Rezension über:

Florin Curta: Southeastern Europe in the Middle Ages 500-1250 (= Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge: Cambridge University Press 2006, xxxviii + 496 S., ISBN 978-0-521-89452-4, GBP 19,99
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Rezension von:
Daniel Ziemann
Historisches Seminar, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Ziemann: Rezension von: Florin Curta: Southeastern Europe in the Middle Ages 500-1250, Cambridge: Cambridge University Press 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 4 [15.04.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/04/11790.html


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Florin Curta: Southeastern Europe in the Middle Ages 500-1250

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Das Buch stellt in mehrerlei Hinsicht etwas durchaus Neues dar. Neben dem dezidiert interdisziplinären Zugriff, welcher der Archäologie neben der Geschichtswissenschaft ein bedeutendes Gewicht zukommen lässt, betrifft dies auch den behandelten Raum wie ihn Florin Curta definiert. Er verzichtet bewusst auf den ohnehin schwierigen Begriff des Balkans und möchte stattdessen Südosteuropa als Ganzes in den Blick nehmen, wobei er auch die Gebiete des heutigen Ungarn, Rumänien, Moldawien und der Ukraine behandelt.

Die Erfassung dieses gewaltigen Raumes ist ein hinsichtlich der Materialfülle gewagtes, gleichwohl thematisch gut zu rechtfertigendes Unterfangen, lassen sich auf diese Weise doch Besonderheiten und Parallelen verdeutlichen, die ansonsten in der meist vorherrschenden Fokussierung auf eine ethnische Gruppe oder ein heutiges Staatsterritorium vernachlässigt werden.

Mit Florin Curta, der früher am Vasile Pârvan-Institut für Archäologie der Rumänischen Akademie der Wissenschaften tätig war, und heute die Stellung eines "Associate Professor" für "Medieval History and Archaeology" an der University of Florida innehat, nahm sich ein für diesen Raum bestens ausgewiesener Spezialist dieses Themas an.

Die einzelnen Kapitel folgen einer chronologischen Ordnung, während sich die Unterkapitel auf Teilregionen konzentrieren.

Das erste, das 6. Jahrhundert umfassende Kapitel greift die häufig diskutierte Frage nach Kontinuität oder Neubeginn zwischen Spätantike und Frühmittelalter auf. Dabei wird zu verschiedenen Themenbereichen ein kurzer Abriss der zentralen Entwicklungslinien gegeben. Hierzu zählen beispielsweise die baulichen Veränderungen vieler städtischer Zentren im 6. Jh. ebenso wie das Verschwinden der villae rusticae, die Übernahme administrativer Aufgaben durch den Klerus oder die politischen und sozialen Veränderungen durch die Plünderungszüge der einfallenden Völkerschaften. Erst um 620 sieht Curta eine endgültige Aufgabe der Donaugrenze.

Im zweiten, mit der Überschrift "Dark ages" versehenen und den Zeitraum zwischen 600 und 800 umfassenden Kapitel werden nacheinander das Awarenkhaganat, das Bulgarenreich und die europäischen Teile des Byzantinischen Reiches abgehandelt. Neben den byzantinischen Autoren werden auch die umfangreichen archäologischen Forschungen zu den Awaren und Bulgaren herangezogen. Entsprechend der Ausrichtung des Buches wird meist der jeweilige Forschungsstand resümiert, ohne alle Einzelprobleme diskutieren zu können. Dennoch bezieht Curta zu einigen aktuellen Fragen Position. So lokalisiert er "Großbulgarien" beiderseits des Dnjepr und damit weiter westlich als der Großteil der bisherigen Forschung. Hinsichtlich der bulgarischen Herrschaftsbildung im Gebiet der unteren Donau weisen seiner Meinung nach Hortfunde auf anfänglich gute Beziehungen zwischen Byzanz und den eingewanderten Bulgaren hin, die erst mit dem für die Bulgaren erfolgreichen Krieg von 681 ihr Ende gefunden hätten. Im Rahmen der Diskussion um Pliska, der meist als erste bulgarische Hauptstadt angesprochenen Ruinenstadt in der Nähe des heutigen Schumen, betont Curta das Fehlen von früher als auf das späte 8. Jahrhundert zu datierenden Gegenständen.

