Rezension über:

Dagmar Freist: Glaube - Liebe - Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, XII + 504 S., ISBN 978-3-486-74969-4, EUR 79,95
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Rezension von:
Margareth Lanzinger
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Margareth Lanzinger: Rezension von: Dagmar Freist: Glaube - Liebe - Zwietracht. Religiös-konfessionell gemischte Ehen in der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 2 [15.02.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/02/30110.html


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Dagmar Freist: Glaube - Liebe - Zwietracht

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Verschiedene Zugänge zur Geschichte interkonfessioneller und interreligiöser Ehen sind denkbar. Das mit Spannung erwartete Buch von Dagmar Freist legt die Schwerpunkte einerseits auf rechtlich-konfessionell-territoriale Kontexte und andererseits auf religiöse Praktiken und Objekte sowie auf religiöses Selbstverständnis und konfessionelle Subjektivierung. Ausgangspunkt der Habilitationsschrift ist der Befund, dass interkonfessionelle Ehen im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zunehmend in das öffentliche Bewusstsein rückten und "auf politischer, gesellschaftlicher, rechtlicher, konfessionspolitischer Ebene sowie in unterschiedlichen alltäglichen Zusammenhängen" (1) verhandelt wurden. Diese diskursive Verdichtung soll den Übergang von der "gefühlten Normalität" (1) interkonfessioneller Ehen zur Wahrnehmung als Konfliktarena und Bedrohungsszenario markieren. Ziel der Studie ist, über den auf Ehen gerichteten Fokus "die Bedingungen, Praktiken und Grenzen religiös-konfessionell gemischten Zusammenlebens" auszuloten (4) und dabei den Alltag mit Prozessen der Rechtssetzung und Konfessionalisierung zu verflechten. Auf die Einleitung folgen fünf Kapitel, die Kontexte und Implikationen interkonfessioneller Heiratsprojekte und Ehen thematisieren und dabei der Chronologie der sich verändernden Problemkonstruktionen folgen, ein Prozess, der von einem stetigen Ansteigen des gerichtlichen Aufwands begleitet war.

Kapitel eins zeichnet den Umgang mit religiöser Differenz in Familien nach im Sinne eines Rechtsfindungsprozesses, angefangen bei Spruchsammlungen auf Basis von universitären Rechtsgutachten und Consilia, die über die Rechtmäßigkeit interkonfessioneller Ehen ihr Urteil - im 16. und 17. Jahrhundert überwiegend ablehnend - abgaben. Die Frage hier ist, wie mithilfe des kirchlichen und weltlichen Rechts auf Probleme und Konflikte reagiert wurde. Diese entbrannten vor allem um Fragen der konfessionellen Erziehung der Kinder, der Konversion und des dafür erforderlichen Alters von Kindern sowie der Religions- und Gewissensfreiheit. Dahinter stand, so Freist, das Bemühen, zu einer einheitlichen territorialen Rechtsprechung zu gelangen. Dies hatte insgesamt eine Vielfalt an Rechtslagen zur Folge, die in nahezu enzyklopädischer Fülle dargelegt werden.

Kapitel zwei ist - breit eingebunden in Forschungsdebatten - den religiös-konfessionellen Praktiken gewidmet, und zwar im Sinne der Selbstverortung, als Aneignungs- und Aushandlungsprozess von Differenzen im Alltag. Das Spannungsmoment liegt hier zwischen einer als wandelbar gedachten konfessionellen Zugehörigkeit und Ansprüchen konfessionspolitischer Vereindeutigung. Interkonfessionelle Ehen und Familien repräsentieren in diesem Zusammenhang konkurrierende Deutungsangebote und Lebensweisen, die Abgrenzungen ebenso implizierten wie Grenzüberschreitungen. Freist verwendet den Begriff der Subjektivierung für das Bewusstwerden religiöser Zugehörigkeit anstelle von Identität.

Das dritte Kapitel vergleicht drei Territorien - das Hochstift Osnabrück und die Kurpfalz, beides konfessionell heterogene Gebiete, allerdings mit deutlichen konfessionspolitischen Unterschieden, sowie Kursachsen als ein konfessionell weitgehend homogenes Territorium. Dabei geht es um staatliche und kirchliche Rechtssetzung und Konfessionspolitik, konfessionelle Formierung und religiöse Subjektivierung, Zusammenleben, Konflikt und Toleranz im Alltag - etwa in Bezug auf Patenschaften -, Rechtsfindung vor Ort sowie auf Reichsebene. Während für Osnabrück kennzeichnend war, dass sich die Anhänger beider Konfessionen aufgrund des geltenden Paritätsgebots und der Gewissensfreiheit "ihrer Rechte sicher fühlten" (238), wurden in der Kurpfalz mit einer teilweise neu zusammengewürfelten Bevölkerung intensive "Grenzformationen" (396) - bis hin zu Zwangskonversionen von Kindern interkonfessioneller Ehen von katholischer Seite - sichtbar. Obwohl Kursachsen mit der evangelisch-lutherischen Landeskonfession als homogenes Territorium galt, gab es auch hier Beunruhigungen und Beschwerden.

