Jens Bartels: Städtische Eliten im römischen Makedonien. Untersuchungen zur Formierung und Struktur (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 242), Berlin: De Gruyter 2008, X + 258 S., ISBN 978-3-11-019500-2, EUR 98,00
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Dieses Buch, eine leicht überarbeitete Bonner Dissertation, besteht aus zwei fast gleich langen Teilen. Der erste befasst sich mit allgemeinen Kriterien für die Beurteilung gesellschaftlicher Wertvorstellungen im Osten des römischen Reiches, der zweite Teil wendet die so gewonnenen Ergebnisse auf die Städte der Provinz Macedonia an. Bartels beginnt mit einer allgemeinen Kritik an der seit weit verbreiteten Übertragung von modernen bzw. mittelalterlichen Gesellschaftsmodellen (ob Schichten, Klassen oder Stände) auf die römische Antike. Ihn interessiert insbesondere die untaugliche Anwendung solcher Modelle auf die Städte in den griechisch sprechenden Teilen des Reiches, wo selbst der Globalbegriff "römische Gesellschaft" kaum adäquat wirkt. Dabei hat er insbesondere Paul Veyne im Visier. Daran anschließend und auf der Basis von zeitgenössischen literarischen Quellen (Plutarch, Dion Chrysostomos sowie Artemidoros von Daldis) werden die Kriterien Reichtum, Geburt, Ämterbekleidung, Euergetismus sowie Bildung nacheinander als Merkmale für gesellschaftliches Ansehen untersucht. Diese Untersuchungen führen zum Ergebnis, dass kein Kriterium alleine ausreichte, um gesellschaftliches Ansehen zu begründen, es sei denn die vorhandenen Qualitäten bzw. Fähigkeiten würden im Interesse der städtischen Gemeinschaft eingesetzt. Aber selbst dann wurde keine dauerhaft feststellbare "Schicht" von angesehenen Männern (selbst von sog. Honoratioren nicht) geschaffen: Jeder Bürger musste für sich selbst durch seinen Einsatz für die städtische Gemeinde Ansehen erwerben, wobei ein geerbtes Großvermögen die Chancen des Besitzers durch die so gegebene Möglichkeit, bedeutenden Einsatz für die Gemeinschaft zu leisten, sicherlich erhöhte im Vergleich mit weniger Begüterten. Reichtum alleine reichte aber nicht aus; auch die Qualität euergetischer Tätigkeit wurde unterschiedlich bewertet, je nach Einsatz.
Bartels hat in diesen Ausführungen im ersten Teil seines Buches gewiss viel Richtiges gesehen. Dennoch bleibt ein leichter Zweifel, ob die teilweise stark moralisierenden Äußerungen seiner ausgewählten Quellen tatsächlich eine gesellschaftliche Realität erschließen lassen. Wie weit verbreitet waren die Wertvorstellungen eines Plutarch insbesondere bei seiner schwer einzuordnenden Betonung der Bedeutung von Motivierungen? Wie sollen wir z.B. solche Äußerungen einordnen, wenn er ausführt, Ämterbekleidung ist moralisch in Ordnung, es sei denn, sie wird nur aus leerer Ruhmsucht betrieben? Wie soll man das feststellen? Ist vielleicht "leere Ruhmsucht" nicht selbst nur eine inhaltleere Floskel der moralisierenden Rhetorik? In der Praxis dürften die Motive von Männern, die Ämter übernahmen, immer gemischt gewesen sein, und die bürgerlichen Genießer ihrer Tätigkeit, wenn sie positiv gewertet wurde, dürften sich keine großen Gedanken über die Motive gemacht haben.
Im zweiten Teil werden die gleichen Kriterien auf das weitestgehend inschriftliche Quellenmaterial aus den Städten der Provinz Macedonia angewandt. Trotz aller Überlieferungslücken findet Bartels eine prinzipielle Bestätigung seiner Ergebnisse aus Teil I, zumindest für die griechischen Städte der Provinz (die römischen Kolonien zeigen allerdings andere gesellschaftlichen Strukturen und dementsprechend andere sozialen Wertigkeiten). Besitz reicht nicht allein für gesellschaftliches Ansehen, wenn es nicht für die Stadtgemeinschaft eingesetzt wird.
Die Ergebnisse der Studie werden von Bartels in einem letzten Kapitel zusammengefasst. Im römischen Makedonien haben wir es mit einer "Leistungsgesellschaft" zu tun, in welcher Ansehen durch Leistungen für die bürgerliche Gemeinschaft erworben wird; Herkunft an sich war dabei kein maßgeblicher Faktor, wobei Bartels zurecht betont, dass sein Ergebnis nicht unbedingt überall im Osten gelten muss; gerade was Herkunft angeht, scheint die Lage etwa in Lykien und Pisidien erheblich anders gewesen zu sein, wobei dies auch nur eine regionale Besonderheit darstellen könnte. In Makedonien auf jeden Fall gibt es keine erkennbare Statusgruppe mit dauerhaftem familiärem Bestand, keine "Honoratiorenschicht", nur immer wieder Einzelpersonen, die durch ihre eigene Tätigkeit für sich Ansehen erwarben.
Bartels hat eine schöne Dissertation geschrieben, die ein Interesse weit über die Geschichte des römischen Makedonien hinaus beanspruchen kann. Seine Hervorhebung der Bedeutung des für die hellenistische polis typischen polis-bezogenen Einsatzes des Einzelnen für die Gemeinschaft, die jeweils nur als Einzelleistung bewertet wird, auch in der hohen Kaiserzeit ist einleuchtend und sicher richtig, selbst dann, wenn es auch Ausnahmen zu geben scheint. Außerdem kann die gelegentlich anklingende Andeutung, dass der Osten auch keine standardisierte Gesellschaft mit überall gleichen Wertvorstellungen war, sondern dass regional oder örtlich unterschiedliche Strukturen und Wertungen zu finden waren - trotz der sprachlichen Hellenisierung Kleinasiens - nur heilsam sein, wenn sie einmal rezipiert wird.
R. Malcolm Errington