Rezension über:

Guido Heinzmann: Gemeinschaft und Identität spätmittelalterlicher Kleinstädte Westfalens. Eine mentalitätsgeschichtliche Untersuchung der Städte Dorsten, Haltern, Hamm, Lünen, Recklinghausen und Werne, Norderstedt: Books on Demand 2006, 618 S., ISBN 978-3-8334-4634-4, EUR 34,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Arnd Reitemeier
Institut für Historische Landesforschung, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Arnd Reitemeier: Rezension von: Guido Heinzmann: Gemeinschaft und Identität spätmittelalterlicher Kleinstädte Westfalens. Eine mentalitätsgeschichtliche Untersuchung der Städte Dorsten, Haltern, Hamm, Lünen, Recklinghausen und Werne, Norderstedt: Books on Demand 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 1 [15.01.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/01/13816.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Guido Heinzmann: Gemeinschaft und Identität spätmittelalterlicher Kleinstädte Westfalens

Textgröße: A A A

Im Mittelpunkt der zu besprechenden Münsteraner Dissertation steht die Frage nach der Entwicklung einer kommunalen Identität in territorialen Kleinstädten des späten Mittelalters. Für seine Untersuchung wählt Heinzmann sechs Kleinstädte in Westfalen (Dorsten, Halteren, Hamm, Lünen, Recklinghausen und Werne), "die sich besonders durch ihre territoriale Grenzlage und durch verschiedene geistliche und weltliche Landesherren auszeichneten" (15). Seine Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum des späten Mittelalters bis 1530 (18). Recht knapp begründet Heinzmann seine Quellenauswahl, die letztlich aber alles umfasst, was aus oder über die gewählten Orte überliefert ist: nämlich die einschlägige Chronistik sowie die Urkunden der Städte und der jeweiligen Landesherren, wobei Heinzmann sowohl auf Editionen als auch und in besonderem Maß auf ungedruckte Quellen zurückgreift. Ausführlich definiert Heinzmann sodann die erkenntnisleitenden Begriffe Gemeinschaft (30: "besonders innige Qualität der sozialen Verbindung von Menschen") und Identität (33-36). Auf ein ausführliches Kapitel über den geschichtlichen Hintergrund der gewählten Städte (37-70) folgen vier unterschiedlich lange Hauptkapitel: Im Kapitel "Anzeichen gemeinschaftlicher Identität" (71-131) belegt Heinzmann seine These, dass sich in den Städten Elemente von Identität entwickelten und im Verlauf des späten Mittelalters verstärkten. Im Kapitel "Die symbolische Selbstdarstellung städtischer Gemeinschaft" (132-193) untersucht er die Siegel, Wappen sowie einzelne Bauwerke der Stadt daraufhin, ob und in welchem Maß diese zu einer gemeinsamen Identität beitrugen oder für diese standen. Im umfangreichsten Kapitel des Buchs "Die Stiftung von Gemeinschaft und Identität" (194-355) widmet sich der Autor zunächst den "kulturellen Werten" und dann den normativen Elementen. Im Zentrum der detaillierten Analyse steht die Frage, auf welche Weise die Erinnerung an Katastrophen oder sonstige Ereignisse oder an Verstorbene dazu beitrug, dass sich die Bewohner einer Stadt mit eben dieser identifizierten. Dieselbe Frage richtet Heinzmann sodann an Quellen wie Statuten und Willküren und fragt danach, in welchem Maß etwa die gemeinsame Verteidigung der Stadt oder das gemeinsame Mitwirken am Rat identitätsstiftend wirkten. Ein letztes Kapitel thematisiert: "Intention und Organisation in der Konstituierung einer Stadtgemeinschaft" (356-428). Einem ausführlichen Resümee schließt sich ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein knapp 30 Seiten umfassender Anhang an, in dem Heinzmann zehn Quellen aus allen sechs Städten erstmals ediert sowie die Urkatasterkarten und Siegel der sechs Orte seiner Arbeit beifügt. Im Ergebnis kann Heinzmann seine These bestätigen, dass es ein "bewusstes Ziel der spätmittelalterlichen Bürgerschaft bzw. des jeweiligen Stadtrates war, über eine gemeinsame Identität ein Wir-Bewusstsein zu stiften und zu erhalten" (429). Auch wenn Heinzmann damit Gemeinsamkeiten bei allen untersuchten Städten konstatieren kann, so muss er doch einräumen, dass es nicht möglich ist, die einzelnen Elemente im Detail und in ihrer Genese zu bestimmen, die im Einzelfall zu einer Identifizierung der Bewohner einer Stadt mit ihrer Kommune führten.

Die Arbeit bildet damit in vielerlei Hinsicht einen wichtigen Schritt für die Forschung, da die Frage nach der Identität von Kleinstädten bislang allenfalls bruchstückhaft und keinesfalls umfassend gestellt wurde. Dies nun anhand von sechs Kleinstädten zu versuchen, ist verdienstvoll. Die von Heinzmann vorgefundene Quellenlage aber hat sein Vorhaben nicht eben erleichtert, da zwar aus allen Städten Urkunden und teilweise auch Akten und Bücher des Rates überliefert sind, diese Quellen aber eben nur zum Teil eine umfassende Antwort auf die gestellten Fragen erlauben. Heinzmann muss zwangsweise immer wieder auf dieselben Ereignisse und Elemente zu sprechen kommen, die jedoch wiederholt auf Konflikten zwischen der Stadt und übergeordneten Autoritäten wie dem Landesherrn oder Richter basierten und die damit gleichsam automatisch dazu führten, dass die Stadt nach außen geschlossen auftrat. Zugleich konnte Heinzmann das methodische Problem nicht lösen, dass die Ratsüberlieferung keinerlei Aussagen erlaubt, ob sich beispielsweise auch Tagelöhner und Arme in gleicher Weise wie die Bürger der Stadt mit ihrer Kommune identifizierten. Die Frage, wie nun ein Bewusstsein der Identifikation mit der Kommune entstand, muss er leider offenlassen, da letztlich zentrale Elemente seiner Definition beim Einsetzen der Quellen schon erfüllt sind. Dennoch hat Heinzmann mit seiner über 600 Seiten dicken Dissertation eine wichtige Arbeit für die Geschichte der Kleinstädte Westfalens vorgelegt, deren Wert ganz wesentlich auf der systematischen Sichtung und Analyse der edierten wie unedierten Quellen beruht. Die zentrale Frage der Arbeit nach den Kräften, die einen Zusammenhalt der Bewohner einer Stadt bewirken und zu einer Identifikation aller mit dem Gemeinwesen führen, konnte systematisch erarbeitet, aber leider weniger umfassend belegt werden, als es sich der Leser (und vermutlich auch der Autor) gewünscht hätten.

Arnd Reitemeier