Maike Lämmerhirt: Juden in den wettinischen Herrschaftsgebieten. Recht, Verwaltung und Wirtschaft im Spätmittelalter (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; Bd. 21), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007, 536 S., ISBN 978-3-412-13006-0, EUR 54,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jelko Peters: Methodenlexikon für den Geschichtsunterricht. 128 Anregungen und Vorschläge zur Gestaltung des historischen Lernens und Entwicklung von Lernaufgaben, St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2016
Veronika Nickel: Widerstand durch Recht. Der Weg der Regensburger Juden bis zu ihrer Vertreibung (1519) und der Innsbrucker Prozess (1516-1522), Wiesbaden: Harrassowitz 2018
Nachdem die Geschichte der Juden in den wettinischen Ländern während der Frühen Neuzeit bereits Gegenstand von Untersuchungen geworden ist [1], liegt sie für das Spätmittelalter noch weitgehend im Finstern. Maike Lämmerhirt wirft nun mit ihrer über fünfhundert Seiten umfassenden Studie ein Licht ins Dunkle. Zentraler Ausgangspunkt ihrer Analyse ist die Feststellung, dass das jüdische Leben in den wettinischen Ländern in den hundert Jahren nach 1349/50 geradezu eine Blütezeit erfuhr.
Ausgehend von einer prägnanten Beschreibung der Forschungslage umreißt Lämmerhirt eingangs die Kernfragen und das methodische Analyseraster. Zentral für die Arbeit sei, dass der Blick "in der Hauptsache auf den politischen Kontext" (6) zu richten sei: "Zu Beginn dieser Arbeit stand [...] die zentrale Frage, welche Rolle Juden im jeweiligen Herrschaftsgebiet spielten. Wie beeinflusste ihre Anwesenheit das politische oder wirtschaftliche Handeln der Landesherren? Wie lässt sich die Beziehung zwischen dem Landesherren und den in seinem Herrschaftsgebiet lebenden Juden charakterisieren? [...] Die Frage nach dem Verhalten der wettinischen Landesherren gegenüber den Juden in ihren Gebieten muss also stets mit dem Blick auf innerjüdische Strukturen und den möglichen Standpunkt der 'Judenschaft' verbunden werden" (6). Dieses anspruchsvolle Programm setzt sich demnach zum Ziel, die Verbindung von "Juden" und "Herrschaft" unter die analytische Lupe zu nehmen und befindet sich damit gleichsam im Brennpunkt des aktuellen wissenschaftlichen Interesses der Forschung zur deutsch-jüdischen Geschichte. Besonderen Wert erhält die Studie zusätzlich durch die Sichtweise auf die Juden als nicht allein passiv Verfolgte, sondern vielmehr als aktiv Handelnde mit eigenen politischen und ökonomischen Interessen.
Allerdings kommen dem Leser schnell Zweifel bezüglich der Realisierbarkeit ihres Vorhabens. Denn das von Lämmerhirt gewählte Quellenassortiment sowie der methodische Zugriff deuten auf anderes als das zum Ziel Gesetzte. Denn die Autorin versucht keineswegs, der durchaus sinnvoll gewählten Fragestellung auf der Basis eines eingegrenzten Quellenkorpus konzentriert nachzugehen. Sie will vielmehr "alle bekannten Quellen [...] sammeln [und] nebeneinander [...] stellen" (4). Das Werk konfrontiert den Leser demzufolge mit einer akribischen Auswertung aller bekannten Quellen bis in das letzte Detail. Neben dem Ausweis eines sehr intensiven Quellenstudiums führt dies dazu, dass Quellen im Laufe der Arbeit mehrmals in unterschiedlichen Kontexten analysiert werden und es so oftmals zu Wiederholungen kommt. In diesem Sinne gibt die Autorin selbst zu, dass ihre Arbeit eher einem Handbuch gleicht (5).
Ihre inhaltlichen Schwerpunkte setzt Lämmerhirt auf die Felder "Recht", "Verwaltung" und "Wirtschaft". Einleitend listet sie in einem ausführlichen Überblick alle Angaben zu jüdischen Siedlungen in wettinischen Gebieten von den Anfängen im 13. Jahrhundert über die Verfolgungen von 1349/50 bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. In diesem Arbeitsschritt ist ein bündig dargebotener Exkurs über die zum Teil komplizierten wettinischen Herrschaftsverhältnisse in der Zeit zwischen 1349 bis 1500 eingewoben. Dies erweist sich beim weiteren Studium für den mit der Materie nicht vertrauten Leser als äußerst hilfreich.
Gleiches gilt für die anschließende Skizze der wettinischen Verwaltung bezüglich der Erfassung der Juden durch Schutzbriefe. Diese stehen im folgenden Kapitel über die Rechtsverhältnisse der Juden neben einigen wettinischen Stadtrechten im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Autorin wählt damit den traditionellen Zugriff auf die normative Ebene jüdischer Rechtsverhältnisse. Die Rechtspraxis wird anhand der Magdeburger und Leipziger Schöffengerichte und den dort verhandelten Prozessen mit Beteiligung wettinischer Juden thematisiert. Allerdings steht sie weiterhin quantitativ im Schatten des normativen "Judenrechts" [2]. Dessen ungeachtet kann Lämmerhirt insbesondere anhand des Meißener Rechtsbuches ein Bild der rechtlichen Lage der wettinischen Juden zeichnen, das keineswegs nur von Diskriminierungen geprägt war. Damit arbeitet sie in der von Willoweit als "Rechtsverwahrlosung" [3] bezeichneten Phase im Judenschutz eine beachtliche Nuance heraus.
