Václav Filip / Karl Borchardt: Schlesien, Georg von Podiebrad und die römische Kurie (= Wissenschaftliche Schriften des Vereins für Geschichte Schlesiens; Bd. 6), Würzburg: Verein für Geschichte Schlesiens 2005, 324 S., ISBN 978-3-931889-06-7, EUR 27,00
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Das Buch verdankt sich einem Forschungsprojekt des Gerhard-Möbus-Instituts für Schlesienforschung an der Universität Würzburg und besteht aus zwei Teilen: einem darstellenden Teil, der auf knapp zweihundert Seiten die Geschichte Schlesiens und insbesondere Breslaus in der Podiebrad-Zeit erfasst, und einem editorischen Teil, der 32 Quellenstücke aus unterschiedlichen Bereichen dieses generellen Kontextes bietet. Grundanliegen des Bandes ist es, einen Beitrag zur Erforschung eines "raumbezogenen Gemeinschaftsbewusstseins" am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit zu leisten, unter der Prämisse, dass die folgenden nationalen oder regionalen Identitäten davon geprägt sein könnten (7). Konkret geht es um den klassischen Antagonismus von Herrschern und Ständen, der sich in Schlesien dadurch auszeichnet, dass die Krone Böhmens wohl das große Dach in staatlich-politischer Hinsicht darstellte, die Distinktion gegenüber dem Land Böhmen aber angesichts der vehementen Ablehnung des Hussitismus in Schlesien kaum ausgeprägter hätte sein können. Dies, wie auch die innerschlesischen Differenzierungen, deren wichtigste wohl die Opposition der meisten Landesteile gegen den Vormachtanspruch der Stadt Breslau war, lassen schon die schlesische Geschichte in dieser Zeit als bevorzugtes Forschungsfeld erscheinen. Hinzu kommt die noch nicht abgeschlossene Untersuchung der Podiebrad-Epoche auch für die gesamt-böhmischen Belange. Immerhin geht es dabei nicht mehr um die eigentliche hussitische Zeit in Böhmen, die "Hussitische Revolution" ist vorbei, und das Bemühen der politischen Akteure um eine neue "Normalität" ist greifbar.
Die Darstellung widmet sich diesen Aspekten in fünf Kapiteln: Zunächst wird die Rolle Breslaus in Schlesien bis 1437 charakterisiert, d.h. bis zum Abtreten der Luxemburger. Von den weiter wirkenden Komponenten der Politik werden hier schon die Aktivitäten des Breslauer Bischofs und diejenigen der benachbarten Jagiellonenkönige ersichtlich. Das zweite, sehr viel ausführlichere Kapitel ist dem Aufstieg Georgs von Podiebrad gewidmet. Die Verklammerung zwischen der böhmischen und der schlesischen Geschichte wird von Anfang an sichtbar gemacht - vor allem wenn es um militärische Aktionen geht, in die Polen involviert war (27). Aber auch der dritte Akteur, die römische Kurie, kommt frühzeitig ins Spiel (43), schließlich befinden wir uns noch in der Zeit des Basler Konzils (1431-1449), in der ein konkurrierendes Werben von Papst und Konzil um die jeweilige Obödienz politikgestaltend in ganz Europa wurde. Podiebrads "bedingte Anerkennung als König" bildet das dritte Kapitel, in dem das Gewicht Schlesiens und vor allem die Politik Breslaus stärker hervortreten. Den Zenit der Bedeutung Schlesiens in einem Machtkampf, der phasenweise ganz Mitteleuropa bewegte, markieren die Kämpfe mit Georg von Podiebrad (dazu das vierte Kapitel). An Konfliktlinien begegnen sich nicht nur politische Rivalitäten und konfessionelle Unterschiede, sondern auch deren Spezifizierung in wechselnden Konstellationen: König gegen Stadt (Breslau), Fürstentümer gegen Stadt, König gegen Adel, Papst gegen König - aber auch: König mit