Jochen Staadt / Tobias Voigt / Stefan Wolle: Operation Fernsehen. Die Stasi und die Medien in Ost und West. Mit einem Vorwort von Fritz Pleitgen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, 448 S., 25 Abb., ISBN 978-3-525-36741-4, EUR 29,90
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Christian Chmel: Die DDR-Berichterstattung bundesdeutscher Massenmedien und die Reaktionen der SED (1972-1989), Berlin: Metropol 2009
Jürgen Wilke (Hg.): Journalisten und Journalismus in der DDR. Berufsorganisation - Westkorrespondenten - 'Der Schwarze Kanal', Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007
Katrin Bobsin: Das Presseamt der DDR. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit für die SED, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013
Das Erscheinen dieses Buches hat eine komplizierte Vorgeschichte. Die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ARD) erteilte im Januar 2002 dem Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin den Auftrag, ein Gutachten über die "rundfunkbezogenen Aktivitäten des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR sowie in der Bundesrepublik Deutschland" zu erstellen. Der Forschungsverbund präsentierte bereits im Juli 2004 auf einer Pressekonferenz die Ergebnisse seiner Expertise. Dabei legte er ein Presseexemplar mit 442 Seiten vor, das Auszüge aus der insgesamt 1.095 Seiten umfassenden Studie enthielt. Die jetzt erschienene, vom Verlag schon vor Jahresfrist angekündigte Fassung beruht im Wesentlichen auf einer Überarbeitung des Presseexemplars. Im Vorwort nennt Fritz Pleitgen den Grund für den Verzug: "Die ursprüngliche Absicht, eine baldige und weitgehend ungekürzte Veröffentlichung der Studie vorzunehmen, musste nach der Verkündung des Bundesverwaltungsgerichtsurteils in Sachen Helmut Kohl gegen die Stasiunterlagenbehörde zurückgestellt werden." (15) Die inzwischen erfolgte Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes habe nunmehr die rechtliche Grundlage geschaffen, in absehbarer Zeit die gesamte Studie zu veröffentlichen.
Die Studie ist in vier Abschnitte untergliedert. Zunächst wird ein Überblick über die wechselnden deutschlandpolitischen Rahmenbedingungen für die SED- und MfS-Medienpolitik geboten. Daran schließt sich das Kapitel "MfS und ARD" an, in dem die Tätigkeit und die gewonnenen Erkenntnisse der mit den ARD-Anstalten befassten MfS-Diensteinheiten erläutert und analysiert werden. Zu den Beobachtungsschwerpunkten gehörten die "Tagesschau" und die "Tagesthemen" sowie die politischen TV-Magazine und insbesondere die Hörfunkprogramme des Senders Freies Berlin, des Hessischen Rundfunks, des Deutschlandfunks, der Deutschen Welle und des RIAS. Abschließend werden in diesem Kapitel Beispiele für maßgeblich vom MfS konzipierte, aber stets von der Agitationsbürokratie im SED-Zentralkomitee abgesegnete, gegen bundesdeutsche Politiker gerichtete Medienkampagnen veranschaulicht. Im dritten Kapitel wird die "Bearbeitung" der in der DDR ständig akkreditierten Hörfunk- und Fernsehkorrespondenten sowie der Reisekorrespondenten durch die Spionageabwehr des MfS (Hauptabteilung II/13) und der mit Stasi-Angehörigen durchsetzten Abteilung "Journalistische Beziehungen" im DDR-Außenministerium behandelt. Dies geschieht auf der Grundlage von umfangreichen Stasi-Ermittlungsakten und der systematischen Befragung von Korrespondenten. Im abschließenden Kapitel geht es um die "politisch-operative Sicherung" des journalistischen und technischen Personals des Hörfunks und des Fernsehens der DDR, die von der MfS-Hauptabteilung XX/7 als Büttel der ZK-Abteilung Agitation besorgt wurde. Dazu sichtete das Autorenteam Zeitzeugenbefragungen und Unterlagen der Birthler-Behörde (die 200.000 Kopien anfertigte), des Bundesarchivs, des Deutschen Rundfunkarchivs und anderer einschlägiger Archive.
