Franziska Anna Zaugg: Rekrutierungen für die Waffen-SS in Südosteuropa. Ideen, Ideale und Realitäten einer Vielvölkerarmee, Berlin: De Gruyter 2021, XII + 573 S., 47 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-073542-0, EUR 104,95
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Franziska A. Zaugg: Albanische Muslime in der Waffen-SS. Von "Großalbanien" zur Division "Skanderbeg", Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016
Die wissenschaftliche Literatur über die SS sowie die Waffen-SS ist mittlerweile kaum mehr überschaubar. In diesem Forschungsfeld widmet sich die vorliegende Studie jenem Strategiewechsel, den die Waffen-SS während des Zweiten Weltkrieges vollzog: von einer "rassischen" Elitetruppe hin zu einer "paneuropäischen" "antibolschewistischen" Armee, deren Reihen auch Angehörigen nichtgermanischer Völker offenstanden. Dabei sah das Konzept keine Armee gleichwertiger Soldaten vor, sondern eine Hierarchie, bestehend aus einem inneren Kreis "ordensfähiger" (im Selbstverständnis der SS als "Orden") Reichsdeutscher, einem mittleren "pangermanischen" Kreis aus "Germanischstämmigen" und "Volksdeutschen" (Angehörigen deutscher Minderheiten) sowie einem äußeren Kreis von "Fremdvölkischen".
Die dabei entstandenen Einheiten aus osteuropäischen Mannschaften und weitgehend reichsdeutschem "Rahmenpersonal" (also Offizieren und Unteroffizieren) sind in überwiegend deskriptiven Arbeiten öfters dargestellt worden. Die Versetzung von Offizieren zu den hier behandelten Einheiten, denen auch KZ-Personal zugeteilt wurde, galt als Strafversetzung.
Franziska Zaugg hat 2016 mit ihrer Monografie über die "Skanderbeg-Division" Neuland betreten. [1] Daran anknüpfend stellt sie hier die Frage, was die Erwartungen der SS-Führung und der NS-Regierung an die Bürger des 1941 zerschlagenen Jugoslawien und des 1943/44 de facto deutsch besetzten Albanien waren, um sie in die SS zu integrieren. Umgekehrt fragt sie, was diese Bürger dazu trieb, sich in die SS integrieren zu lassen, sofern diese Integration überhaupt auf freiwilliger Basis und nicht durch Zwangsrekrutierung erfolgte. Nicht erst seit der Kontroverse um Günter Grass steht fest, dass die Waffen-SS in der Endphase des Krieges auch ohne freiwillige Meldung rekrutierte. Im Einzelnen untersucht die Autorin vier Divisionen:
Die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division "Prinz Eugen", deren Zielgruppe die "Volksdeutschen" aus dem faschistischen "Unabhängigen Staat Kroatien" (NDH) waren,
die 13. Waffen-Gebirgs-Division der SS "Handschar" (kroatische Nr. 1), die in erster Linie bosnische Muslime ansprach,
die 21. Waffen-Gebirgs-Division der SS "Skanderbeg" (albanische Nr. 1), die vorrangig, aber nicht exklusiv muslimische Albaner zu gewinnen suchte,
und ergänzend die 23. Waffen-Gebirgs-Division der SS "Kama" (kroatische Nr. 2), die 1944 nur wenige Monate existierte.
Die Rekrutierung für die SS widersprach der Tatsache, dass Deutschland sowohl die Souveränität des NDH als auch die des nach viereinhalb Jahren italienischer Besatzung wiederhergestellten albanischen Staates anerkannt hatte. Damit hätte sich die Anwerbung von deren Bürgern eigentlich verboten, worauf unter anderem Vertreter des Auswärtigen Amtes wie der Gesandte in Kroatien, Siegfried Kasche, hinwiesen. Kasche und mehrere andere deutsche Gesandte in Südosteuropa waren ranghohe SA-Funktionäre und hatten nicht den geringsten Ehrgeiz, der SS das Geschäft zu erleichtern. Im Falle der "Volksdeutschen" in Kroatien und Rumänien kam noch die Konkurrenz zur Wehrmacht hinzu.
Das beherrschende Motiv auf Seiten der SS war der sich ständig verschärfende Personalmangel. Außerdem war es für die Kontrolle der besetzten Territorien Südosteuropas und der verbündeten Staaten erstrebenswert, Truppen einzusetzen, die aus diesen Gebieten kamen und das Terrain kannten. Dabei wurde der Grundsatz der Freiwilligkeit aufgegeben und starker Druck auf Widerspenstige ausgeübt. Die SS konnte sich auch auf patriarchalische Gesellschaftsstrukturen wie in Nordalbanien und Kosovo verlassen, in denen das Familienoberhaupt entschied, ob und welche Familienmitglieder sich der SS anzuschließen hatten. Das führte zu zahlreichen kulturellen Schwierigkeiten.
