Iwan-Michelangelo D'Aprile / Winfried Siebers: Das 18. Jahrhundert. Zeitalter der Aufklärung (= Akademie Studienbücher Literaturwissenschaft), Berlin: Akademie Verlag 2008, 255 S., ISBN 978-3-05-004364-7, EUR 19,80
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Seit einigen Jahrzehnten lässt sich in der Aufklärungsforschung der Geltungsverlust einer politischen Deutung zugunsten einer Vervielfältigung der Herangehensweisen bzw. der Wiederentdeckung älterer Ansätze feststellen. Dies kommt in zahlreichen Publikationen zum Ausdruck, die das Studium dieser Epoche eindeutig komplexer gemacht haben. So ist es umso mehr zu begrüßen, dass der Akademie-Verlag mit der Reihe "Studienbuch" den Versuch unternommen hat, den Studenten komplizierte wissenschaftliche Sachverhalte nahe zu bringen, nicht zuletzt die Epoche der Aufklärung. Diese wird von Iwan-Michelangelo d'Aprile und Winfried Siebers in Das 18. Jahrhundert. Zeitalter der Aufklärung systematisch und klar dargestellt, ohne jedoch zu sehr zu vereinfachen oder der Komplexität der Epoche nicht gerecht zu werden.
Das Buch ist in 16 Kapitel gegliedert: Die 14 thematischen stellen die Aufklärung aus einer erstens literatursoziologischen und kulturgeschichtlichen und zweitens einer literaturgeschichtlichen Perspektive dar, während zwei weitere Kapitel den besonderen Anforderungen des Studiums Rechnung tragen.
Die thematischen Kapitel werden stets ähnlich aufgebaut: Sie beginnen mit der Analyse einer Bildquelle, beschreiben knapp und dennoch präzise das jeweilige Thema, wobei die stets gut informierten Autoren die Hauptthesen einschlägiger Werke der Sekundärliteratur klar erläutern. Mehrmals richten d'Aprile und Siebers dabei ihr Augenmerk auf einen besonders signifikanten Vertreter der jeweiligen Problematik. Ein intelligentes System von Verweisen verdeutlicht auch die Querverbindungen zwischen den unterschiedlichen Themen. Dann formulieren die Autoren einige Fragen und Anregungen, anhand derer Studierende ihren Erkenntniszuwachs überprüfen bzw. die Thematik des entsprechenden Kapitels vertiefen können. Um letzteres zu ermöglichen, erteilen die Autoren anschließend Lektüreempfehlungen, die sowohl Quellen als auch Erträge der neueren Forschung beinhalten.
Diese bibliographischen Angaben werden im letzten Kapitel ergänzt, das traditionellerweise die zitierte Literatur, ein Abbildungs- und Personenverzeichnis anführt. Darüber hinaus endet dieses Kapitel mit einem Glossar der zum Verständnis der Aufklärung unabdingbaren Begriffe. Damit sich die Studierenden mit den Werken der jeweiligen Hauptvertreter der Aufklärung bzw. mit der ihnen gewidmeten Literatur auseinandersetzen können, bieten d'Aprile und Siebers im vorletzten Kapitel - das sie vielleicht nicht sehr glücklich als "Serviceteil" bezeichnen - eine nach Autoren organisierte Bibliographie, die sowohl gedruckte Werke als auch Institutionen beinhaltet, die sich mit diesen Autoren befassen. Nicht zuletzt verweisen die Autoren auf Werke wie Sach- und Personenlexika oder auch Periodika, ohne die das Studieren dieser Epoche nicht möglich ist.
Im ersten Kapitel werden sowohl der Epochenbegriff als auch die Epochengrenzen der Aufklärung thematisiert. Dies ermöglicht nicht nur die Einordnung in das europäische achtzehnte Jahrhundert (auf diese Verbindung wird im Buch mehrfach hingewiesen), sondern auch die Hervorhebung der für die deutsche Aufklärung spezifischen konfessionellen und regionalen Ausprägung. Unter Berücksichtigung dieser Elemente und auf der Grundlage der Untersuchungen Ursula Goldenbaums [1] kann man in der deutschen Aufklärung zahlreiche Debatten ausmachen, die Kristallisationspunkte darstellen, und die traditionelle Gliederung in Früh-, Hoch- und Spätaufklärung ergänzen.
