Carola Jäggi / Jörn Staecker (Hgg.): Archäologie der Reformation. Studien zu den Auswirkungen des Konfessionswechsels auf die materielle Kultur (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; Bd. 104), Berlin: De Gruyter 2007, X + 487 S., 16 Farb-, 143 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-019513-2, EUR 148,00
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Vorbei die Zeiten als das Wesen und die Wirkung der Reformation nur von den kirchenhistorischen "Spezialist[en] für Generalistentum" [1] thematisiert wurden. Schon der Blick auf die Buchdeckel aktueller Einführungswerke lehrt, dass diese Probleme jetzt in den Händen ganz anderer Generalisten liegen, die eher interaktions- und medientheoretisch forschen, damit Erfahrungsgeschichte schreiben: Deren Rede von der 'Kommunikations-' oder 'Zeichenrevolution' wiederum meint das Neue der frühen Neuzeit eher allgemein, und sie meint eine drucktechnische Dynamik im Besonderen, die statt der inneren Umgestaltungskraft vor allem die Verbreitung der reformatorischen Botschaft thematisiert.
In dem Maße wie hier die Reformation medienstrategisch angegangen wird, gerät der Konfessionswechsel allerdings auch zu einer Frage des Visuellen: Nachdem die Reformation generell nicht ohne Bibel, dann jahrhundertelang nicht ohne Luther hatte sein können, schließlich die Stadt (Arthur G. Dickens, Bernd Moeller), das Dorf (Peter Blickle), die Universität (Thomas Kaufmann) und der Karneval (Bob Scribner) zu unverzichtbaren Lenkfaktoren aufstiegen, so lässt sich nun eben eine Reformation ohne Bilder nicht mehr denken. Wiewohl hier eine weit gedachte Visualität wirkt, die Luthers Sprachbilder ebenso umfasst wie die ihrerseits ikonisch-performativen Gewaltakte gegen den umstrittenen Repräsentationalismus der Bilder.
Dementsprechend will eine "Archäologie der Reformation" keinesfalls in der Abfallgrube der Familie Luder stecken bleiben (4). Ihre Dringlichkeit beruht zwar auf der Zeugniskraft der Realien - oft "materielle Kultur", gelegentlich "Träger von Informationen" (239) oder "Elemente einer nonverbalen Kommunikation" (470) genannt. Eine solche Archäologie trägt aber auch dem aufgefächerten Interesse am reformatorischen Umbruch Rechnung, und dem daraus resultierenden unterschiedlichen Gewicht seiner Referenzgestalten. Mit einiger Verve verbindet nun der vorliegende Band - er versammelt die Beiträge einer Erlanger Tagung vom Frühjahr 2004 - die Rekontextualisierung der aufgefundenen Dinge mit einer Quellenkritik im Sinne der Historischen Bildkunde: Der Terminus Archäologie organisiert so eine integrale Sichtweise, die eben auch Objekte einbezieht, die einer (durch die Reformation selbst) hermeneutisch festgelegten Geschichtsforschung nicht sofort akzeptabel sein mögen - geschweige denn in ihrer Ensemblebildung durchschaubar. Wobei der Archäologiebegriff - sicher vorbereitet durch die Assmannsche Gedächtnisforschung - gedankliche und handwerkliche Sicherungsarbeiten (Grabung, Stratifizierung, zeichnerische Aufnahme, Ordnung usf.) metaphorisch anknüpfungsreich assoziiert. Überdies wird aufmerksam gemacht auf hierzulande kaum beachtete, nordeuropäische Regionen wie etwa Gotland oder Finnland.
Was man genau will, legen die Archäologin Barbara Scholkmann (3-25) und die Kunsthistorikerin Carola Jäggi (469-480) im Sinne einer methodischen Klammer fest. Beider Artikel werden flankiert von problemgeschichtlichen Erwägungen: einerseits Berndt Hamms zur Macht des Zäsurdenkens (26-43), andererseits Stephan Laubes (429-466) zur Bildmacht von Luther-Memorabilien in einer sich verändernden Reformationsgeschichtsschreibung. In diesem Umfeld konfrontiert Scholkmann das Fehlen etwaiger Grabungskampagnen mit den die deutschsprachige Frühneuzeitforschung bestimmenden Periodisierungsentwürfen. Sie gewinnt daraus sowohl eine interdisziplinäre Rückbindung archäologischer Praxis als auch konkrete Einsatzfelder. Demgegenüber resümmiert Jäggi das in den Einzelbeiträgen Gesagte und fädelt es in die kulturgeschichtliche Neuorientierung mit dem Ziel ein, der "Genese eines spezifisch protestantischen Lebensstils" (478) nachzuspüren.
Zwischen diesen richtungsweisenden Beiträgen gelten Kategorien, die für die Sichtbarkeitskultur der beginnenden Neuzeit zwar zentral, dementsprechend aber auch strittig sind. Gefolgt wird nämlich den Begriffsgespannen von 'öffentlich/privat' und der 'konfessionellen Identität'. Dies zeigt sich im abnehmenden Repräsentationsgehalt der jeweiligen Kontexte, was einem Zugewinn an Intimität entspricht: Zunächst wird mit vier Beiträgen die "Reformation im Kirchenraum" entlang der Prinzipalstücke und Memorialbilder bedacht (47-192), weitere fünf widmen sich dem "Glaubensbekenntnis in Heim und Öffentlichkeit" (195-319). Schließlich ist die Rede von der guten Stube und speziell dem Bildangebot ihrer Kachelöfen (323-425). Mochte deren beißende Hitze den bekennenden Hypochonder Erasmus von Rotterdam zwar abstoßen [2], so bewirkten diese Öfen doch eine Behaglichkeit, die Luthers Konzept einer vielsinnig-umfangenden Glaubenserfahrung beispielhaft stützte (vgl. 447). Mit der eingehenden Betrachtung solcher "Reformationsöfen" (dazu kritisch J. Hallenkamp-Lumpe, 324 f.) verschiebt sich deutlich der sozialgeschichtliche Fokus auf eine "reformatorische Öffentlichkeit" (Rainer Wohlfeil) und ihren 'heißen' Informationsträger Flugblatt hin zu den 'warmen' Bildlieferanten im Sinne einer Einübungs- und Verstetigungspraxis.
