Dagmar Freist: Absolutismus (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, 150 S., ISBN 978-3-534-14724-3, EUR 16,90
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Die Pseudo-Amerikanisierung des Studiums durch den Bologna-Prozess führt dazu, dass der Markt neuerdings von allen möglichen Verlagen mit den entsprechenden "textbooks" überschwemmt wird, die den Studierenden raschen und effizienten Erwerb von "credit point"-trächtigem Wissen versprechen. Im Interesse des Absatzes wird dabei gerne auf eine konservative Titelgestaltung wie "Absolutismus" zurückgegriffen, auch wenn es sich um eine wissenschaftlich überholte oder zumindest umstrittene Kategorie handelt. Wenigstens ein Fragezeichen wäre hier angebracht gewesen und hätte dem Geschäft sicher nicht geschadet.
Die entsprechende Reihe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft versucht darüber hinaus noch etwas vom traditionellen Charakter des Studiums zu retten. Sie möchte nämlich nicht Faktenwissen, sondern Kenntnis von Forschungskontroversen lehrveranstaltungs- und prüfungspraktisch aufbereiten. Meines Erachtens wird die Zielgruppe dadurch aber hoffnungslos überfordert, vor allem wenn ein Buch sprachlich und sachlich so anspruchsvoll daherkommt wie das vorliegende. Von der versprochenen didaktischen Aufbereitung kann hier kaum die Rede sein. Darf zum Beispiel die Kenntnis des Max Weberschen Idealtypus heute bei Studierenden selbstverständlich vorausgesetzt werden? Er wird nämlich mehrfach erwähnt, aber nirgends erklärt.
An und für sich handelt es sich freilich um ein Respekt gebietendes Konzentrat historischer Meinungsverschiedenheiten. Allerdings lässt Freist allzu häufig und bis zum Schluss eine eigene Stellungnahme vermissen. Offenbar hält sie es für Ihre Aufgabe, die verschiedenen Positionen mehr oder weniger gleichberechtigt und ausgewogen wiederzugeben. Das gelingt ihr meistens, nicht zuletzt, weil sie Autoren häufig selbst mit Zitaten zu Wort kommen lässt. Bei Studienanfängern kann soviel Neutralität aber nur Verwirrung stiften.
Einleitend wird die Frühe Neuzeit charakterisiert und auf den damaligen Wandel von Herrschaft hingewiesen. Als Forschungsüberblick folgen Ausführungen zum Absolutismusbegriff und der Periodisierung, zur frühneuzeitlichen politischen Theorie und zu den verschiedenen einschlägigen Forschungsrichtungen, Gendering eingeschlossen. Dann werden acht Forschungskontroversen vorgeführt: 1. Absolutismus - ein Mythos? (Herrschaftspraxis, das Unabsolutistische am Absolutismus, "Barock" als Alternative) - 2. Absolute Monarchie und Ständestaat - 3. Absolute Monarchie und höfische Gesellschaft (nicht nur Elias und die Folgen, sondern auch Favoriten, Zeremoniell-Forschung, Krise des Adels) - 4. Disciplina als Epochenmerkmal - 5. Konfessionalisierung und Absolutismus (einschließlich Widerstand und Widerstandsrecht) - 6. Absolutismus und die Bellizität der Frühen Neuzeit - 7. Absolutismus und Öffentlichkeit (Legitimation, Inszenierung, Kritik) - 8. Absolutismus und Aufklärung. Zum Schluss werden zusammenfassend aktuelle Perspektiven der Absolutismusforschung präsentiert: politische Kultur, Herrschaftspraxis, Öffentlichkeit, politische Theorie, Diskurse, Geschlecht, Finanz.
Das Forschungsfeld lässt sich damit abdecken. Inhaltlich kann oder muss man allerdings in einigen Punkten anderer Meinung sein. Grundsätzlich halte ich den Begriff "Absolutismus" ohnehin in jeder Hinsicht für überflüssig. Immerhin bin ich in meiner "Geschichte der Staatsgewalt" ohne ihn ausgekommen und, was noch bezeichnender ist, keine Rezension hat jemals an seinem Fehlen Anstoß genommen! Es fehlt ja nicht an alternativen Kategorien. Allerdings ist das Epochenproblem mit der Diskussion des Vorschlags "Barock" keineswegs erledigt.
Weiter kann der Begriff "Ständestaat" meines Erachtens nicht mehr als Überschrift verwendet werden. Ferner fehlt Italien nicht nur bei der Erörterung des Favoriten, sondern auch bei der Behandlung der Aufklärung. In Sachen Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung wäre eine gründlichere Auseinandersetzung mit der Modernisierungstheorie angebracht gewesen. Und wenn diese beiden "Programme" während der Frühneuzeit tatsächlich nicht funktioniert haben, sollte man sich nicht um die Frage drücken dürfen, wann die Europäer dann eigentlich zu den politisch und konfessionell ziemlich disziplinierten Leuten wurden, die sie noch im 20. Jahrhundert gewesen sind. Außerdem ist der Zusammenhang von Krieg und Staatsbildung eindeutiger, als er dargestellt wird. Denn die Kritik hat nur Scheinalternativen produziert, die sich unschwer in diesen Prozess des Wachstums staatlicher Gewalt einordnen lassen.
Darüber hinaus macht die Darstellung des reichen Stoffes nicht selten einen etwas ungeordneten Eindruck. Überflüssige Wiederholungen sind nicht selten. Bei der Kritik an Norbert Elias springt Freist sogar inhaltlich von der "Höfischen Gesellschaft" zum "Prozess der Zivilisation", aber ohne letzteren Titel zu erwähnen und in die Bibliographie aufzunehmen. Man erhält den unzutreffenden Eindruck, Duerrs Elias-Kritik beziehe sich auf die "Höfische Gesellschaft". Wurde Freists Buch vielleicht allzu eilig geschrieben und allzu flüchtig lektoriert? Wichtige Beiträge fehlen, etwa solche von Peter Hersche oder Wolfgang Weber, vor allem aber der für das Thema hochbedeutsame, von Lothar Schilling herausgegebene Band "Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? (München 2008)".
Fazit: Obwohl auch ich noch einiges aus diesem durchaus informativen Buch lernen konnte, würde ich es BA-Studenten nicht empfehlen.
Wolfgang Reinhard