Peter Hammerschmidt: Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2014, 555 S., ISBN 978-3-10-029610-8, EUR 24,99
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Als "Schlächter von Lyon" ist er Stammgast des zeithistorischen Dokutainment und mit Sicherheit der prominenteste deutsche NS-Täter, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich vor Gericht gestanden hat. Seine vielfach bezeugten Foltermethoden von außergewöhnlicher Brutalität und die Deportation der jüdischen "Kinder von Izieu" im April 1944, deren Einschreibung in das nationale französische Gedächtnis wir einmal mehr dem Engagement von Serge und Beate Klarsfeld verdanken [1], sind paradigmatisch für die Ermordung der europäischen Juden im Holocaust: Klaus Barbie, 1987 in Lyon zu lebenslanger Haft verurteilt, hat der Mainzer Historiker Peter Hammerschmidt eine biographische Einzelstudie gewidmet, deren Schwerpunkt auf der Nachkriegskarriere eines NS-Täters und seiner Kooperation mit westlichen Geheimdiensten nach 1945 liegt.
Hammerschmidt skizziert in seiner Mainzer Dissertation, 2014 mit dem Förderpreis der Volkswagen Stiftung ausgezeichnet, die Kindheit des 1914 in Trier geborenen Barbie als Erfahrungsraum eines gedemütigten "Kriegskindes" des Ersten Weltkriegs, dessen Beziehung zum vielfach abwesenden, körperlich versehrten und wirtschaftlich erfolglosen Vater als völlig misslungen zu bezeichnen als Euphemismus gelten muss (31). Es ist dies eine Geschichte, die in weiten Teilen spätestens seit dem Verfahren gegen Barbie bekannt und journalistisch vielfältig aufgearbeitet worden ist. Tom Bower, als Sohn jüdischer Emigranten 1946 in London geboren, hat bereits Anfang der achtziger Jahre die maßgebliche Studie vorgelegt und die "angstvergiftete Beziehung" zum Vater, die französische Besatzung Triers nach dem Ersten Weltkrieg und die Brutalität des späteren "Gestapo-Chefs" erstmals in einen inhaltlichen Zusammenhang gestellt. [2] Dass der Titel damals in der Ära Kohl im linken Berliner Rotbuch Verlag erschienen war, gehört zur Rezeptionsgeschichte der Affäre.
Peter Hammerschmidt - und darauf weist bereits der Titel seiner Studie unmissverständlich hin - interessiert sich vor allem für die NS-Nachgeschichte des "Wiederholungstäters" (Daniel Stahl) im Dienste nordamerikanischer Geheimdienste und südamerikanischer Diktaturen. Die Erkenntnis, dass Barbie Mitte der sechziger Jahre - wenn auch nur für kurze Zeit - unter dem Decknamen "Adler" darüber hinaus für den BND tätig gewesen ist, darf als das Kernstück seiner Arbeit gelten. Dass die aus der "Organisation Gehlen" hervorgegangene Behörde bei der Anwerbung von Mitarbeitern in Lateinamerika mutmaßlichen SS-Angehörigen mit "kerndeutscher Gesinnung" eher Vertrauen entgegenzubringen bereit war als jüdischen Emigranten, ist keine Überraschung, bleibt nichtsdestoweniger ein deutsches Problem, das Hammerschmidt hier erstmals auch unter Rückgriff auf Archivalien der Pullacher Zentrale darzustellen vermag: "Die Tatsache allein, dass V-43118 SS-Hauptsturmführer war, schließt nicht aus, ihn als Quelle zu verwenden", heißt es dort lakonisch (237).