Auf die Bedeutung der regionalen und religiösen Dimension der deutschen Aufklärung wird respektiv in den Kapiteln 2 ("Literarisches Leben und kulturelle Zentren") und 4 ("Aufklärung und Religion") eingegangen. Im letzteren zeigen die Autoren, inwiefern der habermassche Begriff der "Öffentlichkeit" trotz aller Einwände noch fruchtbar gemacht werden kann und übernehmen Peter Webers Programm zur Beschreibung des literarischen Lebens [2], bevor sie anhand einer gelungenen Mischung an Primär- und Sekundärliteratur die Produktionsbedingungen von Literatur vor dem Hintergrund eines entstehenden Büchermarkts bzw. des sich in der Aufklärung ändernden Publikums beschreiben. Somit wird ein Übergang zum dritten, der Problematik von "Hofkultur und Nationalliteratur" gewidmeten Kapitel gewährleistet. Im Bezug auf die religiöse Seite verweisen die Autoren zu Recht auf die Erträge der neueren Forschung zur Haskala. [3]
Das folgende Kapitel thematisiert die Verbindung zwischen Wissenschaft und Literatur im Zeitalter der Aufklärung und zeigt die allmähliche Auflösung des traditionellen wissenschaftlichen Rahmens zugunsten einer empirischen Wissenschaft, die im Zuge der "anthropologischen Wende" den ganzen Menschen ins Auge fasst (so sehr der Verweis auf die Arbeiten Hans-Jürgen Schings und Carsten Zelles auch legitim ist [4], so sehr hätte man sich allerdings auch einen Hinweis auf die von Heinz Thoma und Jörn Garber initiierte Forschung zur Anthropologie gewünscht [5]). Vor dem Hintergrund des neuen Menschenbildes entstehen auch die Ästhetik und eine neue Form des Geschichtsverständnisses. Erstere wird aus einer dreifachen Perspektive sehr überzeugend gezeigt: "Ästhetik zwischen Theorie der Sinnlichkeit und Kunsttheorie", "Empfindsamkeit als Kulturmodell" und die "literarische Rehabilitierung der Sinnlichkeit". Die Verzeitlichung des Denkens leitet eine Auseinandersetzung mit der Antike ein, die zur Entstehung einer zweifachen Deutung der Antike führt, die entweder als erste Stufe eines Entwicklungsmodells oder im Gegenteil als Inbegriff eines goldenen Zeitalters interpretiert wird, das wieder geschaffen werden soll.
Nachdem die Autoren die für die Aufklärung ausgesprochen starke Bedeutung von "Kulturtransfer und Fremderfahrung" mit Recht thematisiert haben, behandeln sie aus literatur- bzw. gattungsgeschichtlicher Perspektive sowohl die Charakteristika der aufklärerischen Presse, als auch die Erneuerung des Theaters, der Geschichtsschreibung und des Romans. Auch hier gelingt es ihnen, Positionen der traditionellen Aufklärungsforschung und neuere Ergebnisse in einem guten Verhältnis zu präsentieren. Dies gilt auch für das letzte, der Wirkungsgeschichte der Aufklärung gewidmete Kapitel.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass dieses Studienbuch alle wesentlichen Merkmale der Aufklärung rezipiert und synthetisch darstellt, wobei die Knappheit der Erörterung, die der Leser ab und zu bedauert, mit dem gewählten Genre und der Absicht dieses Studienbuchs erklärbar ist. Denn es richtet sich weniger an Spezialisten als an diejenigen, die es werden wollen, und dafür Grundlagen brauchen, die sie in diesem Buch auf jeden Fall finden werden.
Anmerkungen:
[1] Ursula Goldenbaum (Hg.): Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1687 - 1796, Berlin 2004.
[2] Peter Weber: Das literarische Leben Berlins um 1800 - Vorüberlegungen zu einem Forschungsprojekt, Berlin 2006.
[3] Christoph Schulte: Die jüdische Aufklärung: Philosophie, Religion, Geschichte, München, 2002.
[4] Hans-Jürgen Schings: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18.Jahrhundert, Stuttgart 1994; Carsten Zelle: "Vernünftige Ärzte": Hallesche Psychomediziner und Ästhetiker in der anthropologischen Wende der Frühaufklärung, Dresden 2004.
[5] Vgl. z. B. Jörn Garber / Heinz Thoma: Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen 2004 (= Hallesche Beiträge zur europäischen Aufklärung; 24).
Christophe Losfeld