Holger Berwinkel: Verwüsten und Belagern. Friedrich Barbarossas Krieg gegen Mailand (1158-1162) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 114), Tübingen: Niemeyer 2007, X + 335 S., ISBN 978-3-484-82114-9, EUR 46,00
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Das Ende des Zweiten Weltkrieges markiert zugleich den Abbruch der militärhistorischen Forschungstradition innerhalb der deutschen Mediävistik. Im Schatten von Kriegsgräuel, Propagandaschlacht und Niederlage haftet der Beschäftigung mit den Kämpfen der Vergangenheit allzu rasch der Ruch des säbelrasselnden Revisionismus an. Damit wurde jedoch ein zentrales Element mittelalterlicher Herrschaftspraxis im Zwielicht unzeitgemäßer Forschungsergebnisse belassen.
"Verwüsten und Belagern" - so lassen sich mit der Marburger Dissertation Holger Berwinkels zutreffend die Aktivitäten Friedrich Barbarossas auf dem norditalienischen Kriegsschauplatz der Jahre 1158 bis 1162 benennen. Im Zentrum der sachkundigen Untersuchung steht einmal mehr die Analyse hochmittelalterlicher Kriegstechnik und Feldzugsführung. Doch bezeichnet der Verfasser sein Werk zu Recht als "historische, keine militärwissenschaftliche Studie" (9). Mit analytischer Präzision und sprachlicher Eleganz führt das Buch durch das norditalienische Kriegsgeschehen, allenfalls sporadisch bricht sich der terminologische Anachronismus des modernen Militärjargons Bahn. Insgesamt ist der Verfasser erfolgreich um eine sachliche Rekonstruktion der Ereignisabläufe bemüht. Gleichwohl präsentiert sich das Werk passagenweise als packende Lektüre. Es versetzt den Leser auf den Schauplatz des 'Mailänder Krieges', der in der ersten Unterwerfung der lombardischen Metropole 1158 sowie der Belagerung Cremas 1159 erste Höhepunkte fand und schließlich in einen bis 1162 andauernden Zermürbungskrieg zwischen Kaiser und Kommune mündete.
Gerade jene letzte Phase war geprägt von einer "Doppelstrategie des Verwüstens und Belagerns" (5), die in Anlehnung an das Hauptwerk spätantiker Militärtheorie als "vegetianisch" bezeichnet werden darf. Wie Berwinkel überzeugend darlegt, war diese Methodik der mittelbaren, eine direkte Konfrontation scheuenden Kriegführung weniger das Produkt gelehrter Vegetius-Rezeption als vielmehr ein Resultat der "naturräumlichen, ökonomischen und siedlungsgeographischen Gegebenheiten" (6) auf dem lombardischen Kriegsschauplatz. Bemerkenswert scheint tatsächlich, dass beide Seiten trotz stark strapazierter Ressourcen strikt am Konzept des kalkulierten Risikos unter Vermeidung der offenen Feldschlacht festhielten. Berwinkels Studie ist daher weniger dem spektakulären Einzelereignis gewidmet. Detailliert beschreibt sie eine Vielzahl taktischer Operationen, untersucht die einzelnen Phasen des Belagerungskrieges und beschäftigt sich nicht zuletzt mit der Bedeutung kriegstechnischer Innovationen hochmittelalterlicher Ingenieurskunst.
Doch beschränkt sich die Darstellung keineswegs auf die militärische Aktion als solche. Berwinkel beleuchtet vielmehr anschaulich die historischen Hintergründe der zeittypischen Strategien und Kampfmittel. Ein zentraler Stellenwert kommt dabei zweifellos der "kollektiven Führung" (218) in dem auf Konsens gegründeten Handlungsverbund der Reichsfürsten zu. Diese Konstellation beließ dem Kaiser lediglich eine "Richtlinienkompetenz" (219), die sich neben den operativen Feldzugszielen vor allem auf die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen der Kriegführung erstreckte. Auch wenn der Fokus der Analyse dem militärischen Geschehen verpflichtet bleibt, wird die stete Interdependenz von strategischem Kalkül und den Prärogativen kaiserlicher Politik erkennbar.
