Mark Godfrey: abstraction and the holocaust, New Haven / London: Yale University Press 2007, ix + 294 S., ISBN 978-0-300-12676-1, GBP 35,00
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Die Möglichkeiten und Bedingungen der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem eklatantesten Zivilisationsbruch in der Menschheitsgeschichte, den Auschwitz und der Holocaust bedeuten, gehört zu einer der zentralen Fragestellungen der Kunst seit den 1940er Jahren. Wie kann man sich dem Grauen der Verbrechen des Nazi-Regimes nähern, ohne etwa den Gefahren der bloßen Illustration von Geschichte oder des gut gemeinten Betroffenheitskitsches zu erliegen und vielleicht sogar gleichzeitig die Komplexität des Vernichtungsprozesses ästhetisch zu reflektieren? Mark Godfreys Buch über das Spannungsverhältnis von gegenstandsloser Kunst und Holocaust ist von kunsthistorischer Seite ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einer künstlerischen und ästhetischen Schlüsselthematik und besticht durch präzise werkmonografische, medien- und gattungsübergreifende Fallstudien. Sie widmen sich so unterschiedlichen Künstlern und Architekten wie Morris Louis, Barnett Newman, Beryl Korot, Mel Bochner und Susan Hiller oder Louis Kahn und Peter Eisenman sowie dem United States Holocaust Memorial Museum, das 1993 in Washington D.C. eröffnet wurde. Seit ca. zehn Jahren hat sich Godfrey mit der Thematik auseinandergesetzt, und die Intensität der Beschäftigung und Sensibilität des Zugangs wird jetzt mit dem Vorlegen eines Standardwerks gekrönt.
Zu Beginn der Studien stellt Godfrey ausgehend von eigenen Beobachtungen in Berlin anlässlich der Diskussionen um Eisenmans Memorial to the Murdered Jews of Europe einige grundsätzliche Fragen und geht auf wenige ausgewählte Interpretationsansätze ein, die gewissermaßen ein theoretisches Rückgrat bilden, obwohl die Einzelstudien zu Recht einen pluralen methodischen Ansatz verfolgen, der sich aus der Spezifik des jeweiligen Werkes ergibt. So könnte es eine nahe liegende Hypothese sein, dass gerade die nicht-repräsentierende Kunst sich besonders eignet, ein Ereignis zu reflektieren, das sich der Repräsentation zu entziehen scheint. Zugleich aber kann die Abstraktion als Höhepunkt einer Moderne erscheinen, die für den Holocaust haftbar gemacht wird, insofern dieser als Exzess einer fehlgeleiteten Moderne interpretiert wird. Und schließlich gibt es die Sicht auf eine ungegenständliche konkrete Kunst, die gerade keinerlei Bezug zur Wirklichkeit herstellt, vielmehr eine eigene schafft, und damit per definitionem nicht in der Lage wäre Geschichte zu reflektieren und zu problematisieren. Aber es gibt nach Godfrey nicht die Abstraktion sowenig wie es den Holocaust gibt - der Autor stellt das an zentralen Figuren wie Greenberg und Krauss, Adorno oder Lyotard klar -, und die Stärke des Buches liegt nicht zuletzt in der methodischen Flexibilität des Verfassers, an der jeweiligen Konstitution des Werkes eine spezifische Interpretation der Vernichtung des europäischen Judentum aufzeigen zu können.
Im ersten Teil untersucht Godfrey in drei Kapiteln Werkgruppen der Maler Morris Louis, Barnett Newman und Frank Stella, wobei Newmans Stations of the cross: lema sabachthani bekannt sind, wohl aber kaum Charred Journal: firewritten von Louis und die Polish Village Series von Stella. Im Fall von Louis, dessen Werkgruppe 1951 vor dem "Durchbruch" zu den bekannten, wenn auch heute eher wieder in den Hintergrund getretenen Gruppen der Veils, Unfurleds und Stripes entstanden ist, rekonstruiert Godfrey eindrucksvoll den Bezug zur nationalsozialistischen Bücherverbrennung 1933 sowie dem Klima der Hexenverfolgung in der McCarthy-Ära und zeigt ferner, wie die Bilder den alten jüdischen Mythos der Entstehung der Thora und der Unzerstörbarkeit der Schrift reflektieren und gerade in der Abwesenheit von Bedeutung eine Möglichkeit zur Reflexion der historischen Katastrophe bieten. In seinem Newman-Kapitel bietet Godfrey eine detaillierte Analyse der fünfzehnteiligen Werkgruppe (es sind vierzehn Stationen und das abschließende Be II) und ihrer ersten Ausstellung im Guggenheim Museum 1966. Zentral ist dabei die überzeugende Interpretation der Genese der Werke, die Newman erst nach dem vierten Bild als Beginn der Stations begriff, und ihrer überlegten Installation im Museum. Letztere schuf einen räumlichen Bezugsrahmen, der dem Betrachter die Möglichkeit des Vergleichs, des Wiedererinnerns einzelner Stationen bot, aber auch das Gefühl des Schreckens, der Leere und Verlorenheit evozieren konnte und dem Überlebenden der Tragödie mit dem abschließenden Be II die Gelegenheit eines individuellen, verantwortungsvollen Selbstentwurfs in die Zukunft, im Angesicht und im Bewusstsein der Tragödie bot oder abverlangte.
