Martin Mulsow / Jan Rohls (eds.): Socinianism and Arminianism. Antitrinitarians, Calvinists and Cultural Exchange in Seventeenth-Century Europe (= Brill's Studies in Intellectual History; Vol. 134), Leiden / Boston: Brill 2005, ix + 306 S., ISBN 978-90-04-14715-7, EUR 103,00
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Die Antitrinitarierforschung ist bis heute ein Stiefkind der Religions- und Kirchengeschichtsschreibung. Sieht man von Michael Servet (1511-1553) ab, der durch seine Auseinandersetzung mit Johannes Calvin und seinen spektakulären Tod auf dem Scheiterhaufen Berühmtheit erlangte, so haben bisher nur wenige Antitrinitarier das Interesse von Wissenschaftlern geweckt. Darstellungen, die sich umfassender mit dem Phänomen des Antitrinitarismus befassen, existieren nur begrenzt, und datieren zum Teil Jahrzehnte zurück. Klassiker wie Delio Cantimoris "Italienische Häretiker der Spätrenaissance" (1949; Originalausgabe 1939), Stanislaw Kots "Socianianism in Poland" (1957; Originalausgabe 1932), Antal Pirnáts "Die Ideologie der Siebenbürger Antitrinitarier in den 1570er Jahren" (1961) oder Earl Morse Wilburs "A History of Unitarianism, Socinianism and its Antecedents" (1945) sind bis heute nur durch die Arbeiten einiger weniger Autoren, überwiegend italienischer, polnischer oder ungarischer Wissenschaftler, ergänzt. Eine deutsche Antitrinitarierforschung existiert nicht.
Dabei sind die Antitrinitarier ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Religions- und Kulturgeschichte. Als Anhänger eines strengen Biblizismus und einer scharfen Dogmenkritik gelten sie nicht nur als Vertreter der "Radikalen Reformation" (George Huntston Williams: The Radical Reformation, 1962), sondern auch als Vorläufer des englischen Deismus und der Frühaufklärung (Zbigniew Ogonowski: Der Sozianismus und die Aufklärung, in: Paul Wrzecionko (Hg.): Reformation und Frühaufklärung in Polen (1977), 78-156). Gleichzeitig ist Antitrinitarismus - in der Form von Arianismus, Sozinianismus oder Sabellianismus - einer der bedrohlichsten und am häufigsten erhobenen Vorwürfe, die die frühneuzeitliche Kontroverstheologie kennt.
Um so wichtiger ist, dass sich mit Martin Mulsow und Jan Rohls jetzt wieder zwei Wissenschaftler von einer deutschen Universität aus dem Forschungsfeld zugewandt und einen Band publiziert haben, der zu einer Belebung der Antitrinitarierforschung anregen und diese gleichzeitig durch einen neuen methodischen Zugang maßgeblich ändern soll. Antitrinitarierforschung, so die Herausgeber, soll fortan nicht mehr im Rahmen nationaler Kirchen- oder Literaturgeschichtsschreibung betrieben werden. Stattdessen sollen am Beispiel der Antitrinitarier paneuropäische Netzwerke, Migrationsbewegungen und Kulturtransferprozesse studiert werden. Im Mittelpunkt ihres Bandes steht für Mulsow und Rohls die Frage, welche Beziehungen die Antitrinitarier des 17. Jahrhunderts zu den gemäßigten Calvinisten in Frankreich, Holland und England unterhielten, wie sie als Kulturvermittler agierten und wie die neuen Kulturkontakte wiederum ihr eigenes Denken und Schreiben beeinflussten. Alle Beiträge gehen auf ein Symposium zurück, das die Herausgeber im Rahmen des Sonderforschungsbereichs "Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit" im Sommer 2003 an der Münchener Ludwig-Maximilian-Universität veranstaltet haben.
Gegliedert ist der Band in fünf Abschnitte: Im ersten Abschnitt ("Introduction") leitet Jan Rohls in die religiöse und politische Kultur der Vereinigten Niederlande zu Beginn des 17. Jahrhunderts und die innercalvinistischen Auseinandersetzungen zwischen Arminianern und Gomaristen ein, die immer auch mit der Diskussion des Sozinianismus verbunden waren. Martin Mulsow widmet sich in einem programmatischen Aufsatz den "Neuen Sozinianern" des späten 17. Jahrhunderts, Männern wie Christoph Sand (1644-1680), Noel Aubert de Versé (1645-1714) und Samuel Crell (1660-1747), die als Kulturvermittler zwischen England und den Niederlanden wirkten, und, selbst Produkte des Transferprozesses, an dem sie beteiligt waren, einen neuen Stil der "Dialogizität" in ihrer Dogmenkritik entwickelten.
