Christoph Schäfer: Lusoria. Ein Römerschiff im Experiment. Rekonstruktion, Tests, Ergebnisse, Hamburg: Koehlers Verlagsgesellschaft 2008, 128 S., ISBN 978-3-7822-0976-2, EUR 24,90
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Rudolf Asskamp / Christoph Schäfer: Projekt Römerschiff. Nachbau und Erprobung für die Ausstellung "Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht", Hamburg: Koehlers Verlagsgesellschaft 2008, 152 S., ISBN 978-3-7822-0977-9, EUR 24,90
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Florian Krüpe / Christoph Schäfer (Hgg.): Digitalisierte Vergangenheit. Datenbanken und Multimedia von der Antike bis zur frühen Neuzeit, Wiesbaden: Harrassowitz 2005
Tatjana Timoschenko / Angelika Meier / Christoph Schäfer (Hgg.): Alte Geschichte multimedial: Analyse, Realisierung und Evaluation. Beiträge einer Tagung in Sankt Katharinen vom 14.04.-15.04.2005, Gutenberg: Computus 2009
Fritz Brechtel / Christoph Schäfer / Gerrit Wagener (Hgg.): LUSORIA RHENANA. Ein römisches Schiff am Rhein. Neue Forschungen zu einem spätantiken Schiffstyp, Hamburg: Koehlers Verlagsgesellschaft 2016
Die hohe Bedeutung des Verkehrswesens für die Verbreitung römischer Kultur und langfristige Sicherung römischer Herrschaft ist in der Forschung seit langem unumstritten. Dies gilt nicht nur für das weitverzweigte Straßensystem, sicherlich eine der größten kulturellen Leistungen der Römer, sondern auch für die natürlichen Wasserstraßen, die intensiv sowohl militärisch als auch für den zivilen Handel genutzt wurden. Dutzende römerzeitlicher Schiffsfunde allein in den nördlichen Provinzen zeugen davon, welche Rolle der Schifffahrt beigemessen wurde. [1] Zu den eindrucksvollsten Funden speziell an Rhein und Donau zählen die fünf 1981 in Mainz sowie die beiden 1986 in Oberstimm entdeckten Schiffswracks, auf deren Rekonstruktionsplänen basierend in den Jahren 2003/2004 in Regensburg und 2007/2008 in Hamburg unter der Leitung von Christoph Schäfer zwei römische Kriegsschiffe detailgetreu nachgebaut wurden, deren Bau und experimentelle Erprobung in den beiden hier besprochenen Bänden dokumentiert ist.
Der "Lusoria"-Band setzt sich zum Ziel, den bereits 2004 erschienenen Bildband und Baubericht zum Regensburger Nachbau eines spätantiken Römerschiffes um eine wissenschaftliche Auswertung der Leistungsdaten zu ergänzen, um auf dieser Basis zu einem tieferen Verständnis spätantiker Verteidigungskonzeptionen zu gelangen. [2] Bezogen auf das 1. und 2. Jahrhundert n.Chr. gilt Ähnliches für das Hamburger Schiffsprojekt "Victoria", dem der zweite Band gewidmet ist.
