Alain Servantie: L'Empire ottoman dans l'Europe de la Renaissance. Idées et imaginaires d'intellectuels, de diplomates et de l'opinion publique dans les Anciens Pays-Bas et le monde hispanique aux XVe, XVIe et début du XVIIe siècles (= Avisos de Flandes; Vol. 11), Leuven: Leuven University Press 2005, 415 S., ISBN 978-90-5867-463-0, EUR 58,00
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Die aktuellen Diskussionen über den möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union oder die Stellung des Islam in westeuropäischen Gesellschaften werfen Fragen nach der geopolitischen Ausdehnung und der kulturellen Identität Europas auf, die ohne einen Blick in die Historie nicht beantwortet werden können. Beide Themenfelder verweisen auf die Bedeutung des Osmanischen Reiches, aus dessen Erbmasse die moderne Türkei neben einer Vielzahl anderer Nationalstaaten hervorgegangen ist.
Die vom 15. bis zum späten 17. Jahrhundert andauernde Expansion dieses Imperiums im südost- und ostmitteleuropäischen Raum hatte wesentlich das politische Handeln und Denken im Zeitalter der Renaissance beeinflusst, als das Osmanisch Reich sowohl furchteinflößend als auch faszinierend auf die Menschen in Westeuropa wirkte. [1] Die vor allem von politischen und kirchlichen Eliten propagierten Vorstellungen von den "Türken" und dem "Türkischen Reich" ließen die neue islamische Weltmacht als ein Herrschaftsgebilde erscheinen, das sich fundamental von den politischen Strukturen des frühneuzeitlichen christlichen Europas unterschied. Die damit verbundene Abgrenzung fand ihren Widerhall auch in der historischen Forschung, wo das Osmanische Reich von der westeuropäischen Geschichtsschreibung lange Zeit nur marginal wahrgenommen worden ist. In der Mehrzahl der Publikationen erschien es als Objekt der politischen und militärischen Geschichte, insbesondere im Kontext der "Orientalischen Frage". Seit einigen Jahren hat sich das Bild jedoch zu wandeln begonnen und das Osmanische Reich rückt zusehends als "Subjekt" der Geschichte und Bestandteil einer "frühneuzeitlichen Welt" in den Vordergrund, zu deren herausragenden Charakteristika weniger die Trennung zwischen den christlichen und islamischen Gebieten des Kontinents als vielmehr die Vielzahl grenzüberschreitender Kommunikations- und Handelsnetzwerke zu zählen ist. [2]
In diese Tendenzen der internationalen Geschichtswissenschaften gilt es den 2005 erschienen Tagungsband L'Empire ottoman dans l'Europe de la Renaissance. El Imperio Otomano en la Europa renacentista zu verorten, der aus einer vom Institut Cervantes 2003 organisierten Konferenzreihe hervorging. Der besondere Wert dieser Publikation ist zunächst darin zu sehen, dass in ihm insbesondere die bisher kaum untersuchten vielfältigen Beziehungen zwischen der hispanischen und osmanischen Welt im Vordergrund stehen. Jedoch überwiegen Beiträge, die auf Schrift- oder Bildquellen westeuropäischer Provenienz basieren, so dass die Frage, welche Quellenbestände für die noch wenig erforschte osmanische Perspektive herangezogen werden können, weitgehend unbeantwortet bleibt.
