Volker Rödel / Hans Ammerich / Thomas Adam (Hgg.): Säkularisation am Oberrhein (= Oberrheinische Studien; Bd. 23), Ostfildern: Thorbecke 2004, 295 S., 15 Abb., ISBN 978-3-7995-7823-3, EUR 34,00
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Peter Blickle / Thomas Adam (Hgg.): Bundschuh. Untergrombach 1502, das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004
Thomas Adam (ed.): Philanthropy, Patronage, and Civil Society. Experiences from Germany, Great Britain, and North America, Bloomington, IN: Indiana University Press 2004
Die Säkularisation am Oberrhein war ein "Wendepunkt in der südwestdeutschen Geschichte". So ist der einleitende Aufsatz von Heribert Smolinsky überschrieben, und jeder einzelne der folgenden Beiträge zeigt es. Während die norddeutschen Reichsgebiete bis 1805/06 von den militärischen und politischen Umwälzungen nahezu unberührt blieben, war der Oberrheinraum seit 1789 unmittelbar betroffen. Deshalb vollzog sich die große Säkularisation hier auch unter anderen Voraussetzungen als im übrigen Süddeutschland: Seit dem Abbruch der Rastatter Friedensverhandlungen 1799 musste selbst dem Gutgläubigsten klar sein, was die Geheimartikel der Separatfriedensschlüsse der deutschen Fürsten mit der französischen Republik enthielten: Die Abtretung des gesamten linken Rheinufers an Frankreich und die Entschädigung der so depossedierten weltlichen Fürsten durch Säkularisationen. Und auch der Kaiser hatte in Campo Formio die geistlichen Stände zur Entschädigungsmasse degradiert. Mit dem Frieden von Lunéville 1801 stand die Abtretung der linksrheinischen Gebiete völkerrechtlich fest, die Entschädigung sollte aus "dem gedachten teutschen Reiche selbst" erfolgen - was nach Lage der Dinge nur Säkularisation bedeuteten konnte. Zwar legte erst der Reichsdeputationshauptschluss (RDHS) im März 1803 die Säkularisationen reichsrechtlich fest, doch die Fürsten begannen schon seit dem Bekanntwerden des französisch-russischen Entschädigungsplans im Sommer 1802 mit der Einziehung der geistlichen Güter. Der Markgraf von Baden betonte sogar öffentlich, er könne andernfalls der Vernachlässigung seiner Ansprüche geziehen und dieses könne ihm als "Mangel an Aufmerksamkeit auf die uns von den vermittelnden Mächten gegönnte Vorsorge ausgelegt" werden. [1]
Um die Voraussetzungen, den Verlauf und die ersten Folgen der Säkularisation im Oberrheingebiet geht es in den 14 Aufsätzen des hier vorzustellenden Bandes. Er dokumentiert eine Tagung, die im Oktober 2002 anlässlich des 200. Jahrestags der Säkularisation in Bruchsal stattfand. Grundsätzliche Fragen wie die nach Gesamtinterpretationen des Geschehens - exzellent hier der Beitrag von Heribert Smolinsky - und nach dem Verhältnis von Staat und Säkularisation - aspektereich und vor allem begrifflich differenzierend Eike Wolgast - kommen ebenso zur Sprache wie das Ende der betroffenen Bistümer Basel, Speyer und Konstanz und die Auflösung der Reichsstifte und -abteien.
Der Beitrag von Heribert Smolinsky ordnet das Geschehen ein und erläutert vor allem die Bezeichnung "Wendepunkt" für die Säkularisation, bei der es sich um "einen historisch fundamentalen Prozeß für Kirche, Politik und Kultur" gehandelt habe (12). Er geht dabei von der Schrift "Die Folgen der Säkularisation" aus, die 1801 anonym erschien, aber - was auch die Zeitgenossen schon wussten - aus der Feder des im folgenden Jahr zum Konstanzer Generalvikar bestellten Ignaz Heinrich von Wessenberg stammt. Wessenberg stellt dem Publikum hier mit äußerstem Scharfsinn die Konsequenzen der befürchteten Herrschafts- und Vermögenssäkularisation vor Augen und unternimmt damit den letzten Versuch, den drohenden "Untergang der deutschen Staatsverfassung [...], die Erniedrigung des Kaiserthrons, den Verfall des Erzhauses Oesterreichs" und die "Unterdrückung der katholischen Kirche in Deutschland" (zitiert nach Smolinsky, 11) doch noch zu verhindern, ohne Erfolg: Das gesamte von ihm entworfene Szenario der sozialen, politischen, ökonomischen, religiösen, rechtlichen und kulturellen Folgen ist eingetreten, so dass Wessenberg von Smolinsky zu Recht als erster Analytiker dieses Wendepunkts in Anspruch genommen werden kann.
