Caspar Aquila: Schriften und Lebenszeugnisse des Saalfelder Reformators. Theologie und Frömmigkeit, Bildung und Armenfürsorge in der Reformation. Ausgewählt und kommentiert von Heinz Endermann (= Theologische Texte und Studien; Bd. 14), Hildesheim: Olms 2009, VIII + 351 S., ISBN 978-3-487-13941-8, EUR 48,00
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Das Bemühen um die Herausgabe von Quellensammlungen ist grundsätzlich zu loben, zumal wenn sie in ein Feld vorstoßen, das von der Forschung nur marginal behandelt wird und trotzdem für das Gesamtbild einer Epoche wesentlich ist. Konkret ist hier eine vom Germanisten Heinz Endermann (Jena) besorgte Auswahl von Schriften des Saalfelder Reformators Caspar Aquila/ Adler (1488-1560) vorzustellen, die die Hauptzeit seines Wirkens im Dienste der Reformation von 1533 bis 1556 abdeckt. Aquila, der zunächst im Humanistenkreis um Franz von Sickingen wirkte, lebte und lehrte von 1523 bis 1527 in Wittenberg. Dort war er bereits 1513 und 1520 zum Studium gewesen und hatte Luthers Theologie kennengelernt. 1527 wechselte er auf die Pfarrstelle nach Saalfeld, die er, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung während des Interims (1548-1552), bis zu seinem Tod inne hatte. Dort entfaltete er seine an der Wittenberger Reformation orientierte Theologie und suchte die Reformation in der Saalestadt durchzusetzen.
Der Herausgeber ordnet die edierten Werke seiner Auswahlausgabe in vier Abteilungen: (1.) "Reformatorische Schriften", (2.) "Gegen das Interim", (3.) "Erziehung und Unterweisung" sowie (4.) "Lieder". Der erste Teil enthält die Schriften "Vom Almosengeben" (1533) sowie eine Auslegung des 34. Psalms (1533) - die beide auf Predigten zurück gehen -, einen Sendbrief auf das Jahr 1534 und eine Auslegung des Liedes "Ein Kindelein so löbelich" (1556). Der Sendbrief ist einer nicht näher bezeichneten höher stehenden Person gewidmet, hinter der Endermann Aquilas Freund Johann Agricola vermutet. Konkreter Hintergrund dieser an Joh 3,16 angelehnten Schrift ist die Türkengefahr. Im zweiten Teil findet sich Aquilas Flugschrift "Gegen den spöttischen Lügner Agricola" (1548), in der er sich nunmehr gegen Agricola in Eisleben wendet, der verbreitet, Aquila habe dem Interim zugestimmt. Anhand dieser beiden Schriften ist die Wandlung des Verhältnisses von Aquila und Agricola zwischen 1534 (Sendbrief) und 1548 (Flugschrift) deutlich zu erkennen. Dadurch erhält das Bild des Verfassers nicht nur theologische, sondern auch stärker persönliche Konturen. Im pädagogischen Teil der Ausgabe folgen die beiden Schriften "Eine sehr hochnötige Ermahnung" (1548), die die Leser angesichts der historischen Entwicklungen auffordert, nicht vom Evangelium abzufallen, und der Katechismus "Kurtze Fragstücke" (1555) in Form von elf "Kinderpredigten" im Frage-Antwort-Schema. Den Band beschließen die drei Lieder "O Deudschland, Deudschland", "Ach Gott, von Himel sich darein" und "Gott Vater in dem himelsthron", die 1547 erstmals gedruckt wurden. Der Herausgeber berichtet im folgenden Abschnitt (245-251) über seine Textauswahl, die Textnachweise, die Einrichtung seiner Ausgabe sowie die Abkürzungen biblischer Bücher. Daran schließen sich "Erläuterungen zu Aquilas Schriften" (253-303), die das germanistische Interesse des Herausgebers widerspiegeln, da er nur sehr kurz auf den theologischen Inhalt bzw. den historischen Hintergrund der Schriften (253-286) eingeht, dafür sehr breit die Sprache Aquilas untersucht (286-303). Danach zeichnet er den Lebensweg von Caspar Aquila nach (305-339). Ein Register der Namen und Orte sowie ein Literaturverzeichnis runden das Buch ab.
