Rezension über:

András Forgó: Kirchliche Einigungsversuche in Ungarn. Die Unionsverhandlungen Christophorus Rojas y Spinolas in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Bd. 212), Mainz: Philipp von Zabern 2007, VI + 211 S., ISBN 978-3-8053-3776-2, EUR 36,00
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Rezension von:
Joachim Bahlcke
Historisches Institut, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Bahlcke: Rezension von: András Forgó: Kirchliche Einigungsversuche in Ungarn. Die Unionsverhandlungen Christophorus Rojas y Spinolas in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Mainz: Philipp von Zabern 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/02/13434.html


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András Forgó: Kirchliche Einigungsversuche in Ungarn

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Wer aus religions- und kirchengeschichtlichem Blickwinkel die Schwerpunkte der deutschen Frühneuzeitforschung in den letzten ein, zwei Jahrzehnten betrachtet, der wird ein behutsames Abrücken jener markanten Fixierung auf Luther und das "Jahrhundert der Reformation" feststellen können, das seit dem Aufstieg der protestantisch-borussischen Geschichtsschreibung im frühen 19. Jahrhundert - unter wechselnden Fragestellungen und unterschiedlichen methodischen Zugriffen - stets starke Aufmerksamkeit erfahren hat. Dieses Abrücken lässt sich zeitlich in beide Richtungen beobachten. So gerät einerseits aus mediävistischer Sicht die vermeintlich feste, von anderen Teildisziplinen schon seit langem diskutierte Epochengrenze um 1500 immer stärker ins Wanken, werden die Entwicklung religiöser Pluralität innerhalb der lateinischen Christenheit und die Geschichte toleranter, auf konfessionelle Koexistenz abzielender Konfliktlösungen bereits vor der lutherischen Reformation des 16. Jahrhunderts mit wachsender Intensität untersucht. [1] Andererseits wird die Annahme, dass mit der Zäsur des Jahres 1648 im römisch-deutschen Reich nicht nur das Nebeneinander unterschiedlicher Konfessionskirchen endgültig verrechtlicht, sondern auch ein Ende des "konfessionellen Zeitalters" erreicht worden sei, zunehmend in Frage gestellt. Das Fortleben konfessionell motivierter Gewalt namentlich auf der Alltagsebene und allgemein die Bedeutung des Konfessionellen in einer sich nur partiell säkularisierenden Gesellschaft werden in diesem Zusammenhang ebenso thematisiert wie Uneindeutigkeiten konfessioneller Identitäten sowie inter- und transkonfessionelle Beziehungen. Dabei wurde auch ein altes Thema neu entdeckt, das angesichts der scheinbar allgegenwärtigen Forderung nach 'Ökumene' als gut erforschtes Terrain gelten sollte, tatsächlich allerdings über Jahrzehnte hinweg von der interdisziplinär interessierten Frühneuzeitforschung nahezu vollständig vernachlässigt wurde: das Bemühen um eine Vereinigung der seit der Reformation getrennten Kirchen, das beinahe so alt ist wie die Kirchenspaltung selbst. [2]

Bei den unterdessen vorliegenden Arbeiten, die sich allgemein der Annäherung der christlichen Konfessionen im 17./18. Jahrhundert, Kirchenunionsgesprächen und irenischen Bestrebungen widmen, taucht ein Name immer wieder auf: der des spanischen Franziskanerpaters und späteren Bischofs von Wiener Neustadt, Christóbal de Gentil de Rojas y Spinola. Er war im Jahr 2000 sogar - zusammen mit dem lutherischen Abt des Zisterzienserklosters Loccum und Kirchendirektor im Herzogtum Hannover Gerard(us) Wolter(ius) Molan(us) - Gegenstand einer Dissertation an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. [3] Massers umfangreiche und in Teilen durchaus neues Quellenmaterial erschließende, konzeptionell und methodisch aber wenig überzeugende Arbeit blendete gerade bei Spinola einen Bereich vollständig aus: seine vielfältigen, in der älteren Geschichtsforschung als randseitig beurteilten Beziehungen und Kontakte zu Ungarn. Dort war er 1666 durch den König kraft dessen Nominationsrecht zum Titularbischof von Knin ernannt worden - einem Bischof der Ungarischen Krone, nicht zu verwechseln mit den "episcopi in partibus infidelium", die von Rom auf den Titel untergegangener, im Herrschaftsgebiet der 'Ungläubigen' befindlicher Bistümer in Kleinasien, den Mittelmeerinseln und Nordafrika promoviert und konsekriert wurden. Diese Lücke versucht der ungarische Historiker András Forgó in seiner von Peter Claus Hartmann betreuten Mainzer Dissertation zu schließen.

