Reinhard Krammer / Heinrich Ammerer (Hgg.): Mit Bildern Arbeiten. Historische Kompetenzen erwerben (= Themenhefte Geschichte; Nr. 2), Neuried: Ars Una 2006, 163 S., ISBN 978-3-89391-741-9, EUR 19,80
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Will man sich das Anliegen des vorliegenden Sammelbandes klarmachen, betont man wohl am besten zunächst nicht das Wort "Bilder" aus dem Titel, sondern aus dem Untertitel "Kompetenzen": Den Herausgebern geht es um die Konturen eines kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts. Bilder sind ein Anwendungsgebiet, auf dem sich die Tauglichkeit des vorgestellten Ansatzes bewähren muss. Der Band vereinigt dazu 10 Beiträge, von denen drei grundlegende Erwägungen zum Kompetenzbegriff und dessen Anwendung auf Bilder anstellen. Die übrigen Texte führen diese Überlegungen exemplarisch an so unterschiedlichen Themen wie Herrscherbildern, Comics, Karikaturen zur Wende 1989 oder Moralvorstellungen in Witzblättern des fin-de-siècle aus. Auch ein Blick auf den Wandel der Bildpräsentation in Geschichtslehrbüchern wird anhand des Schweizer Beispiels "Viele Wege - eine Welt" geboten. Alle in den Texten erwähnten Bilder stehen auf der beiliegenden CD-Rom zur Verfügung.
Das dem Band zugrundeliegende Kompetenzmodell wird von Waltraud Schreiber vorgestellt. Es handelt sich um die Ideen des bereits in zahlreichen anderen Publikationen zur Diskussion gestellten, EU-geförderten Projekts "FUER Geschichtsbewusstsein". Im von Schreiber umrissenen Kompetenz-Struktur-Modell zählt die Methodenkompetenz zusammen mit der Sachkompetenz zu den fachlichen Kompetenzen, denen Frage- und Orientierungskompetenzen angelagert sind. Damit werden wesentliche Ansatzpunkte von Geschichtsbewusstsein in den Kompetenzen angelegt. Die Methodenkompetenz beinhaltet insbesondere die Fähigkeit, Vergangenheit zu "re-konstruieren", zugleich aber auch historische Deutungsangebote zu "de-konstruieren".
Was nun sollen diese Überlegungen der Lehrerin oder dem Lehrer vor der Klasse bringen? Der Herausforderung, die in dieser Frage liegt, begegnet das Projektteam mit der Reihe "Themenhefte Geschichte", von denen in rascher Folge mehrere Bände erschienen sind. In der vorliegenden Ausgabe unternimmt es der Salzburger Geschichtsdidaktiker Reinhard Krammer, in einem Grundlagenbeitrag die Erwägungen des Kompetenzmodells auf die Unterrichtsarbeit mit Bildern zu übertragen. Neben der Förderung von Frage- und Orientierungskompetenzen erweist sich die Arbeit an Bildern insbesondere für die Ausbildung von "Rekonstruktions-" und "Dekonstruktionskompetenzen" als fruchtbar. Hinter dem Begriff "Rekonstruktion" steht die Vorstellung des Kompetenz-Struktur-Modells, Historiker oder Schüler könnten "Vergangenheitspartikel" zusammenfügen und damit Geschichte "rekonstruieren".
