Magnus Rüde: England und Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608-1632). Konfession - Dynastie - kulturelle Ausdrucksformen (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen; Bd. 166), Stuttgart: W. Kohlhammer 2007, LI + 324 S., ISBN 978-3-17-019481-6, EUR 29,00
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Es ist seit langem bekannt, dass der Dreißigjährige Krieg mit der europäischen Mächtepolitik untrennbar verflochten war, dass er eine sich ständig beschleunigende "Internationalisierung der deutschen Politik" (Volker Press) bewirkte und in der zweiten Kriegshälfte endgültig zum europäischen Krieg in Deutschland wurde. Weil freilich die Art dieser europäischen Verflechtung, die konkrete Entfaltung des Kriegs als europäischer Konflikt in mancherlei Hinsicht noch unzulänglich erforscht und dargestellt war, widmet die jüngere Historiographie diesem Aspekt verstärkte Aufmerksamkeit.
In diesem Zusammenhang ist auch die vorliegende Studie zu sehen, die sich mit der Stellung Englands und der Kurpfalz im europäischen Mächtegefüge im Vorfeld und nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges beschäftigt. Die Bedeutung der Thematik ist evident, trug doch die Weigerung Jakobs I., seinem pfälzischen Schwiegersohn im Böhmisch-Pfälzischen Krieg die erhoffte Unterstützung zu gewähren, wesentlich zur Katastrophe des Böhmischen Aufstands, zum Scheitern der pfälzischen Politik und zum Erfolg der katholischen Allianz unter Einschluss Spaniens in dieser Kriegsphase bei.
Magnus Rüde verfolgt das Ziel, die englisch-pfälzischen Beziehungen nicht nur im traditionellen politik- und diplomatiehistorischen Sinne zu untersuchen, sondern bei der Betrachtung internationaler Politik in der Frühen Neuzeit auch Ansätze sozialwissenschaftlicher Theoriebildung, der Kulturgeschichte des Politischen sowie des "Neuen Institutionalismus" einzubeziehen - ein Ziel, dem Aufbau und Durchführung der Studie Rechnung tragen.
In einem ersten Abschnitt werden die Voraussetzungen der englischen und der pfälzischen Außenpolitik geschildert. Nach einem zuweilen fast handbuchartigen Überblick über Mächtebeziehungen in Europa um 1600 und die sie gestaltenden Faktoren werden die territorialen und administrativen Grundlagen der englischen und der pfälzischen Politik analysiert. Besonderes Augenmerk richtet Rüde auf die Umstände, die jeweils die außenpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten in beiden Ländern beschränkten. Dies war im Falle der Kurpfalz in erster Linie der unabgeschlossene Territorialisierungsprozess, im Falle Englands die Heterogenität von Akteuren und Interessen im Spannungsfeld von Privy Council, Court und Parliament. Dies wird treffend geschildert, auch wenn die These, dass England ähnlich wie die Kurpfalz, freilich aus anderen Gründen, als "semi-staatliches Gebilde frühneuzeitlicher Mächtebeziehungen" zu betrachten sei, doch eine bestreitbare Zuspitzung darstellt.
Darauf aufbauend beschreibt Rüde im zweiten Teil der Studie die Außenpolitik beider Mächte im Kontext des Mächtesystems und der konkreten Herrschaftsbedingungen. Dies geschieht auf der Basis profunder Quellenauswertung, wobei im englischen Fall die Quellenlage weit günstiger ist als im kurpfälzischen. Bei letzterem muss der Verfasser mangels aussagekräftiger Quellen in hohem Maße mit Plausibilitätsannahmen operieren. Ein besonderes Augenmerk richtet er im englischen Fall auf die Verbindung von Klientelstrukturen und Außenpolitik, die sehr sorgfältig beschrieben wird. Das Ergebnis ist höchst aufschlussreich, denn es zeigt sich, dass die Bedeutung von Klientelgruppen für außenpolitische Grundentscheidungen sehr zu relativieren ist. Zwar strebten Klientelgruppen und höfische Netzwerke nach der Besetzung außenpolitisch relevanter Positionen, aber eine unmittelbare Korrelation von außenpolitischer Ausrichtung - modern formuliert: außenpolitischen "Programmen" - mit dem Auf- und Abstieg von Klientelgruppen liegt offensichtlich nicht vor. Gerade im Falle des einflussreichen Netzwerkes des Duke of Buckingham vermag Rüde keine außenpolitisch homogene Grundhaltung zu erkennen (64f). Ähnliches gilt für die öffentliche Debatte: Auch durch massive publizistische Kritik von "radikal-protestantischer" Seite ließ sich Jakob I. nicht von seiner zurückhaltenden, auf Vermittlung gerichteten Außenpolitik abbringen.