Ein zentraler Untersuchungsgegenstand des Sammelbandes ist die Frage nach zeitgenössischen Wahrnehmungsmustern, die das Bild vom "Türken" bzw. dem "Türkischen Reich" prägten. Die bereits vorliegenden Erkenntnisse insbesondere über das "Türkenbild" im Alten Reich lassen sich weitgehend auch auf den spanischen und niederländischen Raum übertragen. Schwer zu beantworten bleibt die von Mélanie Bost am Beispiel der Niederlande aufgegriffene Frage, welche Wirkungsmächtigkeit solche Vorstellungen in der breiten Bevölkerung entwickeln konnten. Die Verfügbarkeit von Informationen sowie deren Verarbeitung und Weitergabe hingen vor allem vom beruflichen, sozialen und politischen Status der einzelnen Person ab. Cecilia Paredes zeigt in ihrem Beitrag, wie das Osmanische Reich nicht nur als Militärmacht wahrgenommen wurde, sondern auch das Interesse an der fremdartig erscheinenden Kultur anstieg. In der flämischen Malerei und Tapisserie fand diese Entwicklung ihren sichtbaren Ausdruck. Wie die Aufsätze von Emilio Sola und Matías Barchino verdeutlichen, stellten die Erzählungen derjenigen eine wichtige Informationsquelle dar, die beispielsweise als Gefangene im Reich des Sultans gelebt hatten und wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind. In diesem Kontext erlauben insbesondere die Verhörprotokolle der spanischen Inquisition einen detaillierten Einblick in die Biographien von Personen, die freiwillig oder unfreiwillig in das Osmanische Reich gelangt waren, dort zum Islam konvertiert sind und sich dann nach ihrer Rückkehr vor der Inquisition für den Glaubenswechsel rechtfertigen mussten.[3] Während den Herrschergestalten der Renaissance ebenso umfangreiches wie unterschiedliches Schrifttum über die islamische Welt in ihren Bibliotheken zur Verfügung stand (Alain Servantie), waren sie auch auf weitere Informationsquellen angewiesen, aus denen Hinweise über aktuelle Entwicklungen gewonnen werden konnten. Die zwischen dem Bosporus und den Höfen Westeuropas verkehrenden Gesandtschaften brachten neue Nachrichten in die jeweiligen Schaltzentralen der Macht und prägten nicht selten die Bilder der von ihnen repräsentierten Länder (Fernando Fernández álvarez). Beide Aspekte erregten in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit der historischen Forschung, die diesen Fragen u.a. am Beispiel der tatarischen Gesandtschaften nach Wien im 17. Jahrhundert und der von Ibrahim Bey 1562 angeführten osmanischen Delegation, die über Wien und Prag nach Frankfurt am Main führte, nachging. Zu den wichtigsten Übermittlern von Nachrichten gehörten die Netzwerke venezianischer, russischer, armenischer oder jüdischer Kaufleute, über die bereits zahlreiche Studien vorliegen. Zum Gegenstand historischer Forschung wurden bisher auch die Händler jüdischen Glaubens, die seit dem späten 15. Jahrhundert von der iberischen Halbinsel in das Osmanische Reich emigriert sind und eine wichtige Brückenfunktion zwischen dem islamischen und christlichen Europa darstellten. Jedoch ist noch sehr wenig über die Netzwerke bekannt, die zwischen den jüdischen Kaufleuten iberischer Herkunft in Indien und ihren Geschäftspartnern bzw. Familienangehörigen in den Wirtschaftszentren des Osmanischen Reiches oder Westeuropas bestanden. Die Beiträge von Dejanirah Couto und Nicole Abravanel, die sich mit der Familie Nassi und deren berühmtesten Angehörigen Joseph Nassi beschäftigen, legen ein Geflecht politischer und wirtschaftlicher Netzwerke frei, die einen Kommunikationsraum von Indien bis an die westlichen Grenzen des europäischen Kontinents erkennen lassen. Welchen Einfluss die in Indien lebenden conversos auf die Politik osmanischer Sultane im 16. Jahrhundert ausübten, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden, doch verweist Dejanarah Couto auf Briefe an Süleyman I. (1520-66), in denen er zur Eroberung der portugiesischen Gebiete Indiens aufgefordert wird. Den Verfassern waren sicherlich noch die osmanischen Flottenexpeditionen im Gedächtnis, die sich gegen die portugiesische Präsenz in diesem Raum gerichtet hatten. [7] Diesen militärischen Unternehmungen waren auch Hilferufe muslimischer Herrscher des Subkontinents an Süleyman I. vorausgegangen, in denen er in seiner Funktion als Kalif um Beistand gegen die Portugiesen gebeten wurde.[8] Solche religiösen Konzepte könnten die Entscheidung über Krieg und Frieden ebenso beeinflusst haben wie die zur gleichen Zeit in Westeuropa noch existierenden Kreuzzugsvorstellungen, deren politische Wirkungsmächtigkeit meist, wie die Beiträge von Miguel Navarro Sorní, Alan Ryder und Nicolas Vatin zeigen, von den machtpolitischen Zielen der jeweiligen Herrscher abhing.