Wirklich glücklich gewählt erscheint dieser Begriff nicht. Eher lässt sich vielleicht von "Überlieferungspartikeln" sprechen, aus denen Geschichte "konstruiert" werden kann - gerade aus diesem Konstruktcharakter ergibt sich ja die Notwendigkeit, die Darstellungen der Vergangenheit als stets perspektivengebunden und dekonstruktionsbedürftig zu erkennen. Für die Bilderschließung leistet der Rekonstruktionsbegriff dennoch gute Dienste. Dies gilt unmittelbar, wenn Bildgegenstand und historisches Erkenntnisinteresse eng beieinanderliegen. So zeigt Christian Rohr in einem eingängigen Beitrag, wie sich mittelalterliches Alltagsleben aus Illustrationen in Stundenbüchern "rekonstruieren" lässt. Problematischer wird die Nutzung von Bildern, wenn diese kulturelle Muster preisgeben sollen, die gleichsam hinter dem augenfälligen Thema der Abbildung verborgen sind. Friedrich Öhl demonstriert dies an politischen Plakaten. So sollte ein Wahlplakat der SPÖ von 1949 Frauen zur Wahl der Partei motivieren. Historisch ist dies vor allem interessant, weil es die Rekonstruktion zeitgebundener Frauentypen erlaubt. Die Erschließung eines solchen Plakats erfordert allerdings zahlreiche Hintergrundinformationen, die den Schülern nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen.
Diese Problematik ist nur einer der Gründe, aus denen Bodo von Borries zum Abschluss seines ausführlichen Beitrags zur Dekonstruktion von Bildergeschichten und Historienbildern zu einer eher pessimistischen Schlussfolgerung kommt, was den Stellenwert der Bildanalyse im Geschichtsunterricht betrifft: "Im Ergebnis wird man [...] der 'De-Konstruktion von Bildgeschichten/Historienbildern' zwar einen großen methodischen Charme und eine gewisse Türöffnungsfunktion einräumen, als absolut zentral für den Kompetenzerwerb im Geschichtsunterricht kann man sie allerdings wohl nicht ansehen." (59)
Es ist einer der Vorzüge des Bandes, solche Grenzen der Bilderschließung im Unterricht ebenso zu thematisieren wie deren Potentiale. Allerdings sollte die Betonung der Schwierigkeiten nicht dazu führen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Borries argumentiert beispielsweise, Bilder hätten keine narrative Struktur, könnten also keine Geschichte erzählen (47). Insofern dies ein Plädoyer dafür ist, eher Bilderserien als Einzelbilder im Unterricht einzusetzen, ist der Gedanke sicherlich zutreffend. Doch das richtige "Lesen" kann durchaus auch dem Einzelbild eine Geschichte entlocken. Darauf weist zu Recht Reinhard Krammer in seinem Grundlagenessay hin: "Die im Bild verwendeten Symbole und Zeichen, die zwar eo ipso keine Narration darstellen, aber einzig und allein zu dem Zwecke gesetzt werden, eine solche in den Köpfen der Betrachter auszulösen, haben hier eine ähnliche Funktion wie Buchstaben und Wörter in einem Text. Zur Erzählung werden sie nur für den, der des Lesens kundig ist." (30) Den Schülern diese "Lektürekompetenz" zu vermitteln ist angesichts der semantischen Vieldeutigkeit möglicher Bildelemente zwar kein vollständig erreichbares Ziel; allein das Verständnis für die Komplexität von Bildern zu wecken leistet jedoch bereits einen zentralen Beitrag zum Erwerb historischer Kompetenzen.
Die Aufsätze des Bandes bieten insgesamt ein breites Spektrum an Beispielen für die Verwendung von Bildern im Geschichtsunterricht. Versteht man die Texte als Beiträge zur praktischen Umsetzung des Kompetenz-Struktur-Modells von "FUER Geschichtsbewusstsein", so streben sie letztlich eine mittlere Konkretionsebene an: Sie enthalten viele Überlegungen für die Unterrichtspraxis, doch nicht alle Texte bieten konkrete Vorschläge für die Verwendung der Bilder im Unterricht. Eher geht es darum, anhand zahlreicher Beispiele die grundsätzliche Logik des historischen Kompetenzerwerbs zu umreißen. Entstanden ist daher ein anregender, stellenweise Widerspruch herausfordernder Band, der sowohl in der Kompetenz- wie auch in der Bilddebatte Aufmerksamkeit verdient.
Detlev Mares