Bernd Aischmann: Mecklenburg-Vorpommern, die Stadt Stettin ausgenommen. Eine zeitgeschichtliche Betrachtung, Schwerin: Thomas Helms Verlag 2008, 228 S., 7 Farb-, 54 s/w-Abb., ISBN 978-3-935749-89-3, EUR 34,00
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Radosław Gaziński / Paweł Gut / Maciej Szukała (Bearb.): Staatsarchiv Stettin. Wegweiser durch die Bestände bis zum Jahr 1945. Aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew, München: Oldenbourg 2004
Eduard Maur: Gutsherrschaft und "zweite Leibeigenschaft" in Böhmen. Studien zur Wirtschafts-, Sozial- und Bevölkerungsgeschichte (14. - 18. Jahrhundert), München: Oldenbourg 2001
Heiko Wartenberg (Bearb.): Archivführer zur Geschichte Pommerns bis 1945, München: Oldenbourg 2008
Im Dezember 2007 fielen kurz vor dem Weihnachtsfest die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze weg. Bernd Aischmann, Journalist, ehemaliger stellvertretender Sprecher der brandenburgischen Landesregierung und Mitglied einer von 1991 bis 1994 tätigen deutsch-polnischen Regierungskommission für grenznahe Zusammenarbeit, nahm dieses Ereignis zum Anlass, das vorliegende Buch über die komplizierte Entstehung des nördlichen Abschnittes der deutsch-polnischen Nachkriegsgrenze zu veröffentlichen. Unterstützt wurde das Projekt von der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern. Der Titel ist übrigens ein Zitat aus dem Befehl Nr. 5 des Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 9. Juli 1945, mit dem die Bildung von Landes- und Provinzialverwaltungen und deren Zuständigkeit angeordnet wurde.
Wenn der Autor auch selbst betont, dass er kein geschichtswissenschaftliches Fachbuch schreiben wollte und deshalb auch nicht diesen Anspruch erhebt, so ist es doch die materialreichste und am dichtesten mit Quellen belegte Studie zur Problematik. Worum geht es?
Spätestens auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 waren sich die Alliierten einig, dass Deutschland nach seiner Besiegung Gebiete im Osten an Polen abtreten müsse. Dies sollte vor allem als Kompensation für polnische Gebietsverluste im Osten dienen, wo die bereits nach dem 1. Weltkrieg vorgeschlagene Curzonlinie die neue polnische Ostgrenze bilden würde. Der genaue Verlauf der künftigen deutsch-polnischen Grenze war aber in Jalta keineswegs festgelegt worden. Er bildete sich erst im Frühsommer 1945 im Umfeld der Potsdamer Konferenz heraus, wobei die Sowjetunion hierbei die maßgebliche Rolle spielte. Grenzflüsse wurden die Oder und die Lausitzer Neiße. Die einzige Ausnahme bildete der nördliche Abschnitt etwa ab Schwedt bis zur Einmündung des mittleren Oderausflusses, der Swine, bei Swinemünde in die Ostsee. Dort verläuft die Grenze westlich der Flüsse. Warum dies so ist und wie der Grenzverlauf in diesem Abschnitt, der im deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990 (BGBl. II 1991 Nr. 33) von beiden Seiten endgültig anerkannt wurde, entstand, davon handelt das vorliegende Buch.