Im zweiten Abschnitt ("French Connections ") stellt Didier Kahn den Alchemisten und Antitrinitarier Nicolas Barnard (um 1539-1604) vor.
Florian Mühlegger, Hans W. Blom und Dietrich Klein gehen im dritten Abschnitt ("Arminianism and Religious Plurality") den Bemühungen des niederländischen Rechtsgelehrten und Staatsmanns Hugo Grotius (1583-1645) um eine Pluralisierung des Christentums nach. In diesem Zusammenhang diskutieren sie den Vorwurf des Sozinianismus, dem Grotius ausgesetzt war, seit er in der Auseinandersetzung über die Berufung Conrad Vorstius (1569-1622) auf den nach dem Tod von Jacobus Arminius (1560-1609) vakanten Lehrstuhl für Theologie an der Leidener Universität für die liberale Religionspolitik der Staaten von Holland Partei ergriffen hatte.
Im vierten Abschnitt ("From Poland to the Netherlands") untersucht Roberto Bordoli Hans Ludwig Freiherr von Wolzogens (1600-1661) Kommentar zu René Descartes "Meditationes de prima philosophia". Luisa Simonutti analysiert die Werke Samuel Przypkowskis (1592-1670). Ihr Beitrag ist insofern paradigmatisch für den Band, als er am konkreten Beispiel von Przypkowskis "Dissertatio de pace et concordia ecclesiae" herausstellt, wie arminianisches Gedankengut in eine antitrinitarische Schrift einging und diese so sehr prägte, dass sie am Ende nicht nur von einem der renommiertesten remonstrantischen Theologen seiner Zeit, nämlich von Philipp van Limborch (1633-1712), neu herausgegeben wurde, sondern in der Edition von 1630 selbst für ein Werk des Simon Episcopius (1583-1643) gehalten wurde.
Im fünften Abschnitt ("English Quarrels") beschäftigt sich Sarah Hutton mit den Auseinandersetzungen, die in den Kreisen der Cambridge Platonisten um Henri More (1614-1687) über die Trinität geführt wurden. Douglas Hedley führt in die Trinitarische Kontroverse ein, die durch Steven Nyes "A Brief History of the Unitarians" (1687) ausgelöst wurde und bis ins 18. Jahrhundert - unter anderem auf George Berkely (1685-1753) - Wirkung zeigte. Schließlich macht Stephen David Snobelen auf Parallelen im theologischen, historischen und politischen Denken Isaac Newtons (1643-1727) und der Sozinianer aufmerksam. Gleichzeitig stellt er Überlegungen an, durch welche Bücher und Kontakte Newton über antitrinitarische Denkmodelle informiert war und inwieweit von einem direkten Einfluss dieser Denkmodelle auf den Naturphilosophen ausgegangen werden muss.
Mulsow und Rohls ist mit ihrem "Socinianism and Arminianism" ein beeindruckender Neuansatz gelungen. Sicherlich weisen nicht alle Beiträge des Bandes dasselbe Reflektionsniveau auf. Und sicherlich hätten die Herausgeber gut daran getan, dem nicht immer mit der Materie vertrauten Leser eine Einleitung zur Verfügung zu stellen, die ihn nicht nur mit den niederländischen Konstellationen, sondern allgemeiner mit dem Sozinianismus und den Migrationsbewegungen der Sozinianer von Italien über Polen und Siebenbürgen in die Niederlande und England vertraut macht. Doch einzelne Beiträge wie eben derjenige von Simonutti oder auch die Einführung von Mulsow belegen eindrücklich, wie vielversprechend das Forschungskonzept ist, das die Herausgeber vorlegen. Und sie lassen hoffen, dass mit dem neuen Konzept auch das Thema der Antitrinitarier neue Attraktivität gewinnt. Denn das Defizit, auf das Snobelen am Ende seines Beitrags aufmerksam macht, betrifft nicht nur die Newton-, sondern die gesamte Antitrinitarierforschung. Und das Thema ist zu wichtig und zu interessant, um in Vergessenheit zu geraten.
Sina Rauschenbach