Erwin In het Panhuis: Anders als die Andern. Schwule und Lesben in Köln 1895-1918, Köln: Emons Verlag 2006, 288 S., inkl. 1 CD-Rom, ISBN 978-3-89705-481-3, EUR 19,00
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Nach langjährigen Recherchen zur Geschichte der Homosexuellen in Köln und Umfeld im Wilhelminischen Zeitalter hat Erwin In het Panhuis, bei der Herausgabe unterstützt vom Kölner "Centrum Schwule Geschichte", 2006 einen materialreichen Band mit dem Titel "Anders als die Andern" vorgelegt. Erschienen ist er im Kölner Hermann-Josef Emons Verlag, der sich selbst (ironisch?) als Verlag für "Neue Deutsche Heimatliteratur" bezeichnet. Abgesehen von dem Schmunzeln, das ein solcher Publikationsort erregt, verweist das auf den lokalhistorischen Charakter des Buches, das den Vergleich mit Versuchen zur schwul-lesbischen Lokalgeschichte in Hannover, Hamburg oder München übrigens glänzend besteht.
Der Band, der sich auf die "Wilhelminische Zeit" beschränkt (die freilich normalerweise die Periode 1888-1918 meint), ist in fünf Abschnitte gegliedert, von denen der erste "Schwule und lesbische AktivistInnen" aus dem Kölner Raum vorstellt: die Feministin Johanna Elberskirchen, den Hohenzollernprinzen Georg von Preußen, den offen homosexuellen Peter Hamecher, den skandalträchtigen Gutsbesitzer Günther von Schulenburg und den Kölner Schuhmacher Theodor Widdig.
Der zweite Abschnitt ist, etwas eigenwillig, überschrieben mit "Literatur und Drama" (gemeint ist vielleicht "Literatur und Theater"?). Hier finden wir erstaunt - dank seiner Kölner Geburt und der dort verbrachten Schuljahre - den ansonsten in Berlin-Friedrichshagen zu ortenden Wilhelm Bölsche, hauptsächlich wegen der Behandlung der Homosexualität in seinem Bestseller "Das Liebesleben in der Natur"; ferner Hermann Breuer alias Bill Forster, den Autor des Romans "Anders als die Andern" (1904), dem das vorliegende Buch seinen Titel verdankt; die Düsseldorfer Theaterdirektorin Louise Dumont, um die sich ein hochinteressantes schwules Netzwerk gerankt zu haben scheint, das bislang viel zu wenig beachtet wurde; den nicht wirklich schwulen, aber erfolgreichen Schriftsteller Hanns Heinz Ewers; dessen etwas weniger erfolgreichen Schriftstellerkollegen Curt Moreck alias Konrad Haemmerling; den Düsseldorfer Dramaturgen und Dramenautor Wilhelm Schmidtbonn und den mit Thomas Mann befreundeten Wickersdorfer Lehrer Carl Maria Weber.
Auf den Abschnitt "Bildende Kunst" (Alfred Flechtheim, Melchior Lechter, Sascha Schneider, Adolf Uzarski) folgt ein Kapitel "Schwuler und lesbischer Alltag" (darin der Literaturwissenschaftler Ernst Bertram, der Regisseur Saladin Schmitt, die mit der Hilfe von Magnus Hirschfeld ihr Geschlecht wechselnde Bertha Buttgereit sowie zwei Erpressungs- bzw. Rosa-Listen-Opfer und zwei Homosexuelle, die den Freitod suchten) und zum Schluss ein Abschnitt "Heterosexuelle Freunde und Feinde der Homosexuellenbewegung": der Psychiater Gustav Aschaffenburg, der Sozialdemokrat August Bebel, der Düsseldorfer Dramaturg Herbert Eulenberg, der Lebensreformer Emil Peters und der "katholische Sittlichkeitsapostel" Hermann Roeren.
Der lokale Zusammenhang besteht übrigens mitunter gerade nicht in einschlägigen Lebensdaten (Geburtsort, Wirkungsstätte etc.), sondern z.B. bei Melchior Lechter in dem Umstand, dass der von ihm gestaltete Pallenberg-Saal sich in Köln befand, oder - noch eigenwilliger und zugleich überraschender - darin, dass eines der damals so zahlreichen und seither viel zitierten Freitodopfer der Homosexuellen-Diskriminierung sich am Rheinufer das Leben nahm, in der Hand sein Lieblingsbuch, den Roman "Dédé" des französischen Autors Achille Essebac, dessen Handlung an ebendiesem Rheinufer spielt - was meines Wissens bislang noch niemandem aufgefallen war.
Die "Einleitung", die "Zugleich Inhalt der beiliegenden CD" untertitelt ist, gewährt dem Leser einen Blick auf die Geschichte des Gesamtprojektes, das ursprünglich offenbar weniger biografisch angelegt war, sondern vor allem auf einer umfassenden Auswertung aller Kölner Tageszeitungen bezüglich der Thematisierung von Homosexualität beruhte. Thematisch lagen denn auch die Schwerpunkte ursprünglich bei einem generelleren Blick auf die Rolle der Emanzipationsgegner und der ambivalenten Begleiter der Emanzipation in Gestalt von Medizin und Psychiatrie sowie auf die Parallelbewegungen "Lebensreform" und "Wandervogel" und auf das Alltagsleben der Kölner Schwulen.
In der Druckfassung wird all dies an biografischen Beispielen abgehandelt. Das hat zu einigen dichten biografischen Skizzen geführt (z.B. im Falle des Grafen Günther von der Schulenburg, zu dem der Autor faszinierendes Aktenmaterial ans Licht gebracht hat).