Wichtiger für außenpolitische Kursbestimmungen war anderes, etwa die Interaktion der Mächte. Besonders deutlich wird dies bei der Beschreibung des englisch-spanischen Verhältnisses: Erst die englische Ernüchterung über die Position Spaniens, das trotz aller politisch-dynastischen Angebote Jakobs I. keine Bereitschaft zeigte, sich auf englische Kompromissvorschläge zur Klärung der Krise im Reich einzulassen, führte zum Umdenken in London.
Insgesamt wird durch die sorgfältige, vergleichend angelegte Untersuchung noch einmal deutlich, wie stark die kurpfälzische Politik durch konfessionelle Vorstellungen und entsprechend überzogene Erwartungshaltungen (gegenüber anderen protestantischen Mächten wie England) geprägt war, während sich Jakob I. beharrlich dieser konfessionellen Ausrichtung seiner Außenpolitik entzog. Der Faktor Konfession hatte eine fundamental verschiedene Bedeutung für beide Regierungen.
Zugleich werden auch bemerkenswerte Parallelen zwischen beiden verhinderten Partnern deutlich. So ist bei beiden Akteuren eine gewisse Tendenz zur Überbewertung der eigenen Möglichkeiten erkennbar. Dies war im Falle der Kurpfalz die beharrlich gepflegte Vorstellung, tatsächlich erfolgreich eine Führungsrolle bei einer militant antikaiserlichen Außenpolitik einnehmen zu können. Sie führte zu radikalisierten Deutungs- und Handlungsmustern der pfälzischen Politik, "die geeignet waren, trotz des Mangels an eigenen Ressourcen im europäischen Mächtesystem für einen Flächenbrand zu sorgen" (165).
Auch die englische Regierung zeigte eine gewisse Neigung, das eigene politische und dynastische Gewicht zu hoch zu veranschlagen und glaubte, eine ausgleichende Schiedsrichterrolle in Europa einnehmen zu können - eine Vorstellung, von der sich Jakob I. nur sehr langsam und widerstrebend verabschiedete.
Im dritten Teil der Studie geht Rüde auf kulturelle Ausdrucksformen der kurpfälzisch-englischen Beziehungen ein. Ein wesentliches Augenmerk richtet er dabei auf die Eheschließung zwischen Friedrich V. und Elizabeth Stuart von 1613. Der Verfasser vermag zu zeigen, wie die verschiedenen Sphären der Öffentlichkeit und die jeweiligen politisch-konfessionellen Lager diese Eheschließung in unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Weise ausdeuteten. Im Falle der Kurpfalz wird deutlich, wie stark sich seit der Eheschließung radikal konfessionelles Denken mit hochfliegenden dynastischen Reputationsüberlegungen verband - ein weiteres Motiv für den wenig später eingeschlagenen konfliktorientierten politischen Kurs.
Der multiperspektivische Ansatz der Studie stellt den Verfasser natürlich vor Probleme der Darstellung seines Gegenstands. Die englisch-kurpfälzischen Beziehungen werden nicht chronologisch entwickelt, sondern jeweils im Kontext verschiedener struktureller Sachzusammenhänge analysiert, was notwendig zu Wiederholungen führen muss. Gleichwohl erweist sich die Fruchtbarkeit des Ansatzes, wozu Rüdes souveräne Literatur- und Quellenkenntnis wesentlich beiträgt. Gerade die Analyse außenpolitischer Zielkonflikte zeigt, dass bei allen Unterschieden die Dynastie, noch genauer die dynastische Ehre und Reputation, "zentrales außenpolitisches Leitmotiv" beider Regierungen war - ein sehr überzeugend entwickeltes Ergebnis. Weitere komparatistisch angelegte Studien dieser Art, etwa zum Kaiserhof und Spanien, würden sicher dazu beitragen, unsere Kenntnis der europäischen Verflechtungen des Dreißigjährigen Krieges weiter zu vertiefen.
Christoph Kampmann