Die sorgfältig redigierte Studie besticht durch ihren umsichtigen Zugriff auf die zeitgenössischen Quellenzeugnisse. Die verfügbaren Texte werden stets gewissenhaft auf gattungs-, traditions- und überlieferungsbedingte Unschärfen geprüft, Entlehnungen aus antiken Vorbildern sorgfältig gekennzeichnet. Eine umfassende Zusammenschau der Überlieferung ermöglicht es dem Verfasser, die disparat wirkenden Einzelepisoden der Chronistik zu einem kohärenten Gesamtbild des Kriegsgeschehens zusammenzufügen.
Befremdlich wirkt demgegenüber die selektive Rezeption aktueller Forschungsliteratur. Vermisst werden unter anderem einschlägige Beiträge von Johannes Laudage, Malte Prietzel, Petra Schulte und Rudolf Schieffer, auch eines Verweises auf seine eigene Studie vermag sich der Rezensent nicht zu enthalten. [1] Selbst bekannte Titel finden nur partielle Beachtung. Einer Analyse des Todes Eckberts von Pütten etwa hätten sicherlich die von Knut Görich unter der Überschrift "Ehre beschneidet den Handlungsspielraum" getroffenen Beobachtungen weiterführende Perspektiven eröffnet. [2]
Damit ist bereits ein offenkundiges Desiderat der vorliegenden Darstellung angeschnitten: Jenseits der über weite Strecken deskriptiven Rekonstruktion militärtaktischer Manöver tritt die Deutung der politischen Interaktion von Kaiserhof, Kurie und Kommunen im Kontext des alexandrinischen Schismas sichtlich in den Hintergrund. Darüber hinaus finden sozial- und kulturhistorische Interpretationsansätze allenfalls am Rande Berücksichtigung, die mentale Komponente der Kriegführung wird weitgehend ausgeblendet. Eine Einordnung in die zeitgenössischen Mentalitäts-, Wissens- oder Diskurshorizonte von Rittertum und Herrschaftsordnung hätte einer Interpretation operativer Entscheidungen indes zusätzliche Kontur verliehen. Mit ihrer Hilfe ließe sich die Frage nach militärischen Handlungsspielräumen und Dispositionszwängen neu aufwerfen, das Profil des kaiserlichen Feldherrn um grundlegende Aspekte bereichern und schließlich die zeitgebundenen Hintergründe der vermeintlichen 'Rationalität' und 'Modernität' stauferzeitlicher Protagonisten wesentlich erhellen. Die postulierte Zielsetzung Friedrichs I. etwa, "den heterogenen Körper des Lehnsheers zu einem besser lenkbaren Exekutivorgan der an politischen Zielen ausgerichteten Kriegführung zu formen" (226), könnte vor solch einem methodisch dringend gebotenen Reflexionsakt kaum bestehen.
Diese kritischen Anmerkungen im Detail mögen andeuten, welch hohes Erkenntnispotenzial der Erforschung der hochmittelalterlichen Militärgeschichte nach wie vor innewohnt. Der ebenso anregenden wie kenntnisreichen Studie Holger Berwinkels kommt das Verdienst zu, Pionierarbeit bei der Neuerschließung dieses ertragreichen Forschungsfeldes geleistet zu haben. Für das Verständnis der engen Verzahnung von Kriegführung und Politik im Zeitalter Friedrich Barbarossas besitzt das akribisch recherchierte Werk zweifellos unschätzbaren Wert.
Anmerkungen:
[1] Johannes Laudage: Rittertum und Rationalismus. Friedrich Barbarossa als Feldherr, in: Rittertum und höfische Kultur der Stauferzeit, hg. von Johannes Laudage / Yvonne Leiverkus, Köln/Weimar/Wien 2006, 291-314; Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen und Bedeutungen (=Der Krieg in der Geschichte, Bd. 32), Paderborn 2006 (mit entsprechenden Vorstudien); Petra Schulte: Die Inszenierung von Treue. Friedrich Barbarossa und die italienischen Kommunen, in: FMSt 38 (2004), 153-172; Rudolf Schieffer: Mit Barbarossa über die Alpen. Zum bayerisch-österreichischen Anteil an den Italienzügen Kaiser Friedrichs I., in: Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, hg. von Konrad Ackermann / Alois Schmid / Wilhelm Volkert, München 2002, 53-66; Jan Keupp: Dienst und Verdienst. Die Ministerialen Friedrich Barbarossas und Heinrichs VI. (=Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 48), Stuttgart 2002.
[2] Knut Görich: Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001, hier 226-229.
Jan Keupp