Damit ist freilich nicht gemeint, dass die Säkularisation unerwartet kam. Smolinsky zeigt vielmehr sehr überzeugend, wie der Säkularisation von 1802/03 der Boden bereitet war: durch die politischen Diskussionen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, durch die Klostersäkularisationen Josephs II., durch das Vorbild der Französischen Revolution und schließlich durch die den Rastatter Kongress begleitende, Säkularisationen befürwortende Publizistik.
Indessen ging auch im Oberrheingebiet nicht alles in gleicher Weise und zugleich vonstatten. Das Elsass war bereits von den ersten Dekreten der Nationalversammlung und dann von den viel weitergehenden Säkularisationsmaßnahmen betroffen, wie Claude Muller zeigt. Die linksrheinischen Teile der alten Diözesen Mainz und Straßburg wurden sogar in die gleich nach Lunéville geschaffene französische Bistumsorganisation einbezogen und der Klerus in die Zivilverfassung aufgenommen; hier lag ja der Grund des Streits über den Verfassungseid. Zu erneuten Unruhen kam es dann 1816, während der zweiten Restauration.
Ebenfalls wurden die linksrheinischen Teile von Hochstift und Diözese Speyer 1789 zum französischen Nationaleigentum erklärt, so dass Bischof und Domkapitel zahlreiche Pfründen verloren. Schon vor dem RDHS, nämlich im September 1802, ließ der Markgraf das Hochstift für Baden in Besitz nehmen, während der rechtsrheinische Bistumsteil einstweilen bestehen blieb; allerdings wurden die geistlichen Kompetenzen des Bischofs durch die badische Administration stark beschnitten. 1817 wurde ein die bayerische Rheinpfalz umfassendes Bistum Speyer errichtet, während die Nachfolge in den rechtsrheinischen Gebieten der ehemaligen Diözese Speyer die neuen Bistümer Rottenburg und Freiburg antraten.
Das Bistum Konstanz dagegen wurde vollständig aufgelöst und "supprimiert": Hier folgte auf die Säkularisation des ohnedies kleinen und armen Hochstifts 1802/03 im Jahre 1821 die definitive Auflösung der großen, überterritorialen Diözese. Ihre Gebiete wurden nun durch einzelne Konkordate den Landesbistümern der deutschen Bundesfürsten zugeordnet, Freiburg für Baden, Rottenburg für Württemberg; die schweizerischen, österreichischen und bayerischen Bistumsanteile waren bereits früher abgetrennt worden. Die Bemühungen Bischof Dalbergs und seines Generalvikars Wessenberg, vielleicht doch noch ein Konkordat für den Deutschen Bund zu erreichen, waren schon 1815 auf dem Wiener Kongress gescheitert - an der Koalition der Landesherren mit dem Heiligen Stuhl, dem eine starke katholische Kirche in Deutschland ein Dorn im Auge war.
Der große Nutznießer der Enteignungen wie der kirchlichen Neuordnung am Oberrhein war der Markgraf von Baden. Hinzu kamen ja auch zahlreiche Klöster, die an Reichtum und baulichem Glanz manches Bistum überstrahlten. Viele der landsässigen Klöster im Breisgau waren bereits durch die josephinische Kirchen- und Klosterpolitik in den Besitz weltlicher Fürsten, nicht zuletzt: Österreichs, übergegangen; später sollten auch sie an Baden gelangen. 1802/03 standen nun auch die Reichsstifte und -abteien zur Disposition: Salem und St. Blasien, das badische Benediktinerinnenkloster Frauenalb und das reichsunmittelbare Ritterstift Odenheim bei Bruchsal. Wie dem zuständigen Generalvikar Wessenberg von zahlreichen Pfarrern geklagt wurde, waren die Schäden der Klosterauflösungen für die Seelsorge erheblich.