Dass die Anwerbung erfolgreich war, lag an einem ganzen Bündel von Motiven der Rekrutierten: die Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, attraktive Bezahlung, Ausbildung und Ausrüstung, besonders im Vergleich zum Kriegsdienst in der Armee des eigenen Landes, auch persönliche Bereicherung, Befreiung aus einer Diskriminierung als Minderheit, Rache für erlittene Verfolgung, Streben nach Autonomie für die eigene Volksgruppe beziehungsweise nach Sicherung der neuen Grenzen, individuelles Überleben, Schutz der eigenen Familie und Heimat, sozialer Druck, antikommunistische Einstellung, islamische Propaganda, Erinnerung an die österreichisch-ungarische Herrschaft, Eintreten für Deutschland als imaginiertes "Vaterland".
Selbstverständlich war dieses Motivbündel nicht bei allen hier untersuchten Zielgruppen relevant. Die "Volksdeutschen" waren keine Muslime, während sich die Bosnier in der prekären Lage fanden, dass die NDH-Führung sie eigentlich in die kroatischen Streitkräfte einziehen wollten und sich gegen eine muslimische SS-Division aussprach, sie andererseits nicht als Teil der Staatsnation akzeptierte und verfolgte. Für die Albaner war "Großdeutschland" nur deshalb ein Bezugspunkt, weil es die Bewahrung der neuen Grenzen Großalbaniens (mit dem größten Teil Kosovos) versprach; unter den in Albanien operierenden Widerstandsbewegungen war das strittig, weil die kommunistisch geführten Partisanen Rücksicht auf ihre wichtigsten Verbündeten, die Tito-Partisanen, nehmen mussten.
Beim Thema SS geraten fast automatisch deren zahlreiche Kriegsverbrechen ins Blickfeld - ein Thema, das Franziska Zaugg nicht ausblendet. Dabei gingen die Angehörigen dieser Einheiten zum Teil aus Eigeninitiative und unter Bruch der Disziplin gegen die Zivilbevölkerung vor. Exzesse albanischer Muslime, die zunächst in die "Handschar" eingezogen wurden, gegen serbische Zivilisten waren einer der Gründe, warum die Albaner in einer eigenen Division erfasst wurden.
Ausführlich behandelt die Autorin auch das Schicksal der Angehörigen dieser Divisionen nach deren Auflösung beziehungsweise nach der Kapitulation. Einige der deutschen Offiziere spielten wichtige Rollen bei dem Bemühen um eine Rehabilitierung der Waffen-SS als angeblich "ganz normale Soldaten", so einer der Kommandeure der Division "Prinz Eugen", Otto Kumm.
Kleinere Fehler sind angesichts der komplexen Materie fast unvermeidlich. Der albanische Kollaborations-Regierungschef Ibrahim Bej Biçaku wurde nach dem Krieg nicht erschossen, sondern erhielt eine lange Haftstrafe. Das Nationale Revolutionäre Komitee war ein Zusammenschluss von Anhängern der 1924 gestürzten Regierung Fan Noli und nicht identisch mit dem "Komitee für die Verteidigung Kosovos", mit dem es später fusionierte.
Eine Bemerkung zur Schreibweise von Orts- und Personennamen bei wörtlichen Quellenzitaten hätte vollauf gereicht, statt sie bei abweichenden Schreibungen oder bei sprachlichen Regelverstößen ständig durch ein "(sic)" zu unterbrechen. Der Verlag sollte sein Lektorat angesichts vieler Tippfehler dringend verbessern.
Insgesamt jedoch verdanken wir Franziska Zaugg eine hervorragende, faktenreiche, analytische und gut lesbare Studie zur Entwicklung der Waffen-SS und ihren Folgen für die Erinnerungskultur der Länder Südosteuropas.
Anmerkung:
[1] Vgl. Michael Schmidt-Neke: Rezension von: Franziska A. Zaugg: Albanische Muslime in der Waffen-SS. Von "Großalbanien" zur Division "Skanderbeg", Paderborn 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 4 [15.04.2017], URL: https://www.sehepunkte.de/2017/04/29607.html [14.06.2023].
Michael Schmidt-Neke