Heike Düselder / Annika Schmitt / Siegrid Westphal (Hgg.): Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 235 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-22167-6, EUR 34,90
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Nein, es gibt immer noch keinen Lehrstuhl für Umweltgeschichte in Deutschland. Was bedauerlich ist. Aber die Forschung wächst, wird breiter, konsolidiert sich. Diese Teildisziplin der Geschichtswissenschaft ist längst kein Neuling mehr. [1] Es gab das DFG-geförderte Göttinger Graduiertenkolleg "Interdisziplinäre Umweltgeschichte", und das 2009 eingerichtete und inzwischen weithin bekannte Rachel-Carson-Center hat sich zu einem Hotspot der internationalen Umweltgeschichte entwickelt. Aber kommt die Umweltgeschichte auch in Sphären jenseits der akademischen Wissenschaft an? Sickert sie "nach unten" durch? Werden ihre Ergebnisse nicht nur in den Feuilletons und zwischen den Experten, sondern auch in den Bildungsstätten der Republik sichtbar und relevant? Mit diesem Anspruch war sie schließlich angetreten, und daran hat sich nichts geändert. Aufschluss über diese Fragen verspricht der Sammelband "Umweltgeschichte", der sich laut Titel der "Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule" widmet. Er ist das publizierte Ergebnis eines Symposiums an der Universität Osnabrück 2012, eine Abschlussveranstaltung des Forschungsvorhabens "Mensch und Umwelt - Pilotprojekt zur Verknüpfung von Forschung, museologischer Dokumentation und Didaktik". [2]
Die drei ersten Aufsätze des Sammelbandes führen in das Feld ein. Sie skizzieren klar und treffend den Stand der Dinge in Wissenschaft, Schule und Museum. Manfred Jakubowski-Tiessen beschreibt in seinem Beitrag die Umweltgeschichte als geschichtswissenschaftliche Disziplin, fächert ihre eigene Historie als zunächst politisch motivierte Sparte auf, zeigt die wissenschaftliche Etablierung und verdeutlicht auch - ein schöner Einstieg in das Buch - ihren erfreulichen Charakter als interdisziplinärer Tausendsassa und ihre nach wie vor enormen Potenziale. Allerdings wird auch ein Defizit der Umweltgeschichte deutlich: Die Umwelt als Grundkategorie geschichtswissenschaftlicher Wissenschaft hat sich noch nicht durchgesetzt und wartet immer noch auf ihre nachhaltige Institutionalisierung an den Hochschulen.
Bernd-Stefan Grewe entwickelt aus der kritischen Analyse der bisherigen Umsetzung der Umweltgeschichte in den Schulen praxisrelevante "Leitlinien für umwelthistorischen Unterricht", die darauf abzielen, die Lernenden von den üblichen Klischees und Denkmustern zu emanzipieren und durch historisches Wissen Skepsis zu erzeugen. Eben diese Skepsis ist dringend angezeigt, denn wie es Grewe formuliert, "das Wissen um das Gewordensein der heutigen Lage verschafft ihnen ein Bewusstsein für die Gestaltbarkeit historischer Prozesse und öffnet so die Zukunft" (51). Das erscheint vielleicht auf den nächsten Blick banal, gerade diese Handlungsoptionen sind aber angesichts der durchaus paralysierend wirkenden Umweltprobleme ganz wesentlich.
In ihrem Beitrag "Umwelt(geschichte) im Museum" schreibt Nina Möllers eine sehr aufschlussreiche kritische Rezeptions- und Sammlungsgeschichte vom Objektbereich Umwelt in den deutschen Museen. Anhand des Deutschen Museums in München zeigt sich, wie sich über die meiste Zeit seines Bestehens Natur vor allem "als eine durch naturwissenschaftliche Bildung und angewandte Technik zu beherrschende Kraft" verstanden und präsentiert wurde (62). Negative Folgen dieser Naturbeherrschung waren kein relevantes Thema - und in diesen "umweltfreien Räumen" (64) entstanden auch keine Sammlungen, auf die man heute zurückgreifen könnte. Dieser Umgang wandelte sich nach Möllers erst mit dem Aufstieg der Umweltbewegung. Umweltthemen erfordern in aller Regel interdisziplinäre Zugriffe - was gerade in einer durch disziplinäre Sparten geordneten deutschen Museumslandschaft schwierig schien. Die 1992 geschaffene Ausstellungseinheit "Umwelt" im Deutschen Museum dokumentierte, dass das Thema dort immer noch am Rande stand - eher talentlos und technikorientiert fristete es in einem Untergeschoss ein "Schattendasein", wie es Möllers ausdrückt. Erst heute scheinen tatsächlich neue Zeiten und größere Würfe möglich - kürzlich wurde die Sonderausstellung "Anthropozän" im Deutschen Museum eröffnet - eventuell ein Zeichen dafür, dass das 21. Jahrhundert "auch für das Museum das Zeitalter der Umwelt werden wird" (75)?
