Heike Düselder / Olga Weckenbrock / Siegrid Westphal (Hgg.): Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, XIII + 431 S., ISBN 978-3-412-20131-9, EUR 49,90
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Der vorliegende Sammelband vereint die Beiträge einer auf einem Osnabrücker Forschungs- und Ausstellungsprojekt beruhenden Tagung [1] und setzt sich zum Ziel, die in den letzten Jahren intensivierte Forschung zur Geschichte des Adels in der Neuzeit um einen neuen theoretischen Zugang zu erweitern. Ausgangspunkte sind die Begriffe der natürlichen und der sozialen Umwelt, wie sie zum einen in der noch eher heterogenen umweltgeschichtlichen Forschung sowie zum anderen in den soziologischen Arbeiten von Alfred Schütz entwickelt worden sind. Der Grundgedanke ist, dass der Adel seine exklusive soziale Stellung nicht zuletzt auf die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen, vor allem in Form von Landbesitz, gründete sowie durch eine aktive Naturgestaltung sichtbar machte und dadurch natürliche und soziale Umwelt in ein enges Wechselverhältnis zueinander setzte. Aus Sicht der Umweltgeschichte wird damit der konstitutive Zusammenhang zwischen "soziale[r] Differenzierung und Umweltwahrnehmung bzw. Umwelthandeln" (Vorwort, XII) stärker ins Bewusstsein gerückt. Im Hinblick auf die Adelsgeschichte soll mit der standesspezifischen Naturwahrnehmung und -gestaltung ein wichtiges Element der Konstituierung des Adels als Sozialgruppe im Sinne des vor allem von Heinz Reif und Josef Matzerath formulierten Konzepts von "Adeligkeit" sichtbar gemacht werden (Einführung, 14).
Die 16 Beiträge des Bandes konzentrieren sich auf den nordwestdeutschen Raum, beziehen aber auch andere Adelslandschaften wie Bayern und Sachsen mit ein und sind in drei thematische Komplexe gegliedert. Zuerst wird nach der Naturwahrnehmung und -gestaltung des Adels gefragt. Anhand konkreter Beispiele thematisieren die Beiträge die Landschaftsgestaltung und Naturaneignung des Adels (Heike Düselder, Jens Beck, Renate Oldermann), adelige Selbstwahrnehmung anhand von Landesbeschreibungen (Martin Knoll) sowie adelige Bestattungen auf dem eigenen Grundbesitz (Sascha Winter). Der zweite Komplex widmet sich der sozialen Umwelt und dem adeligen Selbstverständnis. Hier werden die konstitutive Bedeutung zentraler sozialer Räume für den Adel (Elizabeth Harding, Bastian Gillner) ebenso beleuchtet wie die Mechanismen zur Generierung von Adeligkeit durch soziale Aufsteiger (Michael Hecht, Angela Behrens) oder kulturelle Repräsentationen des adeligen Status (Uta Hengelhaupt, Anne Kuhlmann-Smirnov). Der dritte Komplex befasst sich mit der Umweltwahrnehmung des Adels in Selbstzeugnissen und publizistischen Quellen. Exemplarisch werden die Wahrnehmung von Adeligen anhand von (Reise-) Tagebüchern (Josef Matzerath, Silke Marburg), Generationenkonflikte in adeligen Familien (Olga Weckenbrock), Umbruchserfahrungen des Adels unter dem Eindruck der Französischen Revolution (Gerd van den Heuvel) sowie adelige Hausväterliteratur (Inken Schmidt-Voges) vorgestellt.
In der Summe bieten die Beiträge auf der Grundlage eines reichhaltigen Quellenmaterials anregende Einblicke in zahlreiche Einzelaspekte der Wahrnehmung und Gestaltung der natürlichen Umwelt durch den Adel und die damit zusammenhängende Frage nach seiner Verortung in der sozialen Umwelt. Dabei setzen sich die Autoren erfreulich konsequent mit dem eingangs formulierten Konzept auseinander, so dass die vorliegende Publikation eine bei längst nicht allen Sammelbänden anzutreffende innere Konsistenz aufweist. Auffällig scheint dem Rezensenten bei der zusammenfassenden Würdigung dreierlei. Zum einen gelingt es kaum, den selbst gestellten Anspruch einzulösen und den Adel nicht nur aus einer Binnenperspektive, sondern auch in wechselseitiger Relation mit seiner sozialen Umwelt zu betrachten (Einführung, 2). Die Beiträge sind zumeist ganz aus dem Blick der adeligen Protagonisten heraus geschrieben, während die Adressaten der adeligen Symbolhandlungen oft lediglich als passives Publikum erscheinen. Zum anderen fällt die mangelnde Sensibilität für die Binnendifferenzierung des Adels auf. Insbesondere wird der besondere Status des regierenden Hochadels im Vergleich zum landsässigen Niederadel kaum reflektiert, so dass etwa im ersten Komplex Beiträge über niederadelige Gartengestalter unvermittelt neben den Ausführungen Sascha Winters über adelige Begräbniskultur stehen, die sich u.a. auf den preußischen König Friedrich II. oder den Gothaer Herzog Ernst II. beziehen.
