Dominik Geppert: Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912) (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London; Bd. 64), München: Oldenbourg 2007, VIII + 490 S., 12 Abb., ISBN 978-3-486-58402-8, EUR 49,80
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Die klassische diplomatiegeschichtliche Forschung mit ihrer vorrangigen Fokussierung auf Regierungshandeln widmete in der Vergangenheit den sich in Europa seit dem späten 19. Jahrhundert dynamisch entwickelnden modernen Massenmedien nur eine vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit; diese interessierten allenfalls im Hinblick auf die sich in ihnen (vermeintlich oder tatsächlich) widerspiegelnde "öffentliche Meinung". Eine eigenständige Rolle als Akteure innerhalb des politischen Systems bzw. in den internationalen Beziehungen wurde ihnen nicht bzw. kaum zugebilligt. Dieser Befund gilt auch und vor allem für Untersuchungen zum Zeitalter des Imperialismus. Dominik Geppert sieht seine bei Hagen Schulze entstandene Berliner Habilitationsschrift als Beitrag zu einer kulturgeschichtlich und transnational erweiterten Politikgeschichte sowie einer als "Internationale Geschichte" erneuerten Diplomatiegeschichte, die "die äußeren wie inneren Bedingungen und Bedingtheiten außenpolitischen Handelns, zu denen auch Medienstrukturen gehören" (9), in den Blick nimmt. Besonders interessieren Geppert hierbei die neue Rolle von Journalisten als "zunehmend wichtige Mitspieler im diplomatischen Spiel" (11), die Frage, wie die diplomatischen und politischen Eliten auf diesen Wandel reagierten, und der Beitrag der Medien zu Weltwahrnehmungen, Realitätsinterpretationen und Sinnstiftungen. Neu an der Studie ist vor allem, dass Geppert die in der älteren Medienforschung vorherrschende Sphäre der "nationalen Öffentlichkeit" verlässt und stattdessen "mediale Interaktionen zwischen verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten" in den Blick nimmt (10). Grundlagen der Untersuchung sind neben einschlägiger Forschungsliteratur und gedrucktem Quellenmaterial vor allem ein umfassend ausgewerteter Querschnitt wichtiger zeitgenössischer deutscher und britischer Presseorgane sowie eine beeindruckende Fülle unterschiedlichster Archivbestände bzw. Sammlungen, darunter das Public Record Office (Kew), das Times-Archiv (London), das Guardian-Archiv (Manchester), das Politische Archiv des Auswärtigen Amts (Berlin), das Bundesarchiv Lichterfelde (Berlin), das Bundesarchiv-Militärarchiv (Freiburg) und die Library of Congress (Washington D.C.).
Der gewählte Untersuchungszeitraum mag auf den ersten Blick etwas überraschen, vor allem die Tatsache, dass jener 1912 endet und damit die Phase der unmittelbaren Vorgeschichte und des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht mit einbezieht. Doch gibt es für diese Entscheidung einen einleuchtenden Grund: Die Jahre 1912 bis 1914 weichen nämlich insofern fundamental von den 16 Jahren zuvor ab, als die deutsch-britischen Pressebeziehungen damals "von ungewöhnlicher Harmonie und Friedfertigkeit geprägt" (27) waren. Insofern erliegt Geppert auch nicht der naheliegenden Versuchung, seine Ergebnisse in den Kontext der Kriegsursachenforschung einzuordnen. Die Bedeutung des Jahres 1896 ergibt sich aus der Affäre um das sogenannte Krüger-Telegramm, in welchem Kaiser Wilhelm II. dem Burenpräsidenten Paul ("Ohm") Krüger zum Sieg über die britischen Truppen gratulierte und dadurch, in London angeführt von der Times, den ersten deutsch-britischen Pressekrieg auslöste. Dass der Deutsche Kaiser in einem Privatbrief an seine Großmutter Königin Victoria zurückrudern musste, wurde sowohl in England als auch in Deutschland als Schuldeingeständnis empfunden und führte zu einer nachdrücklichen Verschlechterung des Klimas zwischen beiden Staaten, das sich auch und vor allem in der Presseberichterstattung niederschlug. Jenseits des Kanals war das Ansehen des Kaisers irreparabel beschädigt worden, im Deutschen Reich verfestigte sich die Negativfolie vom "perfiden Albion". Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Regierungen beider Staaten (fälschlich) annahmen, dass die jeweils andere Seite die Presse steuere. Dies traf auf die britische Presse keineswegs zu, die unabhängiger und weiter entwickelt als die deutsche war, doch auch diese ging keineswegs einfach am Gängelband der Reichskanzler bzw. des Auswärtigen Amts. Die noch von Bismarck mit großem Erfolg praktizierte Politik der Presselenkung erwies sich unter den Bedingungen der "Medienrevolution" zunehmend als nicht mehr praktikabel. Auch in Deutschland gewann die Presse zunehmend Einfluss auf die eigentlich der Exekutive bzw. der Krone vorbehaltene Außenpolitik mit all den daraus resultierenden Problemen, insbesondere der konfliktverschärfenden Emotionalisierung außenpolitischer Fragen unter nationalistischen Vorzeichen durch das Zusammenspiel der Presse mit wichtigen Segmenten der Öffentlichkeit wie Parlamenten, Parteien und Verbänden. Hierdurch wurden die Entscheidungsspielräume der Regierungen empfindlich eingeschränkt und das Gefüge von Öffentlichkeit und Diplomatie letztlich destabilisiert; der überkommenen Kabinettsdiplomatie alten Stils wurde immer mehr das Fundament entzogen. Vor allem die deutsche Führung, so ein wichtiges Ergebnis der Untersuchung, war von dieser neuen Entwicklung überfordert; sie versuchte, wie Geppert etwa eindringlich am Beispiel Bülows zeigt, zum einen (durchaus mit gewissem Erfolg) in der Tradition Bismarcks die deutsche Presse für ihre politischen Ziele gegenüber England in Dienst zu nehmen, zum andern aber vergeblich, z.B. durch versöhnliche Interviews, mäßigend auf London einzuwirken, da man die Konsequenzen eines offenen Konfrontationskurses aus Gründen der außenpolitischen Staatsräson scheute. Die Folge dieser ambivalenten Pressepolitik, die gleichsam simultan antienglische Mobilisierung und Beschwichtigung anstrebte, war, dass Bülow sich zwischen alle Stühle setzte und weder hier noch da Zustimmung bzw. Vertrauen erntete.
Geppert analysiert diese spannenden Prozesse eindringlich nicht nur am Beispiel bekannter Konflikte, wie der bereits erwähnten Krise um das Krüger-Telegramm, der Flottenfrage oder der beiden Marokkokrisen, er entwickelt aus souveräner Kenntnis der oben genannten Quellen vielmehr ein dichtes und differenziertes Bild der komplexen deutsch-britischen Pressebeziehungen. Besonders gelungen sind in diesem Zusammenhang die Porträts der beiden Berliner Times-Korrespondenten Valentine Chirol und George Saunders, die beide nicht unerheblich zur Verschärfung des Pressekriegs zwischen beiden Staaten beitrugen. Geppert konstatiert nicht zu Unrecht, dass die Presse zweifellos als komplizierender Faktor der Vorkriegsdiplomatie gewirkt habe, die bestehende Differenzen verschärft und einen möglichen Interessensausgleich zwischen Deutschland und Großbritannien erschwert habe. Er spricht in diesem Zusammenhang zugespitzt von einem Beitrag der Presse zur mentalen Aufrüstung und zur kulturellen Konfrontation (433), verneint aber nachdrücklich, wie oben bereits erwähnt, dass lediglich daraus der Kriegsausbruch in der Juli-Krise erklärt werden könne. Lesbarkeit und Übersichtlichkeit der Darstellung werden nicht zuletzt dadurch gefördert, dass am Ende der einzelnen Kapitel die (Teil-)Ergebnisse immer wieder in Zwischenfazits eingefangen werden.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Dominik Geppert mit dem vorliegenden Band den überzeugenden Nachweis geliefert hat, dass die politische bzw. die Diplomatiegeschichte, wenn sie offen sind für die oben genannten methodischen Erweiterungen, keineswegs zu den randständigen Teilbereichen der Geschichtswissenschaft gehören. Sie sind vielmehr geeignet, um es auf die Thematik des besprochenen Bandes zu fokussieren, unser Bild der internationalen Beziehungen im frühen 20. Jahrhundert und damit letztlich auch die Debatte um die tieferen Ursachen des Kriegsausbruchs 1914 um wichtige neue Erkenntnisse zu erweitern.
Matthias Stickler