Das Verdienst der Studie liegt vor allem darin, erstmals systematisch den Anteil des MfS an der gesamtdeutschen Mediengeschichte darzustellen. Waren zuvor bereits einige der wenigen erfolgreichen Desinformationskampagnen der Stasi bei bundesdeutschen Medien sowie einzelne West-IMs in ARD-Anstalten aus der Literatur bekannt geworden, so gelingt den Autoren der Nachweis, dass eine Einflussnahme auf Programminhalte - sieht man von wenigen unbedarften oder dem SED-Regime ideologisch nahe stehenden Reisekorrespondenten ab - nicht stattgefunden hat. Deshalb ist es zwar zutreffend, dass das MfS durch seine Spitzel und eine nachhaltige Telefonüberwachung und Postkontrolle über viele interne Vorgänge in den ARD-Anstalten Bescheid wusste: Von einer Unterwanderung im Sinne einer inhaltlichen Beeinflussung der Journalisten kann jedoch keine Rede sein. Die Darstellung der Rolle der Stasi bei Überwachung der DDR-Medien vermittelt zudem detaillierte Einblicke in die grundsätzlich bekannte Anleitung und Gängelung durch die SED-Agitationsbürokratie. Weil aber deren schriftliche Hinterlassenschaften nur fragmentarisch erhalten sind, runden hier die ausgewerteten Stasiakten das Bild ab und vermitteln neue Erkenntnisse.
Fritz Pleitgen, der selbst als Fernsehkorrespondent aus der DDR berichtet und als ARD-Ratsvorsitzender die Studie des Forschungsverbundes angeregt hat, ist zuzustimmen, wenn er in seinem Vorwort erklärt: "Wir hätten gerne, um eine umfassende Untersuchung abzuliefern, auch das ZDF dabei gehabt. Es konnte sich nicht dazu entschließen. Zur Aufhellung der ganzen Szene würde sicher auch beitragen, wenn die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ähnliche Untersuchungen durchführten. Aber es ist offensichtlich leichter, Sünden anderer anzuprangern, als sich selbst auf den Prüfstand zu stellen." (10f.) Nicht auf dem Prüfstand der Studie standen allerdings die ARD-Intendanten und die leitenden Programmverantwortlichen des Westdeutschen Rundfunks, die Ende der 1980er Jahre ihre DDR-Korrespondenten unter Druck setzten und, wie der davon betroffene Hans-Jürgen Börner beklagt, "Wandel durch Anbiederung" betrieben hätten. [1] Dazu müsste sich doch auch etwas in den Stasi-Akten finden lassen.
Anmerkung:
[1] Andreas Förster: Um des lieben Friedens Willen. Bitte nicht zu kritisch: die ARD und ihre DDR-Korrespondenten, in: Berliner Zeitung vom 1./2. November 2008. Siehe dazu auch: Bericht des Vorsitzenden des Staatlichen Fernseh-Komitees Heinz Adameck für den ZK-Sekretär Joachim Herrmann vom 5. Februar 1988 über eine Begegnung mit ARD-Intendanten (Deutsches Rundfunkarchiv Potsdam-Babelsberg o. Sign.). Zitiert nach Rüdiger Steinmetz: Kontinuitäten und Brüche im deutsch-deutschen Fernsehen vor, am und nach dem 9. November 1989, in: Rundfunk in Ostdeutschland. Erinnerungen - Analysen - Meinungen, hg. von Gerlinde Frey-Vor / Rüdiger Steinmetz, Konstanz 2003, 9-46, hier 18 und Gunter Holzweißig: "Einer muss ja hier den Noske geben." Symposium zum 50. Jahrestag des Fernsehens in Deutschland, in: Deutschland Archiv 36 (2003), 324-327, hier 326.
Anmerkung der Redaktion (18.12.2008): Nach einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Berlin vom 21.11.2008 ist der Verkauf des hier besprochenen Bandes momentan gestoppt.
Gunter Holzweißig