Dieser 19 Beiträge umfassende Sammelband fügt sich in eine internationale Forschungslandschaft ein, in der das Osmanische Reich zunehmend als Bestandteil der frühneuzeitlichen Staatenwelt Europas gesehen wird. Er öffnet den Blick auf die vielfältigen Beziehungen zwischen dem spanischen und dem osmanischen Imperium, die bisher nur marginal im Fokus der Geschichtswissenschaft lagen. Die Konzeption der vorliegenden Publikation zeigt sehr deutlich, dass insbesondere das osmanische Quellenmaterial im Hinblick auf diese Fragestellung noch kaum ausgewertet worden ist. Eine ausführliche Bibliographie sowie ein umfangreiches Personen- und Ortsnamensverzeichnis tragen zur Benutzerfreundlichkeit des Sammelbandes bei, der andererseits unter der "Sprachenvielfalt" der Beiträge (Französisch, Spanisch und Niederländisch) etwas leidet. Dennoch ist dieser Sammelband ein wichtiger Impulsgeber für künftige Forschungen, die sich mit den kulturellen, politischen und militärischen Beziehungen zwischen Spanien und dem Osmanischen Reich beschäftigen.
Anmerkungen:
[1] Ralf C. Müller: Franken im Osten. Art, Umfang, Struktur und Dynamik der Migration aus dem lateinischen Westen in das Osmanische Reich des 15./16. Jahrhunderts auf der Grundlage von Reiseberichten, Leipzig 2005.
[2] Suraiya Faroqhi: The Ottoman Empire and the World Around It, London 2004.
[3] Bartolomé und Lucile Benassar: Les Chrétiens d'Allah, l'histoire extraordinaire des renégats, XVIe-XVIIe s., Paris 1989.
[4] Christoph Augustinowicz: Tatarische Gesandtschaften am Kaiserhof des 17. Jahrhunderts - Protokoll und Alltag, in: Marlene Kurz et.al. (Hgg.): Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, Wien 2005, 315-340 sowie Harriet Rudolph, Türkische Gesandtschaften ins Reich am Beginn der Neuzeit - Herrschaftsinszenierung, Fremdheitserfahrung und Erinnerungskultur. Die Gesandtschaft des Ibrahim Bey von 1562, in: Marlene Kurz et.al. (Hgg.): Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, Wien 2005, 295-314.
[5] Benjamin Arbel: Trading Nations, Jews and Venetians in the Early Modern Eastern Mediterranean, Leiden 1995; Paul Bushkovitch: The Merchants of Moscow 1580-1650, Cambridge 1980; Michel Aghassian / Kéram Kévonian: The Armenian Merchant Network: Overall Autonomy and Local Integration, in: Sushil Chaudhuri / Michel Morineau (eds.): Merchants, Companies and Trade, Europe and Asia in the Early Modern Era, Cambridge 1999.
[6] Minna Rozen: Collective Memories and Group Boundaries: The Judeo-Spanish Diaspora between the Lands of Christendom and the World of Islam, in: Michael 14 (1997), 35-52.
[7] Azmi Özcan: Pan-Islamism. Indian Muslims, the Ottomans and Britain (1877-1924), Leiden 1997, 4-5.
[8] Ebd.
Markus Koller