Mit diesem Band liegt nun erstmals eine Zusammenschau des komplexen Geschehens im Oberrheinraum vor. Die Beiträge sind, wie meistens, von unterschiedlicher Qualität, beruhen aber alle auf gründlicher Literaturrecherche und sind teilweise aus archivalischen Quellen gearbeitet. Drei wichtige Ergebnisse seien hier abschließend vorgestellt.
1. Der Säkularisation war in den 1790er Jahren der Boden so weit bereitet, dass sie den Fürsten der Koalitionskriege als Möglichkeit erschien, um aus dem verloren gehenden Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ohne Verluste herauszukommen, wo nicht gar: mit Gewinnen.
2. Das Leben und die Herrschaft in den geistlichen Territorien waren während dieser Jahre in Politik und Publizistik derart schlecht geredet worden, dass sich die badischen Kommissare bei der Inbesitznahme der neuen Gebiete wunderten, in welch blühende Landschaften sie kamen. Das hatten sie nicht erwartet, ebenso wenig, wie sie bei den zu Enteignenden Kooperationswillen vermuteten.
3. Ein weites Feld für weitere Untersuchungen stellen mithin die Reaktionen der Betroffenen dar. Da ist zum einen die Schicksalsergebenheit der Stiftsherren - während sie oftmals früheren Versuchen, sie in die Landsässigkeit zu drücken, mit großem Einsatz begegnet waren (vgl. den vorzüglichen Beitrag von Ralf Fetzer über Odenheim, hier 192-197). Zum anderen ist da die übrige Bevölkerung, die ebenfalls offenbar alles ohne Widerstand über sich ergehen ließ. Begrüßten die Leute den Herrschaftsübergang womöglich? Oder waren sie nur glücklich, weil jetzt Frieden herrschte und die Einquartierungen aufhörten?
In methodischer Hinsicht zeigt sich die Fruchtbarkeit des Begriffs "Wendepunkt", nämlich die Säkularisation als einen nicht bloß kirchen- und verfassungspolitischen Wandel zu begreifen, sondern auch den Vermögenstransfer an Sach- und Grundgütern, die Machtverschiebungen, die Entstehung neuer politischer und rechtlicher Strukturen und den Wandel der konfessionellen Verhältnisse wie des sozialen Status der bisherigen Klosterinsassen in den Blick zu nehmen, ebenso das Ende zahlreicher 14 Universitäten und das Verschwinden der Klöster als Wirtschaftsfaktoren. Neue Karrieren und Karriereroutinen waren nötig, ebenso neue Vorbilder, wie Smolinsky ordnend und anregend entwickelt (18-22). Zukünftigen Forschungen bietet sich hier ein spannendes Untersuchungsfeld.
Anmerkung:
[1] So in dem Patent des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, in dem er seine neuen Untertanen über die Inbesitznahme der ihm von den "Mediations-Convention" zugestandenen Gebiete informiert, 16. September 1802. Der volle Wortlaut der Kontext der entscheidenden Stelle lautet: "Da die anderen Fürsten, u.a. der König von Preußen, und der Kaiser bereits von ihren neuen Ländern Besitz ergriffen hatten und es uns daher für eine Vernachlässigung unserer Ansprüche und für einen Mangel an Aufmerksamkeit auf die uns von den vermittelnden Mächten gegönnte Vorsorge ausgelegt werden dürfte, wenn wir allein hierunter nichts vorkehren würden, um uns des Effekts dieser Vorsorge teilhaftig zu machen, so haben wir für gut befunden, eigene Commissarien mit einiger militärischer Begleitung in obgedachte Lande zur wirklichen, obwohl provisorischen, Besitznahme abzuordnen" (zitiert nach Hans Ammerich, Das Ende des alten Bistums und Hochstifts Speyer, 67-81, hier 73).
Christine Roll