Ahmad Dallal: Islam, Science, and the Challenge of History (= The Terry Lectures), New Haven / London: Yale University Press 2010, XIII + 239 S., ISBN 978-0-300-15911-0, GBP 18,99
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Der Geschichtsprofessor Ahmad Dallal liefert in seiner Studie Islam, Sciene, and the Challenge of History einen historischen Überblick zur Rolle der Naturwissenschaften im Islam. Ziel des Werkes ist es, die Bedeutung von Naturwissenschaften in der islamischen Welt herauszuarbeiten sowie zu prüfen, in wieweit muslimische Wissenschaftler von anderen Wissenskulturen beeinflusst wurden.
Entsprechend orientiert sich die Studie von Dallal am Forschungsstand und nimmt Bezug auf Detailstudien renommierter Forscher zu Teilbereichen der islamischen Wissenschaftsgeschichte. Darüber hinaus greift der Autor vielfach auf Primärquellen zurück und nutzt bekannte Gelehrte der islamischen Welt wie Ibn Sina (Avicenna, 980-1037) und al-Ġazālī (1058-1111) zur Verdeutlichung seiner Ergebnisse.
Im Zentrum der Studie von Dallal steht die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Naturwissenschaften in der islamischen Welt. Dabei konzentriert sich der Autor auf drei Kernfragen: Was für kulturelle Kräfte bedingten die Debatte über den Vorrang von Religion gegenüber Naturwissenschaft? Wie entstanden diese Diskussionen und warum blieben sie erhalten?
Um diese Fragen zu beantworten, gliedert sich Islam, Science, and the Challenge of History in vier Kapitel. Zunächst befasst sich der Autor mit den Ursprüngen der Naturwissenschaften in der islamischen Welt. Er arbeitet heraus, dass praktische Fragen eine zentrale Rolle hinsichtlich des Einflusses der Naturwissenschaften spielten. Dies belegt er anschaulich an der Gelehrtendiskussion um die korrekte Ausrichtung der Qibla (Gebetsnische) Richtung Mekka am Beispiel der Moschee von Fes. Hauptfrage hierbei ist laut Dallal, ob die korrekte Berechnung durch Astronomen höherwertig ist als die Methodik von religiösen Autoritäten wie etwa den Prophetengefährten.
Ausgehend von diesem Exemplum befasst sich der Autor mit der Übersetzungsbewegung im 8. Jahrhundert als Basis für das Aufkommen einer islamischen Naturwissenschaftskultur. Laut Dallal war die arabische Kultur offen für wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem hellenischen, persischen und indischen Kulturkreis, da sie durch ihre politische Überlegenheit keinen Verlust der eigenen Identität durch fremde Einflüsse befürchten musste. Diese These belegt der Autor im Folgenden anhand von Beispielen aus den Bereichen Astronomie, Medizin und Optik. Dabei veranschaulicht das vorliegende Werk zum einen den starken Praxisbezug muslimischer Wissenschaftler durch die Verbindung von Forschung mit Tätigkeiten in Krankenhäusern und Observatorien und stellt zum anderen heraus, dass durch die Auseinandersetzung mit bekanntem Wissen neue Wissenszweige entstanden.
Im zweiten Kapitel seins Buches beschäftigt sich Ahmad Dallal mit dem Verhältnis von Naturwissenschaften und Philosophie, wobei er letztere als traditionelles Denksystem versteht. Der Autor zeigt unter Verweis auf den griechischen Mathematiker Ptolemäus, wie sich durch die Übertragung philosophischer Methoden auf die Naturwissenschaften im Zusammenspiel mit kritischem Hinterfragen gängiger Positionen eigene Denkschulen in der arabischen Welt herausbildeten. Diese Entwicklung trug - so Dallal - zugleich zum Entstehen eines weiteren Wissenschaftszweiges bei, welcher sich der Klassifikation von Wissen widmete.
Auf gleiche Weise geht der Autor im dritten Kapitel auf das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaften ein. Dallal legt das, dass beide Wissenszweige sich dauerhaft unter verschiedenen soziokulturellen Bedingungen neu entwickelten und vergleichbare institutionelle Strukturen aufwiesen. Darüber hinaus weist der Autor nach, dass Religionsgelehrte aus den Bereichen der Koraninterpretation (tafsīr) und der Theologie (kalām) divergierende Positionen zur Naturwissenschaft einnahmen. Am Beispiel von az-Rāzī (1149-1209) zeigt Dallal, das Tafsīr-Gelehrte für eine klare Trennung von Religion und Naturwissenschaften eintraten und folglich die Nutzung koranischer Verse zur Erläuterung naturwissenschaftlicher Phänomene ablehnten. Im Gegensatz dazu lässt sich im Bereich kalām häufig ein klarer Bezug zur Metaphysik und Astrologie finden - so bei al-Kindi (ca. 800-873) und al-Farābī (ca. 870-950). Dallal belegt, dass diese Gelehrten die Naturwissenschaften im Hinblick auf theologische Probleme diskutierten, insbesondere im Bezug auf die Göttlichkeit der Schöpfung.
Im abschließenden vierten Kapitel setzt sich die Studie mit den Ursachen für den Niedergang der Naturwissenschaften in der islamischen Welt auseinander. Dallal sieht diesen als historischen 'Zufall' an, nicht als ein kulturell bedingtes Phänomen. So zeigt er am Beispiel des Osmanischen Reiches, dass Stagnation im Bereich maritimen Wissens nicht auf Desinteresse beruhte, sondern durch das Bestehen von alternativen Handelswegen kein Bedarf an Neuerungen bestand. Bezogen auf die Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert stellt der Autor heraus, dass muslimische Gelehrte durchaus an Debatten um Kopernikus (1473-1543) und Darwin (1809-1882) teilnahmen. Allerdings kritisiert er, dass es sich hierbei nur um Diskussionen über bestehende Wissensdiskurse handelt, ohne dass neue kulturinhärente Themen zur Sprache gekommen wären.
Insgesamt liefert die Studie von Dallal einen Überblick über Entwicklungslinien der Naturwissenschaften im islamischen Raum und ihr Verhältnis zur Religion. Gerade im abschließenden Kapitel zur aktuellen Lage regt der Autor zu vertiefender Forschung zur aktuellen "Wissenschaftskrise" in der islamischen Kultur an, z.B. im Hinblick auf die nur kurz angesprochene Rolle der Islamisten und der Azhar-Universität.
Tonia Schüller