Unter dem Titel "The rise of new powers" wird im dritten Kapitel das 9. Jahrhundert behandelt, wobei einzelne Abschnitte Großmähren, Kroatien und Bulgarien gewidmet sind. Auch hier bezieht Curta Stellung zu teilweise vieldiskutierten Fragen. So lokalisiert er Großmähren in traditioneller Weise nördlich der Donau. Die Schrift De administrando imperio des Konstantinos Porphyrogennetos deutet er in erster Linie aus dem Kontext des 10. Jahrhunderts und zweifelt an ihrem Erkenntniswert für die kroatische Frühgeschichte. Was Bulgarien anbelangt, so interpretiert Curta den vieldiskutierten Titel "kana sybigi" Khan Omurtags als Äquivalent des byzantinischen Kaisertitels Basileus. Er sieht es zudem als erwiesen an, dass sich nach der Entscheidung des bulgarischen Herrschers Boris/Michael für eine Zugehörigkeit zur Kirche von Konstantinopel in Pliska der erste erzbischöfliche Sitz befunden habe. Curta schließt sich auch der einst von Vasil Zlatarski vorgebrachten und in Bulgarien nach wie vor gängigen Meinung an, dass 893 in Preslav eine Versammlung stattgefunden habe, bei der neben einer Verlegung der Hauptstadt von Pliska nach Preslav auch das Altbulgarische zur offiziellen Staatssprache erklärt worden sei. Inzwischen mehren sich jedoch Stimmen, die diese These in Zweifel ziehen.

Mit "Iron Century or Golden Age" überschreibt Curta das 10. Jahrhundert. Einige Hauptthemen dieses Kapitels sind die Entwicklung Kroatiens sowie Bulgarien während des sog. Goldenen Zeitalters unter Symeon dem Großen bis zum Ende des Ersten Bulgarischen Reiches. Neben den zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen behandelt Curta auch die sich nun stark entwickelnden Kirchenstrukturen.

Die das 11. und 12. Jh. umfassenden Kapitel überschreibt Curta jeweils als "Byzantine century". In den byzantinischen Provinzen des Balkans sieht er Zeichen des Wohlstands. Neben der Expansion des Byzantinischen Reiches wird auch das Geschehen in Ungarn und Kroatien behandelt. Breiten Raum nehmen dabei auch die kriegerischen Einfälle und Ansiedlungen der Petschenegen ein, die vor allem im Donaugebiet zu einem wichtigen Faktor werden. Die zunehmende Dichte der Schriftquellen erlaubt einen jeweils nur sporadischen Blick auf archäologische Ausgrabungen, die dennoch wertvolle Erkenntnisse vor allem zur Bevölkerungsstruktur und zu Kontaktzonen beitragen können. Ansonsten bilden die byzantinisch-ungarisch-venezianischen Auseinandersetzungen in Dalmatien und die Entwicklung von Siebenbürgen Schwerpunkte. Die erfolgreichen Erhebungen bulgarischer, vlachischer und kumanischer Gruppen unter Theodor-Petros und Asen gegen die byzantinische Herrschaft beschließen die "byzantinischen Jahrhunderte".

Das siebte Kapitel "Between the crusade and the Mongol invasion" behandelt die Zeit von 1200 bis 1250. Dabei stehen die für den südöstlichen Balkanraum weitreichenden Auswirkungen des vierten Kreuzzugs mit der Eroberung von Konstantinopel 1204 durch die Kreuzfahrer im Zentrum. Neue Mächte wie das Fürstentum Epirus, das Zweite Bulgarische Reich und das Lateinische Kaiserreich betreten die politische Bühne Südosteuropas. Curta räumt wiederum der Entwicklung in Siebenbürgen breiteren Raum ein, bevor er die für ganz Südosteuropa verheerende Invasion der Mongolen 1241/42 als finalen Einschnitt kennzeichnet, der die ganze politische Struktur des Raumes neu gestaltet und durch massive Bevölkerungsverluste das Ende vieler Siedlungen bedeutet habe.

Zum Schluss wirft Curta noch einen kurzen Blick auf den Forschungsstand zu Fragen der Landwirtschaft, der Gesellschaftsstruktur und der Religion.

Curtas Buch bietet einen äußerst gelungenen Überblick über das Themenfeld, wobei die intensive Verzahnung von Geschichtswissenschaft und Archäologie eine der großen Stärken darstellt. Florin Curta beweist eindrucksvoll, dass er neben umfassenden Kenntnissen zur Geschichte auch einen bewundernswerten Überblick über die zahllosen archäologischen Publikationen dieses Großraumes besitzt. Sein Buch ist daher allen, die eine methodisch wie inhaltlich sich auf dem neuesten Stand befindende Gesamtdarstellung zu Südosteuropa im frühen und hohen Mittelalter gewinnen möchten, wärmstens zu empfehlen.

Daniel Ziemann