Dennoch - vieles an der Karriere des Klaus Barbie ist bei näherer Betrachtung weniger ungewöhnlich und aufsehenerregend als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Dass er sich in den ersten Jahren nach dem Krieg den alliierten Fahndungen entziehen konnte, ist nicht zuletzt Zufällen zu verdanken, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Kontext analoger Recherche und Kommunikation weniger selten waren als wir im Rückblick vermuten würden. 1947, also im Prinzip mit dem Ende des Nürnberger Prozesses, war die anfangs hektische Betriebsamkeit der Alliierten rasch zum Erliegen gekommen, Auslieferungen nach Frankreich und in andere Länder sind nach diesem Zeitpunkt nicht mehr belegt. [3] Hier bestätigt der Fall Barbie eine Regel, die als bekannt gelten darf. Als "gleichsam logische Karrierefortsetzung" hat Lutz Hachmeister das Engagement ehemaliger SD-Leute in den Geheimdiensten nach 1945 einmal bezeichnet. [4]
Außergewöhnlich ist lediglich Barbies beharrliches und offensives Festhalten an nationalsozialistischen Netzwerken wie Überzeugungen und die besondere Schwere der ihm zu Last gelegten Taten. Eine bürgerliche Karriere, die "Ausgrenzung in den Wohlstand" (Ulrich Herbert) wäre ihm, dem die Familie das Studium der Rechtswissenschaften nach dem frühen Tod des Vaters nicht hatte finanzieren können, in Westdeutschland vermutlich nicht offen gestanden - Bernhard Brunner hat die Nachkriegskarrieren dieser "Schwerstbelasteten" vor einigen Jahren systematisch untersucht. [5]
Weniger Gespür beweist Hammerschmidt hingegen für die genuin transnationale Dimension des Untersuchungsgegenstandes: Kaum Interesse bringt er dem französischen Kontext der Barbie-Affäre entgegen [6], fast vollständig ausgeblendet bleiben strukturelle Verflechtungen mit den südamerikanischen Gewaltregimes des 20. Jahrhundert, denen Daniel Stahl erst jüngst eine überzeugende Studie gewidmet hat. [7] Nur kursorisch schließlich streift Hammerschmidt die späten Jahre, wenn er zu klären sucht, weshalb die Bundesregierung auf deutschem Boden keinen Prozess gegen Barbie zu führen bereit war. Nicht zuletzt der Lischka-Prozess, 1979 in Köln gegen den vormaligen Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Paris, hatte gezeigt, dass engagierte Richter auch in der Bundesrepublik am Werk waren. Dass einer der in Köln zu mehrjährigen Haftstrafen Verurteilen bereits 1982 wieder auf freiem Fuß war, mag zumindest bei Serge Klarsfeld, der in Köln als Nebenkläger aufgetreten war, das Vertrauen in die deutsche Justiz erschüttert haben. Den Nachweis, dass ein Täter wie Barbie in Deutschland aus "Mangel an Beweisen" hätte freigesprochen werden müssen, wie man im Justizministerium in Bonn 1982 geraunt hat (während Frankreich zur gleichen Zeit in der Lage gewesen sein soll, seine Schuld hinreichend dicht zu belegen), wird die Behörde schuldig bleiben. Die Auslieferung Barbies aus Bolivien nicht weiter zu betreiben, ist eine politische Entscheidung gewesen, die hinter juristischen Spitzfindigkeiten nur mühsam verbrämt worden ist. Hammerschmidt selbst weist darauf hin, dass an dieser Stelle die Geschichtspolitik der Ära Kohl genauer auszuleuchten, vorläufig ein Desiderat bleiben muss.
Akribisch im Detail und beharrlich in seinen Recherchen hat Peter Hammerschmidt vieles, was wir bislang über Barbie wussten oder auch nur gemutmaßt haben, auf der Grundlage umfassender und aufwändiger Nachforschungen in zahlreichen Archive bestätigen können; und er hat unser Bild von der Arbeitsweise der westlichen Nachrichtendienste um einige Facetten bereichert. Dabei interessiert er sich in erster Linie für die alte Bundesrepublik und ihre vielfältig erforschten vergangenheitspolitischen Verfehlungen. In diesem Sinne bereichert seine Studie unser Wissen um nationalsozialistische Kontinuitäten in der Bundesrepublik in der Hochphase des Kalten Kriegs. Das ist sein Verdienst, und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Erforschung der Geheimdienste in der Bundesrepublik sich als zentrales Untersuchungsfeld erst in jüngster Zeit etabliert hat, ist seine Leistung zu würdigen.
Anmerkungen:
[1] Serge und Beate Klarsfeld: Die Kinder von Izieu. Eine jüdische Tragödie, Berlin 1991. Mit Louis Malle ist es eine Ikone der Nouvelle Vague, die im Schatten des Barbie-Prozesses einen Film über die Jahre der Besatzung vorlegt und die Deportation jüdischer Kinder aus Frankreich in den Mittelpunkt seiner als Entwicklungsroman angelegten Erzählung stellt (Au revoir, les enfants, F 1987).
[2] Tom Bower: Klaus Barbie. Lyon, Augsburg, La Paz - Karriere eines Gestapo-Chefs, Berlin 1984.
[3] Claudia Moisel: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts; 2), Göttingen 2004.
[4] Lutz Hachmeister: Die Rolle des SD-Personals in der Nachkriegszeit. Zur nationalsozialistischen Durchdringung der Bundesrepublik, in: Nachrichtendienste, politische Elite, Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, hg. von Michael Wildt, Hamburg 2003, 347-369, hier 363.
[5] Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland (= Moderne Zeit; VI), Göttingen 2004, 145-190.
[6] In diesem Sinne noch immer lesenswert die pointierte Deutung von Henry Rousso: Le syndrome de Vichy de 1944 à nos jours, Paris 1987, 229-248; sowie der ikonische Dokumentarfilm von Marcel Ophuls, der alle Zeitzeugen von Bedeutung vor der Kamera versammelt (Hôtel Terminus, USA, 1988).
[7] Daniel Stahl: Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts; 15), Göttingen 2013.
Claudia Moisel