Dieser Blickwechsel gelingt sachgemäß besser bei den eher unscheinbaren Gebrauchsgegenständen, die erst in der Gesamtschau des Sortierens an konfessionellem Profil gewinnen (zu englischen Heiligenfigürchen etwa David Gaimster, 259-283). Hinsichtlich der 'Hoch-Kunst', die prima vista differenzierten Aufgaben und Ansprüchen genügt, scheint der Wechsel zwischen Nah- und Fernbetrachtung schon schwieriger: Doreen Zerbes Beitrag zur "Memorialkunst im Wandel" (117-163) etwa mäandert zwischen der Konzentration auf gewiß zentrale Bildorte (Wittenberg, Münster) und dem kulturanthopologisch weitgreifenden Vorhaben, einen "lutherischen Typus [!] des Grab- und Gedächtnismales" zu rekonstruieren. Was Johanna Thali im interkonfessionellen Vergleich städtischer Bildprogramme an stabilisierenden Wechselbezügen rekonstruiert (284-319), bekommt bei Inga Brinkmann dann eine gruppengeschichtliche Pointe (164-192). Sie ergründet die Memoria der Grafen von Mansfeld-Hinterort unter den Bedingungen von erbrechtlicher Atomisierung und innerprotestantischer Distinktion.
Die hier so ortsbezogen beobachtete Verzahnung von Religion und Politik steht ganz im Horizont der Konfessionalisierung, was Brinkmann allerdings eher beiläufig erwähnt. Das erscheint symptomatisch: Denn obgleich der Titel des Buches sich auf Reformation und Konfessionswechsel fixiert, verdankt es dem Konfessionalisierungsparadigma (und dessen Kritik!) doch seine wesentlichen Impulse. Zeigt dieses Deutungskonzept den engen Zusammenhang von Religion und Gesellschaft in komplexer Verwebung regionaler bzw. institutioneller Nahbetrachtung mit zeitdiagnostischer Epochenarbeit, so bleibt allerdings fraglich, ob alle sach-waltenden Disziplinen hieran gleichermaßen teil haben können: Schon Hamms beredt ausgleichsbedachtes Plädoyer für die gedankliche Verschachtelung von Innovation und Beharrung (41) lässt die modernisierungstheoretischen Schwierigkeiten anklingen, die es zu bewältigen gilt. Hinzu kommt die kategorische Überlegung, ob das dem Einzelstück verpflichtete Kustoden-Interesse der Kunsthistorik nicht eigentlich quer steht zur systemischen und insgesamt entwicklungs- und zweckorientierten Sichtweise des Konfessionalisierungsprogramms.
Diese Differenz kann der vorliegende Band - bei aller Liebe zum Detail - nicht aufheben. Bisweilen forciert er sie noch, indem er den religionswissenschaftlichen Zugang implizit vor den kirchenhistorischen stellt (8). Die berechtigte Hoffnung, die ästhetische Ansprache und die historische Aussage der Objekte miteinander zu verbinden, führt eben nicht nur vor die Gegenstände und Inszenierungen des Luthergedenkens (S. Laube). An solchen Präsenzeffekten ist vielmehr auch eine Kirchengeschichtsschreibung vital interessiert, will sie 'ihre' Glaubensobjekte nicht in Vitrinen oder in musealisierten Kirchen zurück lassen [3].
Umso dringlicher wäre hier und der bloß angetippten Lebensstilfrage wegen zu klären, welche der nach Fragerichtung und Reichweite durchaus verschiedenen Konfessionalisierungskonzepte man bevorzugen sollte. Oder ob nicht womöglich doch eher Verbindungen zu jenem kirchenhistorischen Anliegen bestehen, das den prekären Staatsbezug der Konfessionalisierung in eine "unverrechenbare Komplexität der [...] Konfessionskulturen" umprägen will [4]? Wozu dann auch die Rückkehr zu Ernst Walter Zeedens Ausgangsbasis der 'Konfessionsbildung' gehörte - im Sinne einer die Frömmigkeit und die konfessionelle Formierung meinenden Konkretion.
So kann man bei der Lektüre den Gedanken nicht ganz unterdrücken, die Reformation sei in einer weitgehend entchristlichten Gesellschaft eine nun zwar nicht bedeutungslose, aber in ihrem Wesenskern inzwischen höchst erklärungsbedürftige Sache: Gemäß landläufiger Vorstellung impliziert Archäologie eben doch Aushub und Notgrabung! Damit sind die "relativ engen Grenzen" dieser Archäologie der Reformation tatsächlich nicht allein von der Quellenlage her bestimmt. Wie Scholkmann zurecht sieht, müssten diese Grenzen vielmehr "durch eine intensivierte Reflexion auf der theoretischen Ebene" (21) verschoben werden.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Reinhard: Ausgewählte Abhandlungen, Berlin 1997, 287.
[2] Johan Huizinga: Erasmus. Eine Biographie, 3. Aufl. Reinbek 1993, 153.
[3] Jörg Seiler: Der Musealisierung zum Opfer gefallen? Historisch-theologische Reflexionen zur Kirchengeschichte in Ausstellungen und Museen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 118 (2007), 81-105.
[4] Thomas Kaufmann: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006, 14.
Thomas Packeiser