Nach diesen umfassenden und gut lesbaren Einführungstexten folgen in dem Sammelband Beiträge zu teilweise eher spezifischen und kleinteiligeren Fragen, lokalen Forschungen und Projekten, die am ehesten in der Klammer der Forschung und Vermittlung einer Umweltgeschichte des ländlichen Raumes und der Landschaft zusammengefasst werden können. Hans-Jörg Küster zeigt beispielsweise, dass Kulturlandschaften als vielschichtige Erinnerungsspeicher dienen können. Heike Düselder berichtet objektbezogen wie das gigantische aber auch starre Objekt Tiefpflug im Freilichtmuseum Cloppenburg zum Ausgangspunkt für eine umwelthistorische Erzählung werden kann.
Drei Beiträge berichten anschließend von den Erfahrungen und Evaluierungen in einem Umweltgeschichtsprojekt in Oldenburg. Dabei zeigte sich - sowohl aus Lehrer- und Lehrerinnen- als auch Schüler- und Schülerinnenperspektive - wie anstrengend und aufwändig aber eben auch produktiv sich umwelthistorische und interdisziplinäre Vorhaben gestalten. Dabei geht es nicht zuletzt um die "Schulung der Wahrnehmungskompetenz", aber vor allem darum, die überkommene Rezeption des Mensch-Natur-Verhältnisses als eine Katastrophen- oder Negativgeschichte zu überwinden.
Zwei Beiträge über museale Praxis von Umweltgeschichte schließen den Band. Dabei stellt wiederum Nina Möllers anschaulich das Thema 'Anthropozän' als Ausstellungsthema vor, das die so oft geforderte Syntheseleistung der Umweltgeschichte umsetzbar macht - und die Museen auch vor ihren traditionellen Berührungsängsten mit der Gegenwart und Zukunft befreien kann.
Die Autorinnen und Autoren sind sich einig, dass es noch hakt im Zusammenspiel von umwelthistorischer Forschung und praktischer Umsetzung - die Wissenschaft ist nicht genügend institutionalisiert, die Lehrenden selbst nicht befriedigend für das Thema geschult, die Museen oft noch zu zögernd im Umgang mit Thema Umwelt und seiner schwierigen Gegenwart. Der Sammelband vermittelt die nach wie vor unkoordinierte Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis durchaus. Dieser Eindruck mag nicht zuletzt an dem thematischen und zeitlichen Schwerpunkt des Praxisprojektes auf Landnutzung und Landschaft liegen. Umweltgeschichte macht es den Praktikern dabei nicht unbedingt leicht - sie ist bisweilen sperrig, oft "irgendwo dazwischen". Gleichzeitig hält sie grandiose Narrative bereit, die für die in dem Band oft zitierte elementare Umweltbildung doch so wesentlich wären. Die Umweltgeschichte bietet sicher noch niedrigschwelligere Themen als im Buch verhandelt - man denke nur an die boomende Tiergeschichte, die eine besondere Sogwirkung auf Kinder und Jugendliche entfalten kann. Der Sammelband zeigt, dass viele Verständigungsschwierigkeiten zwischen Forschung und Anwendung ebenso hinderlich sind wie noch zur Frühzeit der deutschen Umweltgeschichte. Er kann jedenfalls als ein Plädoyer für eine neue und offenere Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis gelesen werden.
Anmerkungen:
[1] http://docupedia.de/zg/Umweltgeschichte_Version_1.0_Melanie_Arndt#Geschichte_der_Umweltgeschichte.
[2] http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4422.
Anna-Katharina Wöbse