Den größten Block bildet die Erläuterung ökonomischer Themen wie der Besteuerung oder den Schatzungen. An der Erhebung des Dritten Pfennigs 1418 erarbeitet sie aufschlussreiche Konfliktkonstellationen zwischen wettinischen Landesherren, Juden und römisch-deutschem Königtum heraus. Dass alle Gruppen von unterschiedlichen ökonomischen Interessen, wiederum gekoppelt mit spezifischen politischen Anliegen, geleitet waren, ist eines der wichtigsten Erkenntnisse dieser Kapitel. Gleiches ließe sich auch von den anschließend behandelten Schatzungen, den Judenschuldentilgungen, sagen. Jedes Mal trafen diese empfindlich die Wirtschaftskraft der Juden, die, nach den Steuerlisten von 1418 zu urteilen, dennoch überdurchschnittlich hoch gewesen sein muss. Anhand dieser Steuerlisten schildert Lämmerhirt desgleichen die Sozialstruktur der wettinischen jüdischen Bevölkerung, die sich analog zu denen anderer Gemeinden im Reich gestaltete und vorwiegend vom Geldhandel geprägt war.
Die ökonomische und rechtlich Lage der Juden verschlechterte sich dann im Zuge der Hussitenkriege, die auch in den wettinischen Landesteilen zu erheblichen Schäden und wiederum zu Kreditnahmen von christlicher Seite bei den Juden führten. Damit nahmen die Juden unter steigender Missgunst von Seiten der christlichen Mehrheitsgesellschaft eine immense ökonomische Bedeutung ein. Einige Jahre später kam es dann aber zu ersten Ausweisungen, beginnend mit Landgraf Friedrich IV. von Thüringen 1436. Ihm folgten allmählich die anderen wettinischen Herrschaften.
An sich waren aber die Kontakte zwischen Juden und Landesherren sehr eng, wenn auch - wie im übrigen Reich - vorwiegend geschäftlicher Art. Dass interessanterweise bereits im Spätmittelalter erste Ansätze eines Hofjudentums zu finden sind, kann Lämmerhirt anhand mehrer prominenter wettinischer Juden zeigen, die bis zum Ende des Spätmittelalters vermehrt als Kreditgeber der Mächtigen auftraten. Bei den Kreditnahmen der wettinischen Landesherren spielte insbesondere Abraham von Leipzig, beinahe eine Art mittelalterlicher Prototyp des frühneuzeitlichen Hofjuden, eine herausragende Rolle.
Indessen fällt auf, dass die behandelten Themen, anders als in der Einleitung des Buches angekündigt, auf ihre politische Bedeutung hin kaum explizit befragt werden. Dies liegt vielleicht daran, dass Lämmerhirt einen hauptsächlich sozialgeschichtlichen Zugriff wählt. Die konsequente Verfolgung der eingangs vorgestellten Leitfragen unter den methodischen Aspekten und Fragestellungen der Kulturgeschichte des Politischen unter einer eingegrenzten Quellenauswahl hätte zu komprimierten und analytisch enger geführten Ergebnissen führen können. Eine wichtige Erkenntnis Lämmerhirts kann dennoch lauten, dass die innerjüdischen Strukturen sich den Verhältnissen der wettinischen Herrschaften anpassten und die Juden als aktiv Handelnde in allen sie tangierenden Fragen gegenüber der christlichen Mehrheitsgesellschaft auftraten. Insgesamt erweist sich Lämmerhirt als eine intime Kennerin der jüdischen Geschichte im spätmittelalterlichen Mitteldeutschland. Diese handbuchartige Dokumentation wird sich als grundlegend und wegweisend für künftige Forschungen erweisen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Stefan Litt: Juden in Thüringen in der Frühen Neuzeit (1520-1650) (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe; Bd. 11), Köln/Weimar/Wien 2003. Vgl. hierzu die Rezension von Maria Diemling, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7; URL: http://www.sehepunkte.de/2004/07/5317.html
[2] Siehe Guido Kisch: Jüdisches Recht und Judenrecht. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Grundlegung für eine Rechtsgeschichte der Juden, in: Ders., Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters nebst Bibliographie (= Guido Kisch. Ausgewählte Schriften; Bd. 1), Sigmaringen 1978, 187-198.
[3] Dietmar Willoweit: Vom Königsschutz zur Kammerknechtschaft. Anmerkungen zum Rechtsstatus der Juden im Hochmittelalter, in: Karlheinz Müller / Klaus Wittstadt (Hgg.): Geschichte und Kultur des Judentums. Eine Vorlesungsreihe an der Julius-Maximilians-Universität (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg; Bd. 38), Würzburg 1988, 71-89.
André Griemert