Sigurd Sørlie: Sonnenrad und Hakenkreuz. Norweger in der Waffen-SS 1941-1945. Aus dem Norwegischen von Sylvia Kall und Michael Schickenberg, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, 545 S., 64 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-78690-6, EUR 49,90
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Bald nach der deutschen Besetzung nord- und westeuropäischer Länder startete die SS-Führung mit der Rekrutierung "germanischer Freiwilliger", die sie mit eigenen militärischen Einheiten an der Ostfront einsetzte. Bis Kriegsende meldeten sich rund 4500 Norweger im Rahmen der deutschen Anwerbungen. Der Historiker Sigurd Sørlie untersucht diese norwegischen Freiwilligen in seiner Dissertation, die im Rahmen eines Forschungsprojekts am Osloer Zentrum für Holocaust- und Minderheitenstudien (HL-Senteret) entstandenen ist, 2015 im Dreyers Forlag publiziert wurde [1] und nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Das Thema ist nicht grundsätzlich neu; allerdings erweitert Sørlie die vorhandene Literatur um neue Perspektiven: als "Militärgeschichte von unten" (21) nähert er sich den "persönlichen Erfahrungen, Gedanken und Taten" (9) der Freiwilligen. Konsequent wertet Sørlie zeitgenössische Egodokumente und Memoiren aus. Diese ergänzt er durch Akten und Propagandamaterial der Führungsebene der SS und der norwegischen faschistischen Kollaborationspartei Nasjonal Samling. Der Autor fragt nach dem Charakter der militärischen Verbände, nach den "Motiven und Triebkräften" (10) für den Fronteinsatz, nach dem Grad der Identifikation mit Ideologie und Zielen des Nationalsozialismus und schließlich nach der Kenntnis von und Beteiligung an Verbrechen des NS-Regimes.
Zunächst beschreiben zwei Hintergrundkapitel die Waffen-SS, die Praxis der Rekrutierung "germanischer Freiwilliger" sowie das Verhältnis der Nasjonal Samling zum "Dritten Reich" und zur SS in Norwegen. Anschließend folgen sechs thematische Kapitel, in denen Sørlie detailreich die Motivation der Freiwilligen, die Inhalte ihrer "Ausbildung und Erziehung" (117) bei der Waffen-SS, den Frontalltag, ideologische Überzeugungen der Norweger, ihre Beteiligung an Kriegsverbrechen an der Ostfront sowie ihre Leistungen als Soldaten untersucht. Der Anhang umfasst neben einem ausführlichen Anmerkungsapparat fünf Karten zu den Kriegsschauplätzen, an denen norwegische Freiwillige kämpften, sowie ein Orts- und Namensregister. Ein Bildteil mit 64 historischen Fotografien erhöht die Anschaulichkeit.
In der Analyse geht es dem Autor weniger um militärische Ereignisse als um den Gesamteindruck. Gleichwohl beschreibt er, welchen Einfluss der Kriegsverlauf auf die von ihm untersuchten Aspekte hatte. Anhand des durchgängigen Vergleichs der wichtigsten Verbände mit hohem Anteil norwegischer Freiwilliger - Division Wiking, Legion Norwegen, Regiment Norge und kleinere Skitruppen - verdeutlicht Sørlie, dass pauschale Aussagen zu Erfahrungen und Überzeugungen sowie zur Beteiligung an Kriegsverbrechen schwierig sind.
Sørlie kommt zu folgenden Ergebnissen: Die große Mehrheit der norwegischen Freiwilligen sympathisierte von Beginn an mit der Nasjonal Samling und dem Nationalsozialismus. Viele waren Mitglied der norwegischen Partei. Die von den meisten Freiwilligen gehegte Hoffnung, einen kurzen, siegreichen Krieg für ein starkes, Nasjonal Samling-geführtes Norwegen zu kämpfen, erfüllte sich indes nicht. Der Kriegsalltag war hart und entbehrungsreich, von Hunger, Kälte, Krankheit und Gewalt geprägt. Diese Erfahrungen brutalisierten die Truppen, was der Autor als wichtigste Ursache für die Beteiligung an Verbrechen ausmacht. Ideologie und Propaganda förderten außerdem eine entmenschlichte Wahrnehmung des Feindes. Dass sich Norweger an Kriegsverbrechen insbesondere gegen Soldaten bzw. Kriegsgefangene der Roten Armee und an der sogenannten Partisanenbekämpfung gegen die Zivilbevölkerung beteiligten, weist der Autor akribisch anhand der Quellen nach. Er verweist aber auch auf Mitleid und Hilfe mancher norwegischer Freiwilliger für die notleidende Bevölkerung.