Zu Beginn des "Lusoria"-Bandes stellt Schäfer den archäologischen Befund des 1981 in der Uferzone des antiken Rheins geborgenen Schiffswracks vor, von denen zwei als Vorbild für den Nachbau dienten (9-19). Nach der Klassifizierung der dendrochronologisch und numismatisch auf das Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. zu datierenden Schiffe als naves lusoriae - Standardtyp der römischen Binnenschifffahrt in dieser Zeit - nimmt Christoph Schäfer kurz Stellung zu der seit 2006 entbrannten Forschungsdiskussion um die Rumpflänge dieser Schiffe, die durch die endgültige Publikation der Mainzer Schiffsfunde durch Ronald Bockius angeregt wurde (20-23). [3] Hierbei räumt der Autor ein, dass der Nachbau auf veralteten Plänen basiere, da der für ihn plausibler erscheinende Rekonstruktionsentwurf Ronald Bockius', der mit knapp 18 m eine ca. 4 m kürzere Gesamtlänge annimmt, im Baujahr 2003 noch nicht bekannt war. Dies dürfte im Detail Auswirkungen auf die Validität der im Folgenden vorgestellten Messdaten haben. Im Anschluss beschreibt Schäfer den Fortgang des Schiffbaus (24-38), ehe er über die ersten Erfahrungen mit dem Schiff auf Donau und Neckar berichtet (39-46). Valide Daten hätten erst Fahrten einer festen Crew Hamburger Studenten im Rahmen einer einwöchigen Testreihe zu Manövrierfähigkeit, Höchstgeschwindigkeit und Segeleigenschaften des Schiffes geliefert, die der Autor im Anschluss ausführlich beschreibt (47-76). Die im Experiment gewonnenen Werte seien hierbei eindeutig gewesen: Trotz ihrer maritimen Unerfahrenheit habe die Mannschaft die navis lusoria auf Anhieb problemlos beherrscht und im Hinblick auf die Spitzengeschwindigkeit (bis zu 6,2 Knoten stromab auf der Donau) sowie die gute Manövrierfähigkeit (360°-Drehung in weniger als zwei Minuten) aussagekräftige Ergebnisse erzielt. Durch den Einsatz modernster Technik - ein ursprünglich für den America's Cup entwickelter Instrumentenkoffer ermöglichte das gleichzeitige Erheben mehrerer Messdaten - seien zudem die beobachteten guten Segeleigenschaften auf eine wissenschaftlich solide Basis gestellt worden. Gleiches gelte für die Testläufe eines Modells des Regensburger Nachbaus in der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam, die trotz einer realisierbaren Höchstgeschwindigkeit von 7-8 Knoten auf Grund des exponentiell ansteigenden Rumpfwiderstandes die auch im Experiment für realistisch angesehene Reisegeschwindigkeit von 4-5 Knoten bestätigt hätten (77-88). Mit diesen Eigenschaften sei der Schiffstyp Lusoria mit ca. 30 Mann Besatzung bestens geeignet gewesen für die schwer bedrängten Einheiten des Imperiums an der Rhein- und Donaugrenze vom 3. bis 5. Jahrhundert n.Chr., wie Christoph Schäfer in seiner abschließenden Einordnung der im Experiment gewonnenen Ergebnisse in den historischen Kontext des spätantiken Verteidigungskonzeptes feststellt (89-108). Hierbei sei den auf die gesamte Fläche von Rhein und Donau verteilten Lusoriae als "maritimes" Frühwarnsystem vor allem der Wach- und Aufklärungsdienst auf dem "Nassen Limes" zugefallen, wobei die entlang der Ströme auf feindlichem Ufer errichteten Burgi den Schiffen als sichere Landezonen gedient hätten.
Diese durch das Experiment gewonnene Erkenntnis wird unterstützt durch den im "Projekt Römerschiff"-Band präsentierten Nachbau des zweiten Römerschiffes, das aus Anlass des Ausstellungsprojektes "Imperium - Konflikt - Mythos - 2000 Jahre Varusschlacht" der drei kooperierenden Museen in Haltern, Kalkriese und Detmold initiiert und in Hamburg 2007/2008 angefertigt wurde.