Etwas problematisch ist bei einer solchen Umstellung der Thematik aufs Biografische, dass vom sogenannten Alltagsleben des "gewöhnlichen Homosexuellen" wenig übrig bleibt. Da gilt entweder: "Wer schreibt, bleibt" - es sind vor allem die Ausübenden schreibender Berufe, die hier dokumentiert werden. Oder aber es "bleiben" diejenigen, über die geschrieben wurde: der Adel, die Skandalösen, die Erpressungsopfer, die Politiker und Aktivisten. Die Georgianer Ernst Bertram, Ernst Glöckner und Saladin Schmitt als Protagonisten unter dem Titel "Schwuler und lesbischer Alltag" wiederzufinden, zusammen mit Beispielen zu Travestie, Erpressung und Selbstmord, hat etwas Groteskes, etwas, das aber auch schmunzeln lässt: Im Notfall sind auch Georgianer offenbar "gewöhnliche Homosexuelle".
Das Buch hat außer vielem, was unbedingt Respekt und Bewunderung verdient, auch einige Mängel, die vielleicht in Neuauflagen behoben werden können. Mir persönlich will scheinen, dass die Kombination aus Buch und CD-Rom in diesem Falle nicht gut aufeinander abgestimmt ist. Die PDF-Version verheddert sich auf Computern mittlerer Kapazität. Die Volltextrecherche ist jedenfalls mir nicht gelungen. Und so ist trotz der Mitteilung, es habe "ein Personen- oder Sachregister entfallen" können (12), das allerwichtigste Desiderat ein taugliches Register in der Buchausgabe. (Die Entscheidung für die aufgeteilte Präsentation als Druckversion mit CD-Rom dürfte übrigens relativ spät gefallen sein. Im Vorwort werden z.B. die Hamecher-Texte als "im Anhang nachgedruckt" versprochen. Dem Inhaltsverzeichnis der CD-Rom konnte ich gerade noch entnehmen, dass sie dort zu finden sein dürften, bevor mein Computer beim Durchsuchen des PDF-Dokumentes stockte.)
Grundsätzlich habe ich ferner einen Einwand gegen einen besonderen Aspekt der Darstellung bzw. eine Frage bezüglich des Nutzens der Gesamtunternehmung: Es leuchtet ein, dass in einer Abhandlung wie dieser die Frage nach der geschlechtlichen / erotischen Orientierung der Dargestellten gestellt werden darf und sogar gestellt werden muss. Trotzdem sind unglückliche Formulierungen zu monieren, wie diese: "In seinen Veröffentlichungen über Herman Bang stellt Hamecher einen Vergleich von Bangs Romanfigur Michael mit Michelangelo an, was im Hinblick auf dessen vermutete Homosexualität sehr aufschlussreich ist." Oder: "Auch wenn Louise Dumont mit einiger Sicherheit lesbisch war und zu vielen schwulen Männern persönlichen Kontakt hatte, ergeben die Quellen keine Anhaltspunkte, ob und, wenn ja, in welcher Form dies ihr Leben, ihre Arbeit im Schauspielhaus oder ihre Publikationen prägte."
Einige weitere Kleinigkeiten seien zum Zwecke gelegentlicher Verbesserung hier noch angemerkt: Die zitierte geheimnisvolle Mitteilung "Ich habe hier und da gehorcht ..." (41) ist nicht, wie In het Panhuis zu glauben scheint, ein Leserbrief aus Köln, sondern eine Mitteilung Adolf Brands an einen Leser in Köln. Auf diese Weise unterhielt Brand auch sonst den Kontakt mit seinen Lesern oder anderen Kontaktpersonen.
Dass hier die Briefe von Hermann Breuer alias Bill Forster an Walther Heinrich alias Walter Unus alias Walter Ehrenfried ausgewertet sind, ist sehr sinnvoll. Diese hauptsächlich von der Yacht des Zeitungsmagnaten Joseph Pulitzer (für dessen Sohn Breuer als Hauslehrer angeheuert war) aus geschriebenen Briefe der Jahre 1908/1909 wären einer ausführlicheren Beachtung und womöglich einer kleinen Edition durchaus würdig - nicht zuletzt weil sie auf ganz unvergleichliche Weise die Sorgen und Nöte der Korrespondenten im Umgang mit ihren Lieblingen (im Gymnasiastenalter) reflektieren. Freilich sind die Briefe (die im Deutschen Literaturarchiv in Marbach liegen) nur teilweise datiert und ungeordnet, so dass In het Panhuis die Reihenfolge durcheinander gerät: Wenn mich nicht alles trügt, sind die Briefe aus New York nach der Reise auf der "Liberty", gegen Ende 1909, geschrieben.
Wilhelm Bölsches Charakterisierung als "Herausgeber [...] der Werke von Büchner, Goethe und Novalis" ist ein wenig verkürzend - sowohl was Bölsche als auch die Literatureditionen betrifft. Die anarchistische Homosexuellen-Zeitschrift "Der Eigene" war sicherlich keine "Literaturzeitschrift" (13) und "Agathon" wohl eben eher eine Literatur- als eine "Homosexuellenzeitschrift" oder gar eine "Schwulenzeitschrift". Und ob man Magnus Hirschfeld einen "Schwulenaktivisten" nennen sollte / darf, ist angesichts seiner sorgfältigen Kaschierung der eigenen Homosexualität zweifelhaft.
Das aber sind Kleinigkeiten im Vergleich zu der Materialfülle, die hier bearbeitet wurde. Man sollte sich denn auch nicht beckmesserisch an solchen Mängeln stoßen, sondern die Anregungen, die hier geboten werden, dankbar in eingehenderen Untersuchungen aufnehmen.
Marita Keilson-Lauritz