Vor allem aber bleibt die Leitfrage nach der Spezifität adeliger Umweltwahrnehmung und Umweltgestaltung weitgehend offen. Hier hätte vielleicht eine systematisch vergleichende Betrachtung etwa zu ähnlich situierten Angehörigen des Bürgertums weitergeführt, die der vorliegende Band jedoch allenfalls in Ansätzen leistet. Natürlich erscheint der Landbesitz angesichts der Genese des Adels als Führungsschicht einer agrarisch dominierten Gesellschaftsordnung und der Persistenz zahlreicher landbesitzender Adelsfamilien in der Neuzeit zunächst einmal in plausibler Weise als wichtiges Element adeliger Gruppenidentität. Aber bereits im ersten Beitrag stellt Heike Düselder fest, dass das im 18. Jahrhundert zunehmende "Botanisieren" keineswegs eine exklusive Angelegenheit des Adels, sondern ein ständeübergreifendes Phänomen war (46). Die unabhängig von der Standeszugehörigkeit vermittelte Sensibilität für die natürliche Umwelt in aufklärerischen Bildungsanstalten kann angesichts einer im 18. Jahrhundert steigenden Anzahl bürgerlicher Rittergutsbesitzer bei einer gleichzeitig immer mehr anwachsenden Zahl landloser Adelsfamilien kaum mit dem Hinweis relativiert werden, dass eine aktive Naturgestaltung vor allem den adeligen Zöglingen in ihrer späteren Funktion als Rittergutsbesitzer möglich gewesen sei (38).
Konsequenterweise schließt Josef Matzerath in seinem Beitrag das besondere Interesse an der Landwirtschaft als Kennzeichen einer spezifisch adeligen Umweltwahrnehmung aus (347). Gleichzeitig wird auch bei ihm eine gewisse Ratlosigkeit darüber deutlich, was denn nun die Indikatoren einer adeligen Umweltwahrnehmung seien. Das Ergebnis seiner Suche ist eine weitgehende "Fehlanzeige" (352). Ob die einzig ausgemachten Anzeichen, nämlich die Wahrnehmung der besonderen Funktion eines erhöhten Bauplatzes für die Errichtung eines Schlosses (348) sowie das Wissen um die Bedeutung bestimmter natürlicher Erinnerungsorte für die Geschichte einer Dynastie tatsächlich besondere "Ingroup-Kenntnisse" voraussetzten, die den Adel über seine vielfältigen Binnendifferenzen hinweg zusammenbanden (350), wäre wohl ebenfalls erst über eine vergleichende Betrachtung eindeutig zu klären. Auch Silke Marburg kann in ihrem ähnlich angelegten Beitrag keine adelsspezifische Sichtweise im Pariser Reisetagebuch ihres Probanden aus dem Jahr 1820 entdecken. Vielmehr war dessen Wahrnehmung stark von Publikationen bürgerlicher Revolutionskritiker vorgeprägt und wurde zudem von romantisch-nationalen Empfindungen überlagert (381-382).
Man könnte also mit dem Beitrag von Olga Weckenbrock fragen, inwieweit man nicht die oftmals ideologisch überhöhten und somit wenig Deutungsspielraum bietenden Begriffe wie Adel und Bürgertum durch flexiblere Analyseinstrumente ergänzen müsste, wie sie etwa mit den Konzepten Oberschicht, Elite, oder, wie von Weckenbrock vorgeschlagen, Generation (336), zur Verfügung stehen. Die Umweltwahrnehmung und das Umwelthandeln wurden offenbar durch mehrdimensionale Referenzebenen geprägt, die eine adelsspezifische Perspektive nachhaltig überlagern konnten. Die Suche nach genuin adeligen Wahrnehmungs- und Handlungsmustern birgt zudem die Gefahr, jegliche Äußerungen in diesem Kontext einem adeligen Legitimationsstreben zuzuschreiben und das Eigengewicht etwa von ästhetischen Interessen oder ökonomischen Kalkülen zu unterschätzen. Dagegen betont Jens Beck in seinem Beitrag, dass für den adeligen Gartengestalter Fürst Pückler die "gärtnerische Passion" gegenüber der eindrucksvoll belegten "sozial- und gesellschaftspolitische[n] Dimension seines Schaffens" (91) stets im Vordergrund gestanden habe.
Insgesamt stellt der Band sowohl durch seine theoretische Konzeption als auch durch das vorgestellte empirische Material einen anregenden Beitrag zur neueren Adelsgeschichte dar, der vor allem deren Anschlussfähigkeit an andere Themenfelder deutlich macht und zu weiteren Forschungen veranlassen dürfte. Allerdings wäre der Orientierung des Lesers zumindest ein Personenregister am Ende des Bandes sicherlich von Nutzen gewesen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Tagungsbericht Adel und Umwelt. Horizonte, Erfahrungen und Wahrnehmungen adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit. 08.03.2007-10.03.2007, Börstel. In: H-Soz-u-Kult, 11.06.2007, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1603 Vgl. auch den Begleitband zur im Rahmen des Projekts durchgeführten Dauerausstellung: Heike Düselder (Hg.): Adel auf dem Lande. Kultur und Herrschaft des Adels zwischen Weser und Ems 16. bis 18. Jahrhundert, Cloppenburg 2004.
Marko Kreutzmann