Nach der einführenden Vorstellung des Ausstellungsprojektes durch Rudolf Aßkamp (10-19) stellen Sandra Altmann und Ronald Bockius den archäologischen Befund der beiden 1986 entdeckten Oberstimmer Schiffswracks vor, die auf Grund der fast vollständig erhaltenen Rümpfe eine gute Basis für den Nachbau darstellten (20-39). Die dendrochronologisch in traianische Zeit zu datierenden Schiffe wiesen eine Länge von knapp 15 m und eine Breite von gut 2 m auf und seien als Binnenkriegsschiffe mediterraner Bauweise zu klassifizieren, deren Antriebsapparat aus 20 Riemen bestünde und die wohl bereits in augusteischer Zeit für Feldzüge in Germanien verwendet worden seien. Nach einem Exkurs über die Eisennägel (40-43) stellen Gerrit Wagener und Carolin Gross die einzelnen Bauphasen des "Victoria" getauften Nachbaus vor, die sich über einen Zeitraum von etwa einem Jahr (2.4.2007-31.3.2008) erstreckten (44-77). Dabei wurden u.a. die Reliefdarstellungen von Biremen auf der Traianssäule als Vorlagen genutzt. Bei den auch für diesen Schiffstyp durchgeführten Widerstandstests in der Schiffbau-Versuchsanstalt habe sich im Vergleich zu dem Lusoria-Typ für den getesteten Geschwindigkeitsbereich von 1-8 Knoten ein ausgesprochen geringer Wellenwiderstand des Schiffes auf Grund der besseren Linienführung gezeigt (72-92). Trotzdem dürfe die Reisegeschwindigkeit auch bei den Oberstimm-Schiffen realistisch betrachtet bei 4-5 Knoten gelegen haben, was auch die Ergebnisse der ersten Testfahrten einer Hamburger Studentencrew auf dem Ratzeburger See trotz einer Spitzengeschwindigkeit von 6 Knoten unter Segel bestätigt hätten. Von dieser im April 2008 durchgeführten einwöchigen Testreihe berichten Christoph Schäfer und Gerrit Wagener in Form eines Tagebuchs (93-113), das durch den Erfahrungsbericht des Crewmitglieds Astrid Otte ergänzt wird (114-117). Als Ergebnis seien besonders die beachtliche Manövrierfähigkeit (180°-Wendung in 30 sec.) sowie die guten Segeleigenschaften mit dem Rahsegel hervorzuheben, wobei der Segelantrieb eine echte Alternative zum Riemenantrieb dargestellt habe und bei günstigem Wind diesem sogar überlegen gewesen sei. Ehe Hans Moritz Günther und Alexander Christopher Wawrzyn den Erfahrungsbericht der Crew unter eingehender Vorstellung des Messverfahrens mithilfe des Instrumentenkoffers auf eine solide Datenbasis in punkto Wind- und Fahrtgeschwindigkeit sowie einer exakten Zeitmessung stellen (129-147), widmet sich Gerrit Wagener der Frage, welche Aufgabe die Schiffe vom Typ "Oberstimm 1" an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n.Chr. an der oberen Donau erfüllten (118-128). Auf Grund des fehlenden Platzes an Bord könnten größere Transportaufgaben ausgeschlossen, wohl aber der Einsatz als Eskorteinheit von Transportschiffen (vgl. die Reliefdarstellungen solcher Konvoifahrten auf der Traianssäule) oder als Patrouillenboot angenommen werden. Somit seien Schiffe dieser Klasse "im 1. Jahrhundert n.Chr. als Rückgrat der römischen Limessicherung [...] zu sehen."
Insgesamt haben die Autoren beider Bände reich bebilderte, klar strukturierte und flüssig geschriebene Publikationen mit jeweils nützlichem Glossar nautischer Begriffe am Buchende vorgelegt, welche die zwei Schiffsprojekte einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Diese verdienen in dreierlei Hinsicht Beachtung. Zum einen zeigt sich, dass Ergebnisse der so genannten "Experimentellen Archäologie" bei konsequenter Anwendung wissenschaftlicher Methoden unser Verständnis antiker Phänomene erweitern können. Zum anderen ermutigen die Projekte zu einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaftlern sowie zum Einsatz modernster Technik. Darüber hinaus liegt die vielleicht wichtigste Funktion der Nachbauten darin, den an dem Bau beteiligten Studierenden, aber auch Schulkassen und interessierten Laien die Möglichkeit zu bieten, die historische Distanz zur Antike zu überbrücken und durch das haptische Moment (be)greifbar zu machen. In diesem Sinne wäre zu wünschen, dass sich auch in Zukunft engagierte Wissenschaftler, Sponsoren und viele freiwillige Helfer für Projekte ähnlicher Art finden lassen.
Anmerkungen:
[1] Einen knappen Überblick über die allgemeine Entwicklung antiker Schifffahrt liefert Ronald Bockius: Schifffahrt und Schiffbau in der Antike, Stuttgart 2007. Eine Verteilungskarte der römerzeitlichen Schifffunde in den nördlichen Provinzen bietet er auf Seite 67.
[2] Hans Ferkel / Heinrich Konen / Christoph Schäfer: Navis Lusoria, St. Katharinen 2004.
[3] Ronald Bockius: Die spätrömischen Schiffswracks aus Mainz, Mainz 2006.
Jens Gering