Kaiser, König mit Katholiken in Böhmen, König mit Deutschen in Böhmen, König mit deutschen Fürsten, Bischof gegen Papst (bzw. dessen Legaten). Für die engeren schlesischen Belange stellt sich dieses theatrum an politischen Konsonanzen und Dissonanzen, die keineswegs unveränderlich waren, als struktureller Gewinn dar: Schlesien stand im Zentrum des politischen Interesses Podiebrads (130ff.). Zwar kehrte sich dadurch nicht die klassische Rollenverteilung um und Böhmen "blieb das Herzland der Wenzelskrone" (138). Aber deutlich wird zum einen, dass das Gewicht der "Peripherie" in dieser Zeit anstieg, und dass sich mit Breslau so etwas wie ein Zentrum innerhalb der Peripherie herauszubilden begann. Die Verfasser sehen ein regelrechtes "Hegemonialstreben" Breslaus in Form einer expansiven Außenpolitik (195), als dessen Ursache sie innenpolitische Querelen verantwortlich machen. Was nicht ganz klar wird, ist der Inhalt dessen, was den Breslauer Führungsanspruch in Schlesien ausmacht (147); hier hätten die Verfasser die dazugehörige Perspektive aufzeigen müssen. Verwiesen wird auf den Einfluss fanatischer Prediger in der Stadt auf die Ausrichtung der Politik - über eine Mobilisierung der städtischen Bevölkerung (158). Das fünfte und letzte Kapitel ist überschrieben "Schlesischer Pluralismus nach 1471" und bringt damit auf den Punkt, dass mit dem Tod Podiebrads die Auseinandersetzungen innerhalb der Krone Böhmens nicht länger unter dem Signum des Religionskrieges geschehen konnten. Aber nicht nur konfessionell pendelte sich die Lage in einer Duldung mehrerer Optionen ein, sondern auch politisch: Da die schlesischen Partikulargewalten eher das Königtum als das Vormachtstreben Breslaus akzeptierten, wurde der Weg in einen auch sonst für Ostmitteleuropa nicht untypischen Polyzentrismus bereitet (198). Die ausgewählten Texte ergänzen die Darstellung an verschiedenen Punkten: Entstanden an der römischen Kurie (und erwähnt im Repertorium Germanicum), betreffen sie die Politik der Breslauer Bischöfe genauso wie diejenige gegenüber Georg von Podiebrad.
Das Werk als Ganzes ist ein Musterbeispiel moderner Politikgeschichte. Das bezieht sich auf die Form des Darstellungsteils, der als Konzentrat (wiewohl gut lesbar) gelten darf, und der das Spektrum der außenpolitischen Möglichkeiten jener Zeit quellennah und doch in der nötigen übergreifenden schlesisch-böhmisch-kaiserlich-päpstlich-ungarischen Perspektive vor Augen führt. Nicht der sonst übliche schlesische Provinzialismus (der Historiker) hat hier die Oberhand, sondern die Internationalisierung der schlesischen Geschichte. Der Gewinn ist auf zwei Ebenen zu sehen: für die schlesische Geschichte, weil sie hier - vielleicht zum ersten Mal ganz konsequent - in die böhmischen Zusammenhänge eingebettet wird; für die Diplomatiegeschichte allgemein, weil die konfessionellen und nationalen, zentralen und regionalen Koalitionsoptionen herausgearbeitet werden. Kirchliche und staatliche Politik erweisen sich als grundsätzlich flexibel nach allen denkbaren Seiten hin; dies ist ein Argument dafür, das 15. Jahrhundert in der konventionellen Terminologie eher der Neuzeit als dem Mittelalter zuzuschlagen. Die reiche Bibliographie (zu der man vielleicht noch die Acta Nicolai Gramis und die Biographie zu Ulrich von Rosenberg von Anna Kubíková hinzufügen könnte) und das gediegene Register machen das Buch auch zu einem Baustein für allgemeineuropäische politikgeschichtliche Fragestellungen.
Thomas Wünsch