Unterteilt ist das Buch in vier unterschiedlich umfangreiche und weiter untergliederte Kapitel, die sich der Problematik weitestgehend chronologisch nähern. Das erste stellt die für das Verständnis der Vorgänge ab Frühjahr/Sommer 1945 wichtige Vorgeschichte, nämlich die Polenpolitik Stalins von 1939 bis 1945, dar. Am 17. September 1939 rückten sowjetische Truppen gemäß dem Hitler-Stalin-Pakt in Ostpolen ein und besetzten die Gebiete bis zur bereits erwähnten Curzonlinie. Offiziell begründete Stalin den Einmarsch mit dem Schutz der in Ostpolen lebenden Ukrainer und Weißrussen. Polen sollte für den Verlust der Ostgebiete deutsche Gebiete östlich von Oder und Neiße erhalten, deren genauer Umfang aber bis 1944 noch nicht feststand. Im Januar 1944 gab Stalin erstmals den Forderungen des ihm hörigen "Verbandes polnischer Patrioten", einer Art Gegenregierung zur polnischen Exilregierung in London, nach. Dieser wollte außer einer Westgrenze an Oder und Lausitzer Neiße auch das westlich der Oder gelegene Stettin und dessen Vorhafen Swinemünde auf der Insel Usedom. Den alliierten Verbündeten gegenüber verheimlichte Stalin diese Abmachungen jedoch auch noch auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945.
Das zweite Kapitel beschreibt den Zeitraum von der sowjetischen Einnahme Stettins am 26. April 1945 bis zur endgültigen Absetzung der deutschen Stadtverwaltung. War die Lage unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen in den sowjetisch besetzten Gebieten Deutschlands schon sehr unübersichtlich und für die Zivilbevölkerung vielfach leidvoll, so steigerte sich dies in der Odermündungsmetropole noch mehr. Wäre die daraus erwachsene Realität nicht so bitterernst gewesen, möchte man es fast als Kuriosum bezeichnen, dass die Sowjets den Aufbau zweier paralleler Stadtverwaltungen, einer deutschen und einer polnischen, in diesem Zeitraum zuließ. Ausführlich beschreibt der Autor die daraus erwachsenen spannungsreichen Folgen und das Auf und Ab der Hoffnungen auf beiden Seiten. In der zweiten Junihälfte 1945 hatte es den Anschein, als würde die Zukunft Stettins weiterhin die einer deutschen Stadt sein. Aber am 28. Juni wurde überraschend die endgültige Übergabe an Polen angekündigt. Aischmann sieht einen Zusammenhang mit dem zeitgleich nun von den Westalliierten angekündigten Rückzug ihrer Truppen hinter die im September 1944 vereinbarten Grenzen der Besatzungszonen zum 1. Juli. Bekanntlich hatten Briten und Amerikaner bei ihren Vorstößen im Frühjahr 1945 den westlichen Teil der späteren sowjetischen Besatzungszone besetzt und blieben dort bis zum 1. Juli 1945. Nachdem sie ihren Truppenabzug Ende Juni tatsächlich ankündigten und vollzogen, sah Stalin jetzt keine Notwendigkeit mehr, eine deutsche Stadtverwaltung in Stettin zu belassen. Zwischen dem 6. und 10. Juli verließen die deutschen Verwaltungsmitarbeiter mit dem Bürgermeister Erich Wiesner an der Spitze die Stadt.
Der nachfolgenden Entstehung des mecklenburg-vorpommerschen/polnisch-westpommerschen Grenzlandes im Umfeld von Stettin widmet sich das dritte Kapitel. Zum einen musste Stalin noch die Zustimmung der Westalliierten einholen, was ihm auf der Potsdamer Konferenz jedoch ohne große Schwierigkeiten gelang, zum anderen ergaben sich zahlreiche praktische Probleme. Übergeben worden war den Polen am 5. Juli 1945 nur die Stadt Stettin in ihren Grenzen vor der Bildung von Groß-Stettin im Jahre 1939. Dadurch wurde die Stadt geradezu aus ihrem Umland mit den vielfältigen gewachsenen und zum Teil lebensnotwendigen Beziehungen herausgeschnitten. Eindringlich schildert Aischmann die daraus entstandene Notlage der Bevölkerung, insbesondere der noch in der Stadt verbliebenen Deutschen. Zu den tragischsten Folgen zählte zweifellos ein Anschnellen der Säuglingssterblichkeit auf 80-90 %. Die polnische Seite drängte auf eine Verschiebung und Festlegung der Grenze westlich von Stettin. Dies kam schließlich ohne jegliche Beteilung und auch nur Information der deutschen Seite am 21. September 1945 im Schweriner Grenzabkommen zwischen der Sowjetunion und Polen zustande. Doch die Sowjetunion behielt sich innerhalb des jetzt an Polen übergebenen Gebietes nördlich und westlich von Stettin noch weiterhin Bereiche vor. Dazu zählten insbesondere der Bereich um die Hydrierwerke bei Pölitz, nördlich von Stettin, die, obwohl zu großen Teilen zerstört, als Reparationsleistung abgebaut und in die Sowjetunion verbracht wurden, und der Hafen von Stettin selbst. In beiden Bereichen kamen deutsche Arbeitskräfte zum Einsatz, die zum großen Teil zwangsverpflichtet wurden.