Die SS wollte die "germanischen Freiwilligen" zu überzeugten Anhängern des Nationalsozialismus und "Pangermanismus" (79) erziehen. Dazu dienten verschiedene Maßnahmen, etwa Schulungen im Rahmen der Ausbildung, Propagandamaterial, Unterhaltungsangebote und persönliche Gespräche. Demnach waren die Freiwilligen, entgegen späterer Aussagen, ständiger ideologischer Beeinflussung ausgesetzt. Anhand zahlreicher Quellen beweist Sørlie, dass die Mehrheit der Rekrutierten die nationalsozialistische Ideologie verinnerlichte: Antisemitismus, Rassismus und Antibolschewismus zeigen sich deutlich in den Egodokumenten. Brutalisierung auf dem Schlachtfeld und Indoktrination gingen so Hand in Hand. Man könne, so Sørlie, von einer Befürwortung von "Gewalt und Terror" (263) zur Durchsetzung eigener politisch-ideologischer Ziele ausgehen, die oft radikaler war als jene des Durchschnitts der Nasjonal Samling-Mitglieder.
Insgesamt beschreibt Sørlie das Verhältnis der Freiwilligen zu ihrem Einsatz und zur deutschen Waffen-SS als konfliktreich. Dabei spielte ein "Wortbruch" (366) eine besondere Rolle: Entgegen dem Versprechen, Norweger in landsmannschaftlichen Formationen unter eigenem Kommando kämpfen zu lassen, verteilten die Deutschen sie auf mehrere Verbände und beließen Ausbildung und Führung in deutscher Hand. Verbunden mit dem Auftreten der Deutschen, das die Freiwilligen als herablassend empfanden, bedingte dies große Enttäuschung und Frustration und in Folge eine hohe Quote an Entlassungsanträgen. Sørlie führt dies auf den ausgeprägten Nationalismus unter den rekrutierten Norwegern zurück, auf dessen Grundlage sich, so sein Fazit, die meisten von ihnen schließlich für das Sonnenrad, die spezifisch norwegische Version einer NS-Zukunftsvision, entschieden. Den Ursprung dieser Konflikte sieht der Autor in wachsenden Spannungen zwischen der SS-Führung und der Nasjonal Samling, die unterschiedliche Ziele verfolgten. So war die Rekrutierung "germanischer Freiwilliger" in den besetzten Gebieten durch die Waffen-SS vor allem ideologisch motiviert und diente neben der Stärkung der eigenen Machtposition dem Aufbau eines künftigen "großgermanischen Reichs" (42). Die Nasjonal Samling unterstützte die Anwerbungen hingegen mit dem Ziel, die Basis für einen Wiederaufbau der norwegischen Streitkräfte zu legen und Norwegen in einem nationalsozialistischen Nachkriegseuropa eine möglichst autonome Stellung zu sichern. Dass diese Hauptthese des Buchs im norwegischen Originaltitel ("Sonnenrad oder Hakenkreuz") angelegt ist, wurde bei der im Übrigen gelungenen deutschen Übersetzung offenbar übersehen.
Insgesamt bereichert das umfangreiche Buch die Forschung. Die hohe Quellendichte macht die geschilderten historischen Fakten sehr anschaulich. Hinzu kommt eine ausführliche Kontextualisierung der einzelnen Themen, die allerdings zu einigen Wiederholungen führt. Man kann diesen Punkt aber auch als Gewinn sehen, denn das Buch eignet sich als Überblickswerk zum selektiven Lesen. Das Buch zielt zwar vornehmlich auf ein norwegisches Publikum, doch erweist sich die Übersetzung auch für eine deutsche Leserschaft als Gewinn: Insbesondere die norwegische Perspektive auf den Dienst in der Waffen-SS ist äußerst aufschlussreich, ebenso wie der Einblick in die Debatte um Besatzung und Kollaboration, die in Norwegen bis heute lebhaft geführt wird.
Anmerkung:
[1] Sigurd Sørlie: Solkors eller hakekors. Nordmenn i Waffen-SS 1941-1945. Oslo: Dreyers Forlag 2015, 626 S., ISBN 978-82-8265-139-4.
Christina Holzmann