Der Titel der für eine historische Dissertation ungewöhnlich schmalen Studie - zieht man den kurzen Quellenanhang, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Register ab, verbleiben 150 Textseiten - ist irreführend. Der im Untertitel genannte Rojas y Spinola steht symbolhaft für die letzten ernsthaften Bemühungen, die konfessionelle Spaltung zwischen der römisch-katholischen und der lutherischen Kirche beziehungsweise einem Teil der unterdessen etablierten lutherischen Landeskirchen zu überwinden. Tatsächlich geht Forgó auf die entsprechenden Unionsverhandlungen Rojas y Spinolas in Ungarn jedoch erst im letzten Drittel seiner Studie ein (117-150). Davor stehen die bereits wesentlich früher einsetzenden Einigungsversuche zwischen katholischer und orthodoxer Kirche in den Ländern der ungarischen Stephanskrone im Mittelpunkt (49-86), die freilich eine ganz eigene Motivation - und nicht zufällig auch einen ungleich größeren Erfolg - hatten. Eingebettet ist dieses Kapitel, zu dem umfassende Quellensammlungen und Forschungsbeiträge vorliegen, durch allgemeingeschichtliche, in jedem Handbuch nachzulesende Ausführungen zu "Kirche und Politik in Ungarn, im Zeitalter der osmanischen Eroberung" (11-48) sowie einen Überblick über "Die Reunionsversuche zwischen Katholiken und Protestanten im Heiligen Römischen Reich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts" (87-116), der ebenfalls aus der Fachliteratur erarbeitet wurde und nur punktuell den bisherigen Wissensstand zu erweitern vermag. Die in den Schlussbetrachtungen zu findende Aussage, "im Mittelpunkt" der vorliegenden Untersuchung hätten "die Reisen des Bischofs von Wiener Neustadt im Königreich Ungarn in den Jahren 1691 und 1692" gestanden, ist nicht nachvollziehbar. Man hat ein wenig den Eindruck, dass die spätere Anlage der Arbeit der dürftigen Quellenlage geschuldet ist, wenn der Autor fortfährt: "Es existieren keine Protokolle seiner [Rojas y Spinolas] Verhandlungen und die Berichte über die Reisen sind - wie wir gesehen haben - sehr lückenhaft. Von vielen katholischen und evangelischen Persönlichkeiten, deren Stellungnahme für die Beurteilung dieses Projekts vorteilhaft gewesen wäre, besitzen wir keine Äußerungen über Rojas' Tätigkeit. So mussten viele Fragen in Bezug auf diese Unionsbemühungen offen bleiben" (153).

Im Ergebnis glaubt der Autor für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts in Ungarn einen "engen Zusammenhang" (151) zu erkennen zwischen den Unionsbemühungen von römisch-katholischer, orthodoxer und protestantischer Seite. Nur drei Seiten später heißt es deutlich einschränkend dagegen, dass die Heranziehung paralleler "und zum Teil in Zusammenhang stehender Unionsprojekte" (154) verdeutlicht habe, dass Rojas y Spinolas Unionstätigkeit in Bezug auf die Protestanten des Königreichs Ungarn keineswegs ein isolierter Einigungsversuch gewesen sei. Mit Blick auf die beteiligten Parteien und den Hof allein wird dies allerdings kaum zu beantworten sein, dazu müsste die Position Roms genauer untersucht und auch die Haltung der römisch-katholischen Hierarchie präziser herausgearbeitet werden. Nur relativ allgemein auf die "Schwierigkeiten" (134) mit dem Episkopat zu verweisen oder dessen Renitenz gar einer "kurzsichtigen Politik" (151) zuzuschreiben, greift zu kurz. Aufs Ganze gesehen wird der mit der Entwicklung Ungarns wenig oder gar nicht vertraute Leser gewiss einen ersten Einblick in das im einzelnen komplizierte Mit-, Neben- und Gegeneinander der verschiedenen konfessionellen Gruppen gewinnen. Eine der renommierten Schriftenreihe des Instituts für Europäische Geschichte Mainz angemessene, methodisch und konzeptionell überzeugende Darstellung, die unseren Kenntnisstand deutlich erweitern würde, wird er indessen nicht erwarten dürfen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. exemplarisch die wertvolle, in Deutschland bisher nicht rezipierte Studie von Jean Bérenger: Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415-1792). Paris 2000.

[2] Den aktuellen Forschungsstand dokumentieren die Sammelbände von Harm Klueting (Hg.): Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert (Hildesheimer Forschungen, 2), Hildesheim u.a. 2003; Heinz Duchhardt / Gerhard May (Hgg.): Union - Konversion - Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 50), Mainz 2000; Hans Otte / Richard Schenk (Hgg.): Die Reunionsgespräche im Niedersachsen des 17. Jahrhunderts (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 37), Göttingen 1999.

[3] Karin Masser: Christóbal de Gentil de Rojas y Spinola O.F.M. und der lutherische Abt Gerardus Wolterius Molanus. Ein Beitrag zur Geschichte der Unionsbestrebungen der katholischen und evangelischen Kirche im 17. Jahrhundert (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 145), Münster 2002.

Joachim Bahlcke