sind, denen in der Regel nicht viel mehr als drei Jahre für ein ganzes Studium zur Verfügung stehen. (63)
An diesem Punkt ist "der souveräne Umgang mit dem Handwerkszeug" zwar bereits mehrfach eingefordert und vor dem Scheitern eindrücklich gewarnt worden, doch erst im letzten Drittel zeigen die Autoren konkret auf, wie wissenschaftliches Schreiben geplant werden und gelingen kann: Brainstorming und mind mapping, W-Fragen, wissenschaftliches Journal und immer wieder der eindringliche Verweis auf die Notwendigkeit, den Schreibprozess zu reflektieren: "Je klarer man sich über sich selbst als Schreibenden und Autor wird, umso besser gelingen die folgenden Arbeiten" (99).
"Geschichte schreiben" richtet sich an fortgeschrittene Studierende, die das Schreiben lernen wollen, aber auch an Dozenten, die das Schreiben lehren sollen. Praktische Handreichungen hatten die Autoren einführend angekündigt; der historischen Theorie und Methode räumen sie schließlich den größten Raum ein. Im Ergebnis wirken ihre Ausführungen deshalb häufig unentschlossen, oszillieren zwischen akademischem Nähkästchen und erhobenem Zeigefinger. Viel sprechen die Autoren darüber, welche Fehler beim wissenschaftlichen Schreiben zu häufig unterlaufen; lieber noch würde der Leser erfahren, wie ein gutes Buch denn eigentlich gemacht wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Otto Kruse, Keine Angst vor dem leeren Blatt. Ohne Schreibblockaden durchs Studium, 9. Aufl., Frankfurt/New York 2002.
[2] Vgl. Wolfgang Schmale (Hg.), Schreib-Guide Geschichte. Schritt für Schritt wissenschaftliches Schreiben lernen, Wien u.a. 1999 (Neuauflage 2006).
Claudia Moisel