Yvonne zu Dohna: Canova und die Tradition. Kunstpolitik am päpstlichen Hof (= Italien in Geschichte und Gegenwart; Bd. 26), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, 399 S., ISBN 978-3-631-55116-5, EUR 56,60
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Die Forschung zur Wendezeit 'um 1800' hat sich in jüngerer Zeit geradezu in zwei Richtungen gespalten: Während eine Richtung, in Deutschland vor allem durch Werner Busch, Werner Hofmann und Steffi Roettgen vertreten, zu Künstlern, Werken und ihrer Bedeutung forscht, interessiert sich die andere Richtung vornehmlich für die Institutionsgeschichte, namentlich die Entstehung des Museums, die Rolle der Akademien und den Kunstmarkt. Dabei beansprucht die letztere, vor allem aus dem angelsächsischen Bereich kommende und sich meist auf Francis Haskell berufende Richtung eine stärkere historische Fundierung und mithin eine sicherere Methode.
Die nun als Buch vorliegende Dissertation von Yvonne zu Dohna lässt sich sicherlich zu der genannten zweiten, institutionsgeschichtlich orientierten Richtung zählen. Der vollmundige Titel "Canova und die Tradition" führt zunächst in die Irre, denn es geht hier keineswegs um Canovas Bezug zur bildhauerischen Tradition Italiens, sondern wie sich dann durch den Untertitel verrät, um "Kunstpolitik am päpstlichen Hof". Wie sich bei der Lektüre erschließt, spielt der Titel letztlich auf die Versuche unter Pius VI. und unter Pius VII. - vom späten 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert - an, wieder an die große Tradition der Kunstförderung in der Hochrenaissance anzuknüpfen.
Die vierzehn Kapitel des Buches streben den Nachweis von Canovas zentraler Rolle innerhalb der päpstlichen Kunstförderung an, die sich nicht nur in den Ausstattungskonzepten der neuen Museen wie des Museo Chiaramonti, der vatikanischen Pinakothek und des Braccio Nuovo zeige, sondern insbesondere auch durch Canovas Bedeutung für die Verteidigung und dann auch für die Rückführung des italienischen Kulturguts. Ein großes Thema, zu dem ein gewaltiger Literaturberg existiert, den Dohna umfassend zur Kenntnis genommen und verarbeitet hat. Die Hauptthese der zentralen Rolle Canovas ist allerdings nicht so neu und in der einschlägigen Literatur längst ein Gemeinplatz, weshalb sich natürlich die Frage stellt, inwieweit die vorliegende Arbeit über die bisherige Forschung hinausgeht, oder ob "Canova und die Tradition" nur eine lesbare Kompilation der teilweise disparat veröffentlichten Forschung darstellt.
Die hierfür entscheidenden Kapitel sind die beiden abschließenden zur Errichtung und Ausstattung des Braccio Nuovo und zum Freskenzyklus des Museo Chiaramonti, die beide bereits Gegenstand umfassender Studien, zum Teil aus jüngerer Zeit, waren. In der Analyse des musealen Konzeptes zum Braccio Nuovo kann Dohna überzeugen. Auch ihre ausführliche Kontextualisierung des päpstlichen Projekts mit den neuen Antikenmuseen in Berlin und München profiliert schlüssig den zeitgenössischen Rahmen. Problematisch wird es hier wie an vergleichbaren Stellen der Arbeit allerdings, wenn es um die Wertung von Werken und Projekten geht. So kann angesichts von Sterns Fassade des Braccio Nuovo kaum von der "eindrucksvollsten Fassade des Vatikans" (123f.) gesprochen werden, und auch die Bezeichnung des Flügels als "Höhepunkt des päpstlichen Mäzenatentums" (139) - in einem Atemzug mit dem Petersplatz - scheint eine groteske Verzerrung der Wertigkeiten, die darin gipfelt, dass der Braccio Nuovo über die Grande Galerie des Louvre gestellt wird. Die Überschätzung der eigenen 'Helden' ist sicherlich ein typisches Phänomen von Dissertationen, doch sollte dies nicht so weit gehen wie hier, wo schließlich Papst und Canova in ihrem 'Kunstwollen' gleichgeschaltet werden und das ikonographische Programm des Flügels - so weit man überhaupt von einem solchen sprechen kann - nicht nur auf Canova zurückgeführt wird, was sicherlich in weiten Teilen korrekt ist, sondern dieses auch noch als Ausdruck des päpstlichen Triumphes über Frankreich interpretiert wird. Die Komplexität und Finesse des feinfühligen Aufstellungs- und Ausstattungsprogramms entgeht auf diese Weise der Analyse, ebenso wie die damit verbundene Konzeption künstlerischer Qualität, die in dem vermeintlichen Werk des am meisten bewunderten Künstlers der Antike, Phidias - dem Zeus von Otricoli -, in der Exedra des Flügels gipfelte und keineswegs in einem Programm politischer Ikonographie.
Yvonne zu Dohnas Ausführungen zum Freskenzyklus des Museo Chiaramonti knüpfen an Hiesingers grundlegende Studie zum Zyklus an [1], die sie in der Erklärung der Kontexte wortreich erweitert, dabei aber genauso neuere Literatur zum bedeutendsten Künstler des Zyklus - Francesco Hayez - ignoriert [2], wie sie das vielschichtige Problem der nazarenischen Malerei in Rom, das für die Freskenfolge entscheidende Bedeutung besitzt, nur oberflächlich abhandelt und dabei hinter den Forschungsstand von Hiesinger zurückfällt. Denn so interessant die Ankündigung, mehr über Canovas Verhältnis zu den Nazarenern zu erfahren, zunächst klingt, muss man leider feststellen, dass sogar bei Hiesinger wiedergegebene Belegstellen willkürlich verkürzt werden, um Canovas ziemlich widersprüchliches Verhältnis zu den deutschen Lukasbrüdern positiv zu zeichnen.
Wie unverzichtbar der Bezug auf Werke auch für vermeintlich rein historisch argumentierende Arbeiten ist, zeigt sich vor allem an den genannten Problemen. Das Fehlen eines solchen Bezugs wird in Dohnas Arbeit leider sogar am Abbildungsteil ersichtlich, in dem nicht nur Canovas Spätwerk, der Wiener Theseus erschlägt den Kentaur als das Frühwerk Theseus als Sieger über den Minotaurus in London ausgewiesen wird (Abb. 3), sondern auch anstelle des Gipsmodells zur Religio für St. Peter in der Accademia di San Luca nur eine weitere Ansicht der Protestantischen Religion in Belton (Abb. 85 und 86) zu sehen ist, deren Unterschiede keineswegs nur marginal sind.
Yvonne zu Dohnas Buch bietet einen guten Einstieg in das umfangreiche Thema der päpstlichen Kunstförderung in Rom zwischen ca. 1780 und 1830. Auch die zentralen Fragen der Kunstpolitik in den schwierigen Jahren der napoleonischen Hegemonie über Europa sind mit dem Schwerpunkt auf Rom angesprochen und werden in einer gesamteuropäischen Perspektive diskutiert, wobei die Nationalisierung von Kunst und Museen deutlich konturiert wird. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Rehabilitierung dieser meist als Verfallszeit beschriebenen Kunstepoche in Rom.
Anmerkungen:
[1] Ulrich Hiesinger: Canova and the frescoes of Galleria Chiaramonti, in: The Burlington Magazine, 120, 1978, 655-665.
[2] Fernando Mazzocca: Francesco Hayez. Catalogo ragionato, Milano 1994.
Johannes Myssok