Michael Klinkenberg: Das Orientbild in der französischen Literatur und Malerei vom 17. Jahrhundert bis zum fin de siècle, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2009, 662 S., ISBN 978-3-8253-5585-2, EUR 88,00
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Das Werk von Michael Klinkenberg befasst sich mit Orientbildern französischer Maler und Literaten vom 17. Jahrhundert bis zum Beginn des 1. Weltkrieges. Ziel des Autors ist es, Darstellungen des Orients zu präsentieren und zu bewerten. Darüber hinaus will die Studie herausarbeiten, inwiefern sich Elemente des Orientbildes im Untersuchungszeitraum änderten.
Klinkenberg greift bei seiner Studie auf die zentralen Werke der Orientalismus-Debatte, u.a. natürlich auf Edward Saids "Orientalism", zurück, wobei der Autor von einer Vielfalt von "Orienten" ausgeht, die jeweils eine Epoche dominieren. Die Abhandlung erweitert durch ihre Detailfülle und die Vielzahl der analysierten Orientbilder den Forschungsstand zum Orientalismus. Bezogen auf Frankreich eröffnet der Verfasser vor allem dadurch neue Perspektiven, dass er seinen Blick weit über das 19. Jahrhundert hinaus schweifen lässt.
Klinkenberg geht davon aus, dass das politische und ästhetische Bild des Orients bis heute von Stereotypen und Klischees geprägt ist, die unter anderem auf religiösen Vorstellungen beruhen. Um diese greifbar zu machen, analysiert Klinkenberg die Werke und Gemälde der führenden französischen Künstler seines Untersuchungszeitraums. Der Autor geht dabei zunächst auf die soziokulturellen und politischen Lebensbedingungen der Literaten und Maler ein, bevor er deren Orientbilder dechiffriert. Auf diese Art und Weise dokumentiert der Autor den Einfluss des westlichen Umfeldes auf die Orientperzeption der einzelnen Protagonisten.
Die Studie gliedert sich in zehn Kapitel. Zunächst bietet Klinkenberg eine thematische Einleitung, in der die aktuellen Forschungsmeinungen zum komplexen Verhältnis von Orient und Okzident in der Neuzeit vorgestellt werden. Als Grundlage für seine Studie legt der Autor zudem dar, welche Orientrezeption man für das Mittelalter und die Renaissance ausmachen kann.
Das zweite Kapitel analysiert das Orientbild im Theater des 17. Jahrhunderts. Klinkenberg stellt fest, dass das Osmanische Reich zum Prototyp eines den Christen feindlich gesinnten muslimischen Staates wurde. Der Autor verdeutlicht, dass man das Bild eines unheilvollen und düsteren Orients zur Stärkung der eigenen europäischen Identität nutzte. So veränderten Theaterautoren historische Fakten, um den Orient bzw. das Osmanische Reich als negatives Gegenstück zu Europa darzustellen. Als Beispiel führt Klinkenberg die satirisch-parodistische Entwertung des Orients bei Molière an.
Die Entstehung eines differenzierteren Orientalismusdiskurses in Frankreich ist Thema des dritten Kapitels. Klinkenberg präsentiert einerseits die Funktion der Bibliothèque Orientale von d'Herbelot als erster wissenschaftlicher Studie zum Orient. Andererseits macht er klar, dass mit der ersten Übersetzung von 1001 Nacht zugleich ein märchenhaftes Orientbild entstand. Dessen Zeitlosigkeit dokumentiert der Autor in der Malerei anhand von Orientporträts und der Übernahme türkischer Stilelemente.
Im vierten Kapitel analysiert der Verfasser die Orientbilder der Aufklärer. An erster Stelle steht dabei Montesquieu mit dem Konzept des orientalischen Despotismus. Klinkenberg führt uns sehr schön den Einfluss antiker griechischer Autoren auf Montesquieu sowie auf dessen Absicht vor Augen, das westliche Königtum als positives Gegenstück zur orientalischen Willkürherrschaft darzustellen. Obwohl dieses ideologische Konzept von Montesquieu nicht der Realität entsprach, beeinflusste es die Literatur der gesamten Epoche, so auch die berühmten "Lettres Persanes". Bei Voltaire mündete es schließlich, wie Klinkenberg zeigt, im Konzept des fanatischen Islam als Gegensatz zur westlichen Vernunft.
Die Gründe für das europäische Interesse an einer Rückeroberung des Orients stehen im Zentrum des fünften Kapitels. Die französische Literatur bildet laut Autor die Basis für die These vom Islam als Grundlage für den Niedergang des Orients, da diese Religion unzivilisiert und wissenschaftsfeindlich sei. Klinkenberg stellt als Ergebnis dieser Werke den Wunsch dar, den Orient vor der islamischen Despotie zu retten, womit man zugleich die Ägyptenexpedition von Napoleon als Rettung des Orients legitimierte. Diese Idee einer von Frankreich getragenen Neustrukturierung des Nahen Ostens betrachtet der Autor als prägend für die französische Nahostpolitik bis 1914.
Wie diese politische Vorstellung Literatur und Malerei beeinflusste, verdeutlichen die nächsten drei Kapitel. Dabei präsentiert der Autor zunächst den romantisierten Orient von Byron und Victor Hugo. Als Merkmal dieser Werke benennt Klinkenberg, dass sie einzelne Vorurteile und Stereotype - wie etwa die Grausamkeit des orientalischen Mannes - nutzten, um den Kolonialismus zu rechtfertigen.
Anschließend widmet sich das Buch den Orientbildern von Reiseschriftstellern des 19. Jahrhunderts. Klinkenberg kann zeigen, dass die enge Beziehung zwischen biografischem Kontext und der Orientrezeption einzelner Reisender als Basis für eine differenzierende Orientperzeption diente. Entsprechend konstatiert der Autor drei Orientwahrnehmungen in der Malerei: den Orient als Quelle von Laster, als Raum der Freiheit und als idealisierte Antike.
Das neunte Kapitel geht abschließend auf das Orientbild am fin de siècle ein. Klinkenberg präsentiert den Kontrast zwischen dem nostalgischen Orient von Pierre Loti und dem politischen Orient à la Renan und Vathek. Der Autor unterstreicht, dass die beiden Letztgenannten den Islam bzw. die orientalischen Sitten für die Dekadenz des Orients und somit für Europas Überlegenheit verantwortlich machen. Im Fazit kommt Klinkenberg auf seine Eingangsthese zurück und zeigt noch einmal, dass es keinen geschlossenen und einheitlichen französischen Orientalismusdiskurs gibt, sondern allein verschiedene aufeinander aufbauende Orientbilder.
Die Studie überzeugt durch ihren Detailreichtum und gibt dem am französischen Orientdiskurs Interessierten die Chance, dessen Vielfalt wahrzunehmen. Problematisch ist die Vielzahl von Zitaten in Originalsprache ohne Übersetzung, da dies den Lesefluss hemmt und weniger sprachkundige Leser abschreckt. Dennoch ist das Werk von Klinkenberg hochinteressant und lesenswert.
Tonia Schüller