Nabil Matar: Europe through Arab Eyes. 1578-1727, New York: Columbia University Press 2009, XXVIII + 313 S., ISBN 978-0-231-14194-9, GBP 31,00
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Das Werk Europe through Arab Eyes 1578-1727 stellt den Mittelteil einer Trilogie über die Sicht arabisch-maghrebinischer Reisender und Gelehrter auf Europa während der Frühen Neuzeit dar (Band 1: In the Lands of the Christian Arabic Travel Writing in the 17th Century. London 2003), die der an der University of Minnesota tätige Anglistik-Professor Nabil Matar in Angriff genommen hat .
Matar geht grundsätzlich nicht von einer Dichotomie Orient: Okzidenz in dieser Zeit aus, sondern arbeitet im Gegenteil die Vertrautheit von Maghreb und Westeuropa heraus. Der Autor stellt die plausible These eines Kulturdreiecks zwischen Europa, dem Osmanischen Reich und Nordafrika auf und kann überzeugend die differenzierte Rezeption Europas sowohl in volkstümlichen arabischen Quellen wie auch in den Schriften der maghrebinischen Elite ausmachen.
Die Studie zeigt sehr schön die intellektuellen Beziehungen zwischen Nordafrika und Europa zur Blütezeit indigener marokkanischer Herrscher im 17. Jahrhundert. In dieser Epoche gelang den lokalen Machthabern die Rückeroberung zahlreicher europäischer Siedlungen an der südlichen Mittelmeerküste. Das Quellenmaterial für Matars Forschung bilden in erster Linie Briefe sowie Berichte von Gesandten und Reisenden aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Um der Komplexität der Texte gerecht werden zu können, lehnt sich Matar methodisch an die in den 1980er Jahren u.a. von Eric Stokes und Ranajit Guha entwickelten "Subaltern Studies" an.
Die Studie ist zweigeteilt: Nachdem sich der Verfasser in der ersten Hälfte mit verschiedenen Aspekten des skizzierten europäisch-nordafrikanischen Kulturaustausches befasst hat, kann sich der Leser in dem zweiten Teil anhand von Übersetzungen einen eigenen Eindruck von dem arabischen Material machen.
Die genaue Analyse vor allem "volkstümlicher" Quellen führt Matar zu dem durchaus bemerkenswerten Schluss, dass die maghrebinische Seite nicht nur bessere Kenntnisse über die europäischen Verhältnisse hatte, sondern auch eine viel größere Offenheit gegenüber den Europäern an den Tag legte. So kann der Autor herausarbeiten, dass sehr genau zwischen christlichen Invasoren als Feinden und dem normalen Bürger differenziert wurde.
Hochspannend sind die zahlreichen auf uns gekommenen Briefe von Gefangenen, die uns verschiedene Facetten der Rezeption des "Anderen" vor Augen führen. Zu den von Matar erörterten Themen gehören die Vorstellung von Gefangenschaft als Glaubenstest und Versuchung und von Heiligen, welche als Befreier ihre Glaubwürdigkeit und ihren Ruf (karamat) stärken, sowie die Leiden weiblicher Gefangener.
Im Abschnitt zu den Gesandtschaftsberichten bietet Matar zunächst eine kurze Einführung zu den Rahmenbedingungen der Fahrten, den Biographien der Botschafter, den notwendigen Sprachkenntnissen und zu der Art der Berichterstattung. Daran schließt sich die detaillierte Auseinandersetzung mit zwei Reiseberichten an. Dabei handelt es sich um die Schilderungen von Ahmad Ibn Qasim über seine Reise aus Marokko nach Frankreich und Holland (1611-1613) und um die Beobachtungen, die der Libanese Fakhr ad-Din über seinen Aufenthalt in Italien und Malta (1613-1618) anstellt. Hier kommt die eingangs erwähnte ambivalente Rezeption der Europäer zum Vorschein: Während Ibn Qasim diese als Bedrohung und die Osmanen als Freunde betrachtet, gilt bei Fakhr ad-Din das Gegenteil.
Matar zieht dann weitere Quellen heran, um diese unterschiedliche Betrachtungsweise und ihre Ursachen zu verdeutlichen. Desweiteren behandelt der Autor eine Reihe weiterer Punkte. Dazu gehören etwa der Umgang mit europäischen Frauen, die besonderen Probleme, mit welchen sich nicht-muslimische Botschafter aus Nordafrika, z.B. Juden, in Europa konfrontiert sahen, oder die Anstrengungen nordafrikanischer Gelehrter, mit der zunehmenden Überlegenheit Europas in Militär und Technik umzugehen.
Der zweite Teil der Studie beinhaltet dann, wie gesagt, eine Auswahl der zuvor analysierten Primärquellen in Übersetzung. Matar hat diese 20 Auszüge chronologisch angeordnet, so dass verschieden Textsorten nebeneinander stehen. Dabei werden Verfasser und historischer Kontext zunächst vorgestellt, auch erfolgt eine kurze stilistische Analyse und inhaltliche Zusammenfassung.
Insgesamt bietet die Studie von Matar einen guten Einblick in das Europabild nordafrikanischer Araber in der Zeit von 1578 bis 1727. Vor allem die Quellentexte gewähren auch dem des Arabischen Unkundigen die Chance, sich selbst ein Bild der maghrebinisch-europäischen Wahrnehmungen zu verschaffen. Dem Autor gelingt es, seine beiden Ausgangsthesen mit gutem Material zu unterfüttern und damit eine interessante Ergänzung zum Forschungsstand zu liefern.
Tonia Schüller