Jürgen Osterhammel (Hg.): Weltgeschichte (= Basistexte Geschichte; Bd. 4), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, 274 S., ISBN 978-3-515-09203-6, EUR 24,00
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Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel (Hgg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004
Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München: C.H.Beck 2009
Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München: C.H.Beck 2003
Der vorzustellende Sammelband mit 13 Beiträgen von Autoren unterschiedlicher historischer Disziplinen könnte auch heißen "Annäherungen" oder "Methoden" zur Weltgeschichte, denn was im Grunde gezeigt wird, sind fundamental unterschiedliche Wege, die transkulturelle Geschichte der Welt und damit des Menschen zu erfassen.
Jürgen Osterhammel, der Herausgeber, spricht in seiner Einleitung ebenso bescheiden wie treffend von "Zugängen" zu einem Gesamtphänomen, dessen Historiografie ("Traditionslinien") in wesentlichen Zügen skizziert wird. Dies geschieht mittelbar durch die Darstellung der Konzeption einer Weltgeschichte des Lamprechtforschers Roger Chickering und andererseits durch die Aufnahme von Ernst Schulins kluger Reflexion über das Wesen und Werden der Universalgeschichte aus abendländischer Wurzel.
Welcher Variantenreichtum an Zugängen zum Thema "Global History" inzwischen existiert, machen die Beiträge im zweiten Teil ("Programme") der Anthologie deutlich. Ebenso kreativ wie einfach erscheint der "Zugang", den Natalie Zemon Davis wählte, nämlich sich quasi narrativ über "Many Stories" internationaler Migrantenschicksale der "Welt" anzunähern. Mit fast genialer Einfachheit erfasst sie durch vermeintlich "kleine Geschichten" über Menschen in der Diaspora die "große Geschichte". Sie erzählt von deren Motiven, Akkulturation, den Wandel ihrer Lebenswelt und beobachtet so genau die quer über den Globus gestreuten lebendigen Migrantenschicksale. Es werden Wege des räumlichen und kulturellen "Dazwischen" aufgetan und dem Leser so zu einer Vorstellung vom Entstehen globalen Bewusstseins verholfen. Es ist nichts weniger als der faszinierende Entwurf von Familiengeschichte als Weltgeschichte. Dagegen erscheint der Beitrag von Wolfgang Schwentker ("Globalisierung und Geschichtswissenschaft") als eher "trockene" empirische aber fast lückenlose Anleitung zu den Möglichkeiten der Konzipierung bzw. der Aufschließung eines im Grunde doch qualitativ komplexen Forschungsfeldes.
In verschiedenen Aufsätzen kommt erfreulicherweise auch "The Rise of the Rest" (Alice H. Amsden) zur Sprache. Thematisch sind sie jedenfalls breit genug gestreut, um auch jenen Individuen und Gruppen Aufmerksamkeit zu widmen, die gewöhnlich eher außerhalb des "Mainstream" lagen, auch wenn freilich von einer Renaissance "of the Rest" noch nicht die Rede sein kann.
Gleich vier Beiträge sind in einem dritten Teil dem Ausgangspunkt Europa bzw. dessen "Sonderweg" gewidmet. Es ist das Nachdenken über europäische Fundamente und Alleinstellungsmerkmale mit der Sicht von außen (die asiatische Sicht von R. Bin Wong), von innen (Ludolf Kuchenbuch über Michael Mitterauers viel zitiertes Werk "Warum Europa?") und quasi interdisziplinär aus der Sicht des Wirtschaftshistorikers (Patrick O'Brien) sowie des Sozialhistorikers (Hartmut Kaelble) über das Einmalige der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert.
In einem abschließenden vierten Teil wird vor allem auf die evolutionären, langfristigen, dynamischen Aspekte (Geschwindigkeit, Konvergenz, Integration und Dichte der Prozesse) Bezug genommen. Dies geschieht unter dem Plural "Globalisierungen", der recht eigentlich auch "Generalisierungen" meint und wiederum multiperspektivisch ansetzt, bis hin zur weltweiten Übertragung von Pflanzen, Keimen, Bakterien und infektiösen Krankheiten unter menschlichen Populationen (John R. McNeill). Der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt umschreibt die Globalisierung als "eine mehr oder weniger rasch zunehmende Verflechtung zuvor räumlich weit entfernter Wirtschaften" (215), hält sie aber offenbar für keinen irreversiblen Prozess (vgl. 238). Abschließend reflektiert der Frühneuzeithistoriker Wolfgang Reinhard das Verhältnis von Institutionen (europäische Staatsmodelle) und Macht.
Die Kollektion ist von Jürgen Osterhammel souverän eingeführt, multiperspektivisch, transdisziplinär, originell kompiliert, überaus anregend und durch eine nützliche Auswahlbibliografie abgerundet. Sie enthält fast ausnahmslos wertvolle "Basistexte", an denen kein Historiker vorbeikommt, der irgendwann die globale Dimension ins Auge fasst.
Rolf Walter