Rainer Decker: Hexenjagd in Deutschland (= Geschichte erzählt; Bd. 2), Darmstadt: Primus Verlag 2006, 160 S., ISBN 978-3-89678-320-2, EUR 19,90
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"Unterhaltsam, für jedermann mit Vergnügen zu lesen werden hier spannende historische Themen präsentiert." Mit diesen Worten bewirbt der Verlag auf seiner Webseite die 2006 lancierte Reihe "Geschichte erzählt", die sich an ein interessiertes Laienpublikum richtet und Appetit auf Geschichte wecken soll. Dazu gehört auch, dass die in Halbleinen gebundenen Bändchen graphisch sorgfältig aufgemacht sind und nicht zu Unrecht bibliophile Ansprüche erheben. Dass die Hexenverfolgung unter den "spannenden historischen Themen" nicht fehlen darf, versteht sich von selbst.
Es ist deshalb ein Glücksfall, dass gerade diese von allerhand Unwissen und Vorurteilen befrachtete Materie einem ausgewiesenen Kenner anvertraut worden ist, dessen aufklärerischer Impetus bereits vorausgegangene Buchpublikationen geprägt hat und der über eine in fachwissenschaftlichen Kreisen nicht selbstverständliche pädagogische Sensibilität verfügt. Die gestellte Aufgabe war nicht einfach: Angesichts der blühenden Forschungslandschaft, die eine Regionalstudie nach der anderen hervorbringt, ist es eine Herausforderung, auf vorgegebenen hundertsechzig Seiten das Thema "Hexenjagd in Deutschland" abzuhandeln.
Rainer Decker hat dafür einen exemplarischen Ansatz gewählt: Anders als es der Titel erwarten ließe, bietet er in seinem Buch keine Synthese dar, sondern erzählt die Geschichte der im Frühjahr 1656 in Brakel (Hochstift Paderborn) ausgebrochenen Besessenheitswelle, die - von zwei jungen Frauen ausgehend - rasch weite Kreise zog. Bis zum Sommer 1657 hatte die Besessenheit auf das gesamte Hochstift übergegriffen und an die dreihundert Opfer erfasst. Die Besessenen beschuldigten vermeintliche Hexen und Hexer, ihnen den Teufel in den Leib gezaubert zu haben.
Damit ist zwar die Verbindung zum Thema Hexerei gegeben, doch stellt sich die Frage, inwieweit die geschilderten Ereignisse wirklich typisch sind für die Hexenverfolgung als solche bzw. ob die Besessenheit nicht eine gesondert zu betrachtende Erscheinung darstellt, in deren Rahmen die Hexerei als angebliche Auslöserin eine sekundäre Kategorie bildet. Das Buch konzentriert sich denn auch weniger auf die Hexen beiderlei Geschlechts, von denen rund fünfzig im Laufe der Krise hingerichtet wurden, sondern auf die Besessenen sowie auf die zögerlichen Versuche des Landesherren, Bischof Dietrich Adolf von der Recke, mit der zunehmend untragbar werdenden Lage zu Rande zu kommen.
Von der Recke befand sich in einer ausnehmend schwierigen Lage, da der Paderborner Jesuit Bernhard Löper, der seit Beginn der Affäre im Mai 1656 mit den ersten Teufelsaustreibungen angefangen hatte, die Exorzismen für seine gegenreformatorischen Ziele nutzte und die Besessenen dadurch in ihrem Wahn bestärkte. Dazu drängten die Familien der Betroffenen auf Maßnahmen gegen die Hexen und Hexer. Auf der anderen Seite zeigte sich der zu Rate gezogene Papst Alexander VII. von der Realität der Besessenheit nicht überzeugt. Ein auf Betreiben der römischen Inquisition als Gutachter hinzugezogener Dominikaner riet dazu, die gewalttätig werdenden Besessenen zu isolieren und ihr Gottvertrauen zu stärken, indem er in seiner Expertise schrieb: "Denn der Teufel überwältigt den, der traurig ist. Wenn du das beseitigst, wird er niemandem etwas anhaben können" (80). Es gelang dem Bischof jedoch erst im Herbst 1658, also zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Krise, die Situation zu beruhigen, wobei er u. a. die rabiatesten Besessenen gefangen setzen ließ.
Der Hinweis auf die mäßigende Reaktion Roms ist ein eigentliches "et ceterum censeo" des Autors, der in seinen Publikationen unermüdlich gegen das Vorurteil ankämpft, die Hexenverfolgungen seien eine Ausgeburt der katholischen Kirche und der Päpste. [1] In seinem jüngsten Buch tut er dies auf überzeugende und angenehm zu lesende Art, die einen vergessen macht, dass der allgemein gehaltene Titel dem Bändchen bzw. das Bändchen dem Titel nicht gerecht wird und dass es zum Thema "Hexenjagd in Deutschland" repräsentativere Beispiele geben mag als die Brakeler Besessenheitswelle.
Irritierend wirkt hingegen der Umstand, dass im vorliegenden Buch nicht offen vermerkt wird, dass der Autor diese Geschichte - wenn auch in ausführlicherer Form - bereits einmal geschrieben und publiziert hat. [2] Beim 1994 veröffentlichten "Fallbericht" handelt es sich um nichts anderes als die Brakeler Besessenheitskrise, die nunmehr - in teilweise identischem Wortlaut und mit denselben Illustrationen - ein weiteres Mal zu einer (kompakteren) Darstellung gelangt.
Wieweit die der neuen Reihe gezollten allgemeinen Passagen zur Geschichte des Hexenphänomens an sich ein eigenes Buch rechtfertigen, bleibe dahingestellt, zumal die Erstpublikation erklärtermaßen ebenfalls "gerade auch für interessierte Laien geschrieben worden" ist und sich entsprechend flüssig liest. [3] So kommt der Rezensent zum etwas widersprüchlichen Fazit, dass das neue Bändchen aus aufklärerischen Gründen an sich zu begrüßen ist, dass er dem überdurchschnittlich "interessierten Laien" aber raten möchte, zum ersten Buch zu greifen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Georg Modestin: Rezension von: Rainer Decker: Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition, Darmstadt: Primus Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/04/4467.html (11.09.2007), sowie ders.: Rezension von: Rainer Decker: Magie, Mythen und die Wahrheit, Darmstadt: Primus Verlag 2004, in: Sixteenth Century Journal 36/4 (2005), 1211 f.
[2] Vgl. Rainer Decker: Die Hexen und ihre Henker. Ein Fallbericht, Freiburg u.a. 1994.
[3] Ebd. 8 f.
Georg Modestin