Die in dem vorliegenden Band publizierten Quellen sind zwar bekannt, aber nur schwer einzeln und in verstreuten Drucken des 16. Jahrhunderts greifbar. Das Verdienst, das dieser Quellenedition zukommt, ist die Bereitstellung des Materials für die moderne Forschung. An ihm lässt sich die Verbreitung Wittenberger Theologie im 16. Jahrhundert ablesen, was nicht nur im Hinblick auf Luther und seinen Kreis im weiteren oder die Thüringische Kirchengeschichte im engeren Sinn interessant ist, sondern auch im Hinblick auf Aquila selbst, an dessen 450. Todestag im kommenden Jahr erinnert werden wird. Die Auseinandersetzung mit seinen Werken kann dazu führen, einen Reformator der "zweiten Reihe" mit eigenen, auf seinen Kontext bezogenen theologischen Akzentsetzungen kennenzulernen. Gerade die Freundschaft zwischen Johann Agricola in Eisleben und Aquila führte dazu, dass der Saalfelder Pfarrer im ersten antinomistischen Streit die Position Agricolas vertrat. Entsprechend versteht er die Gebote Gottes als Anleitung, den Willen Gottes zu erkennen. Wer die Gebote einhalte, beweise so seinen Glauben. Damit weicht Agricola von Luthers Position ab, wonach die Gebote der Anleitung zur Buße dienen. An dieser Stelle offenbart sich aber eine Schwachstelle der Ausgabe Endermanns: Bei der Edition der "Fragstücke" von 1555 hätten die vorangegangenen "Erklärungen des kleinen Catechismi" Aquilas von 1538 und 1540 berücksichtigt werden müssen. Vielleicht wäre auch ein Paralleldruck der Ausgaben sinnvoll gewesen, um durch Vergleiche mögliche Wandlungen in der Theologie des Verfassers deutlich zu machen. Weiterhin blieb wichtige neuere historische oder kirchenhistorische Literatur (z.B. von Daniel Gehrt und Luise Schorn-Schütte oder Irene Dingel und Thomas Kaufmann) leider unberücksichtigt. Vorschnell werden sprachliche Wendungen im Kommentar vom Herausgeber als "Grobianismen" eingeordnet, ohne dabei auf ihre historische Bedeutung zu achten. Dass sich hinter diesem derben Wortgebrauch ein tief empfundener Wahrheitsanspruch verbirgt, den Aquila mit vielen seiner Zeitgenossen teilte, weil sie glaubten, in den "letzten Zeiten" dieser Welt zu leben, wird nicht reflektiert. Aquila wollte vor diesem eschatologischen Horizont unbedingt an der einmal erkannten Wahrheit des Evangeliums festhalten. Im biografischen Teil des Buches berichtet der Herausgeber, dass auf dem linken Flügel des Altars der Stadtkirche in Wittenberg neben Melanchthon am Taufbecken möglicherweise Aquila dargestellt ist (338). Dies Zuweisung der Darstellung ist problematisch, da in der kunsthistorischen Literatur auch andere Wittenberger Theologen mit dieser Figur identifiziert werden. Schließlich muss der Satz bemängelt werden, der an ein Computermanuskript erinnert. Obgleich nur wenige Fehler zu bemerken sind, wird dadurch die berechtigte Freude an der Lektüre etwas beeinträchtigt. Trotz aller Kritik ist diese Quellenausgabe besonders für den seminaristischen Gebrauch zu empfehlen, da die Leerstellen im Kommentar die Texte für eigene Entdeckungen offen halten.
Stefan Michel