Kapitel vier greift eheliche Konfliktfälle auf. Die Autorin setzt sich darin mit Schwierigkeiten und Widersprüchen auseinander, die aus der fehlenden Einheit "im Geist" in der Ausübung der hausväterlichen und hausmütterlichen Aufgaben resultieren konnten: konkret aus der dem Vater als pater familias qua Position zugesprochenen Macht, der patria potestas, und der Konfessionsverschiedenheit der ihm untergeordneten Ehefrau und Kinder, vornehmlich der Töchter. Dabei geht es um die Frage der Anerkennung der väterlichen Gewalt. Zu fragen wäre freilich, ob im Alltag nicht Ehefrau und Ehemann so sehr aufeinander verwiesen waren, dass die Geschlechter- wie die Glaubensdifferenz überbrückt werden musste, also inwieweit diese diskursiv-normative Geschlechterhierarchie die eheliche und häusliche Praxis und auch die Konfliktlinien bestimmt hat? Oder war das Konfessionelle vor allem ein praktikables Argument vor Gericht, zumal aus Eheverträgen ein pragmatischer Umgang spricht? Freist rekurriert aber auch auf "Beobachtungen" in theologischen Traktaten und auf Predigten (305). Sind diese nicht eher als konfessionspolitische Rhetorik zu werten - in Fortschreibung der eingangs konstatierten "diskursiven Schöpfung eines religiös-gemischten Hauses als Bedrohung" (20)? In diesem Kapitel setzt sich Freist mit Fallgeschichten zu unterschiedlichen Problemlagen auseinander: so mit einem Fall zur Frage der Religionsfreiheit unmündiger Kinder bei Verwitwung eines Elternteils, in dem am Ende nach der religiösen Praxis im Haus entschieden wurde - weder nach allgemeinerem Gebrauch noch nach der geltenden Rechtslage (337).

Das fünfte Kapitel führt auf die Reichsebene, zu Fällen, die vor dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat ausgetragen wurden. Grundlage dafür waren die Bestimmungen des Westfälischen Friedensvertrags in Hinblick auf Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung. Gefragt wird nach Zuständigkeit und Kompetenzen, nach Verfahrensweisen und der Involvierung von Reichstag und Corpus Evangelicorum als weiteren Instanzen in Streitsachen um interkonfessionelle Ehen sowie um politische Implikationen. Wiederum geht es hauptsächlich um die religiöse Erziehung der Kinder, um Reichweite und Grenzen väterlicher Gewalt: um konvertierte Väter, verwitwete Elternteile, entführte und vorenthaltene Kinder, um deren Konversionsalter.

Im Ergebnis nehmen die überlappenden Rechtsräume und konkurrierenden Instanzen, Prozesse der Normsetzung und Implementierung, also Formen konfessionell-religiöser Politik und das "konfessionspolitische[] Gepräge" von Territorien (299) sehr breiten Raum in der Studie ein und sind plastisch und differenziert herausgearbeitet. Freist spricht im Schlussteil von einer Verknüpfung "von Landes- und Reichsgeschichte" (453). Dem gegenüber ist die Perspektive der Paare - nicht zuletzt quellenbedingt, aber nicht nur - immer wieder durch den theologisch-politischen Herrschaftsdiskurs überformt, wenn es etwa heißt, dass den Paaren die "möglichen Gefahren einer Mischehe zumindest nicht unbekannt gewesen zu sein schienen" (306) - ist es nicht eher Konfliktpotenzial? Bei der Lektüre taucht immer wieder die Frage auf, was Quellen aus einem Konflikt- und Gerichtskontext transportieren (können), was aus Fällen herausgearbeitet werden kann, die in einem spezifischen Verwaltungs- und Rechtskontext entstanden sind - und von wem formuliert? Wie viel ist strategische - weil bei den Adressaten erfolgversprechende - Fabrikation bzw. strategische Fokussierung auf das Interkonfessionelle? Bräuchte es nicht Selbstzeugnisse, um religiöse Subjektivierung zu fassen? Carlo Ginzburg hat in "Der Käse und die Würmer" von "gelehrten Schemata" gesprochen (15), die in Inquisitionsakten zumeist begegnen, wenn man nach populärkulturellen Vorstellungen sucht. Wie verhält es sich damit im hier untersuchten Aktenmaterial? Und dann ist da noch das Dilemma mit den Begriffen. Die Frage ist, ob man der Perspektive obrigkeitlicher Formierungs- und Vereindeutigungsprozesse entkommt, wenn man "Mischehen" statt Kombinationen mit "konfessionell" verwendet und ob man damit nicht in andere Unbehaglichkeiten gerät, wenngleich es sich um einen (nicht auch primär obrigkeitlich geprägten?) Quellenbegriff handelt - vor dem Hintergrund rassistischer und nationalsozialistischer Verwendungszusammenhänge?

Margareth Lanzinger