Das letzte Kapitel beschreibt den weiteren Verlauf bis zum Abschluss des Görlitzer Friedensvertrages von 1950, in dem die SED-Führung der DDR die Grenze als Friedensgrenze anerkannte, und die letzte Korrektur des Verlaufs der Landgrenze auf Usedom 1951. Dort war Polen zur besseren Wasserversorgung Swinemündes ein direkter Zugang zum Wasserwerk am Wolgastsee ermöglicht worden. In den Jahren zwischen 1945 und 1950/1951 gab es, insbesondere bis 1947, noch mehrere weitergehende Gebietsforderungen Polens. Die häufigste ins Spiel gebrachte Grenzkorrektur sah die Abtretung der gesamten Insel Usedom und die Verlegung der Grenze bis zum Fluss Randow vor. Eine Maximalforderung beinhaltete die Übergabe der gesamten ehemaligen preußischen Provinz Pommern einschließlich Rügen, Zingst, Darß, Stralsund, Greifswald usw. Doch die Sowjetunion war zu keinen weiteren Veränderungen bereit.
Aischmann belegt seine ausführliche Darstellung mit zahlreichen archivalischen und gedruckten Quellen deutscher, polnischer, sowjetischer und alliierter Provenienz, die durch die entsprechende Fach- und Memorialliteratur der damals Beteiligten ergänzt wird. Ihm kommt bei der Auswertung der Quellen und Literatur die Beherrschung der polnischen und russischen Sprache zu Gute. Viele Karten und sonstige Abbildungen sowie faksimilierte oder edierte Dokumente lockern den Textfluss auf. Die edierten polnischen Quellen werden durchweg in deutscher Übersetzung geboten. Das wird sicher den Widerspruch der Editionspuristen hervorrufen, aber der Autor wollte ja ausdrücklich kein wissenschaftliches Fachbuch schreiben. Da die Fundstellen in jedem Fall angegeben sind, kann jeder, der es möchte, am Original die Zuverlässigkeit der Übersetzung selbst prüfen.
Einzig ein Manko will der Rezensent nicht verschweigen, auch wenn das sicher nicht mehr Thema des Autors war, gleichwohl aber als Epilog hierher gehören dürfte. Mit den Verträgen von 1950/1951 war die (ost)deutsch-polnische Grenzproblematik keineswegs beendet. Sie verlagerte sich lediglich auf See, genau gesagt, auf die Pommersche Bucht vor Swinemünde. Dort war der Verlauf ebenfalls unklar und beiderseitige Hoffnungen auf Rohstoff-, insbesondere Erdöl- und Erdgasvorkommen auf dem Meeresboden heizten den Konflikt weiter an. Erst unmittelbar vor dem Mauerfall kam es im Mai 1989 zum Abschluss eines Vertrages über den Verlauf der Seegrenze.
Dem Autor ist eine detaillierte und ausgewogene Darstellung dieses bereits zur Zeit seines Verlaufs auf (ost)deutscher Seite totgeschwiegenen Prozesses gelungen. Aufgrund seiner Materialfülle wird das Buch ein Standardwerk für lange Zeit für diejenigen bleiben, die sich mit dem Thema deutsch-polnische Grenze und Nachkriegsgeschichte im Norden der Sowjetischen Besatzungszone bzw. Nordwestpolen beschäftigen.
Dirk Schleinert