Schließlich steht die ca. 130 Werke umfassende Serie zu den von den Deutschen zerstörten polnischen Holzsynagogen im Zentrum des vierten Kapitels, deren Genese auf einen Krankenhausaufenthalt Stellas und die Beschäftigung mit dem Buch Wooden Synagogues zurückgeht und erneut ausführlich dargestellt wird. Stella antwortete mit diesen Arbeiten, die den russischen Konstruktivismus der 1920er und 1930er Jahre ebenso wie die kollektive handwerkliche Gestaltung der Synagogen reflektieren, die kontrovers rezipiert wurden und heute eher nicht zu den drei bis fünf kanonisierten Werkgruppen des Malers zählen, auch auf die kritische Sicht der zeitgenössischen Kunstszene auf seine jüngere Werkentwicklung. Godfrey interpretiert sie denn auch als "assault on the flatness of modernist painting, on the non-referentiality of modernist process and on modernist habits of viewing" (111), der in seiner Zeit jedoch kaum erkannt wurde. Das Kapitel ist insofern eine kritische Auseinandersetzung mit den Auslassungen von Rosalind Krauss, die noch im Zeichen ihrer streng formalistischen Sichtweise das Konzept der Werkgruppe weitgehend verfehlte, indem sie nur die jeweils erste Version der bis zu vier Versionen einer Arbeit betrachtete und wie alle anderen zu keinem Zeitpunkt die Frage stellte, warum die Gruppe überhaupt polish village series hieß.
Waren die drei malerischen Werkgruppen noch aufgrund ihres Gattungscharakters vergleichbar, so löst sich dies im weiteren Verlauf des Buches immer stärker auf, auch wenn Godfrey immer wieder elegante Übergänge zwischen den einzelnen Kapiteln schafft. Der quälend lange Konzeptionsprozess von Louis I. Kahns Memorial for the Six Million Jewish Martyrs, das für den New Yorker Battery Park geplant war und dann letztlich nicht realisiert werden konnte, wird von Godfrey ausführlich rekonstruiert. Dies geschieht vor dem Hintergrund der durchaus nicht einheitlichen Vorstellungen der Auftraggeber und dem künstlerischen Paradigmenwechsel der Zeit zur Minimal Art sowie Kahns spezifischen Vorstellungen einer bewußtseinsverändernden "Glasarchitektur", die sich vielfach spiegeln und den Betrachter als sich erinnernden Betrachter selbst thematisieren würde. Letzteres wird im interpretatorischen Rückgriff auf die Philosophie von Emmanuel Levinas überzeugend interpoliert. So wie Godfrey abschließend betont, dass Kahn ein Mahnmal geschaffen hätte, das die radikale Infragestellung eines den Holocaust überlebt habenden oder nach den Ereignissen geborenen Subjekts evoziert hätte, so kann er am Beispiel der vierteiligen Videoinstallation Dachau 1974 von Beryl Korot, die 1975 in The Kitchen in New York erstmals gezeigt wurde, verdeutlichen, wie die jeweilige ästhetische Struktur des Werkes einen Reflexionsprozess in Gang setzt, der Erinnerung und Erkenntnis ermöglicht. Korots fast 30minütige Arbeit thematisiert nicht nur strukturell den Ort Dachau, sie situiert und reflektiert ihn als Ort im Jahre 1974 und reflektiert zugleich autothematisch die Frage nach einer gelungenen ästhetischen Form angesichts des Themas, wenn sie über eineinhalb Minuten das Krematorium in Dachau auf vier Bildschirmen zeigt und diese in unregelmäßigen Intervallen auf- und abblendet.
Immer wieder zeichnet der Autor zunächst die historischen Fakten und vor allem die zeitgenössische Rezeption oder Nicht-Rezeption des Werkes oder der von ihm ausgehenden Fragen nach, um im zweiten Teil des jeweiligen Kapitels die bisher ungenannten Aspekte der jeweiligen Arbeit herauszupräparieren. Das Vorgehen wirkt an wenigen Stellen schematisch, aber Godfreys Buch ist deshalb auch insofern ein Markstein in der Beschäftigung mit der Thematik, als es sich über weite Strecken als fundierte und an konkreten Werken entwickelte Revision theoriegeleiteter Perspektiven liest, die ihren Gegenständen häufig kaum gerecht werden und zahlreiche, im Nachhinein unverständliche weiße Flecken auf der Landkarte der Moderne hinterlassen haben. Die von Godfrey analysierten Arbeiten sind häufig gerade die nicht kanonisierten und so komplettiert das Buch immer wieder bisherige Vorstellungen vom Werk einzelner Künstler. Als einzige Kritik bleibt festzuhalten: es ist ein Buch, das angesichts seines Themas unverständlicherweise keine deutsche Forschungsliteratur, weder der Zeitgeschichtsforschung noch der Kunstgeschichte berücksichtigt - selbst wichtige Monographien zu Godfreys zentral besprochenen Werken wie das Buch von Franz Meyer über Newmans Stations of the Cross: lema sabachthani (Düsseldorf 2003) werden weder verarbeitet noch erwähnt.
Olaf Peters