Rezension über:

Jochen Meister (Hg.): Münchener Secession. Geschichte und Gegenwart, München: Prestel 2007, 192 S., ISBN 978-3-7913-3877-4, EUR 49,95
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Michael Buhrs u.a. (Bearb.): Die Münchner Secession 1892-1914, Wolfratshausen: Edition Minerva 2008, 384 S., ISBN 978-3-938832-33-2, EUR 37,00
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Rezension von:
Thorsten Marr
Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, München
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Thorsten Marr: Neue Publikationen zur Münchener Secession (Rezension), in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 11 [15.11.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/11/13702.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Neue Publikationen zur Münchener Secession

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In den letzten Jahren ist die Geschichte der Münchener Künstlervereinigungen wieder verstärkt in den Blick der Kunstgeschichtsschreibung gerückt. Im Fokus stehen die Gründungsgeschichten der einzelnen Vereine, deren Aktivitäten als Veranstalter von Ausstellungen und das künstlerische Spektrum der im Verein organisierten Künstler. Ein besonderes Augenmerk gilt der Münchener Secession, die als "Verein der bildenden Künstler Münchens e.V.", 1892 gegründet und bis heute aktiv geblieben ist. Vor kurzem sind zur Münchener Secession zwei Publikationen erschienen, die trotz inhaltlicher Überschneidungen unterschiedliche Ziele verfolgen.

Ein von Jochen Meister herausgegebener Essay-Band enthält drei einzelne Beiträge, die sich mit der Geschichte des Vereins von der Gründung bis zur vorübergehenden Auflösung 1938 (Bettina Best), von der Wiederaufnahme der Vereinsgeschäfte (1946) bis heute (Jochen Meister) und mit der 1905 gegründeten Secessions-Galerie befassen (Andreas Strobl). Der Band ist opulent bebildert und schließt mit Kurzbiografien zu den gegenwärtigen Mitgliedern ab.

In seinem Vorwort schildert der Herausgeber, dass die einzelnen Essays einen Überblick über die wichtigsten Etappen der Vereinsgeschichte bieten möchten, wobei das Ausstellungswesen des Vereins und die Kunstproduktion seiner Mitglieder im Mittelpunkt der einzelnen Abhandlungen stehen. Trotz der vielen Herausforderungen, die der Verein seit seiner Gründung zu meistern hatte, hat er seine kunstpolitische Eigenständigkeit bewahren und sich auf die künstlerische Individualität seiner Mitglieder bis heute berufen können.

Für eine problemorientierte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte fehlte der Platz, weshalb sich die Beiträge meist auf die Schilderung von Ereignissen beschränken. Dadurch wirken die Beiträge eigentümlich steril. Dennoch bieten sie einen ersten Einstieg in die Geschichte der Münchner Secession, die in diesem Band auch zur Erfolgsgeschichte einer noch heute aktiven Künstlervereinigung geworden ist.

Einen kürzeren Zeitabschnitt behandelt der Katalog "Secession 1892 - 1914. Die Münchner Secession 1892-1914", der anlässlich der Sonderausstellungen "Die Secession ist eine Weltanschauung (Max Liebermann), Die Münchner Secession 1892 - 1914" in der Villa Stuck (München) und in der Max Slevogt-Galerie, Schloss Villa Ludwigshöhe (Edenkoben) und der Sonderausstellung "The Munich Secession and America" im Frye Art Museum (Seattle, Washington) 2008 erschienen ist. Die Einzelbeiträge widmen sich der Gründungsgeschichte (Clelia Segieth) und den verschiedenen Kunstströmungen, wie sie durch die Mitglieder und die ausstellenden Künstler in den Secessions-Ausstellungen vertreten waren (Horst G. Ludwig, Bettina Best). Sie beleuchten Franz Stucks Bedeutung für den Verein (Margot Th. Brandlhuber) und lenken den Blick auf die US-amerikanischen Kunstsammler Hugo Reisinger, Josef Stránsky, Charles und Emma Frye, die schon früh einige Werke von Münchener Secessions-Künstlern erwarben (Jo-Anne Birnie Danzker).

Im Mittelpunkt des Kataloges steht die künstlerische Vielfalt, wie sie in den Vereinsausstellungen Jahr für Jahr präsentiert wurde und wie sie dem Individualismusprinzip des Vereins und seiner Mitglieder entsprach. Horst G. Ludwig beginnt seine Darstellung mit der ersten Ausstellung, die die Münchener Secession im Sommer 1893 im eigenen Ausstellungsgebäude veranstalten konnte. Sein Rundgang setzt im Kuppelsaal ein, von dem sich eine Schwarz-Weiß-Aufnahme erhalten hat, die einen ersten Eindruck von der Ausstellung vermittelt. Der Autor kann den Großteil der auf der Aufnahme abgebildeten Werke identifizieren, stellt aber auch andere Werke der ersten Ausstellung vor. Die Zusammenstellung ist nicht zufällig gewählt. Vielmehr bietet sie den Ausgangspunkt für eine anschließende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kunstströmungen der Zeit. Die Mitglieder der Secession fühlten sich nicht nur dem Naturalismus, dem aufkommenden Jugendstil, den symbolistischen und den impressionistischen Tendenzen der Zeit verpflichtet, einige haben sich kaum von der Kunst ihrer akademischen Lehrer entfernt.

In den Ausstellungen der Münchener Secession waren nicht nur heimische Künstler vertreten. Auch Künstler der Haager Schule, die sogenannten "Glasgow Boys", Skandinavier wie Anders Zorn, Bruno Andreas Liljefors, Erik Werenskiold aber auch die Vertreter des französischen Impressionismus waren immer wieder in den Secessions-Ausstellungen zu Gast. Die Münchener Künstler und nicht zuletzt die eigenen Mitglieder setzten sich mit den Werken der Gäste künstlerisch auseinander und machten ihre Eindrücke der eigenen Arbeit fruchtbar.

Horst G. Ludwig stellt zahlreiche Künstler und deren Werke vor. Biografische Angaben und Werkanalysen werden miteinander verflochten und auf die Münchener Secession als Ausstellungsveranstalter bezogen. Es gelingt ihm, die künstlerische Vielfalt in den Secessions-Ausstellungen und die seiner Mitglieder vorzuführen. Hier folgt er den Monografien von Maria K. Makela (The Munich Secession. Art and Artists in Turn-of-the-Century Munich, Princeton N.J. 1990) und Bettina Best (Secession und Secessionen. Idee und Organisation einer Kunstbewegung um die Jahrhundertwende, München 2000). Der Eindruck von der künstlerischen Vielfalt verliert jedoch an Tiefenschärfe, wenn Künstler vorgestellt werden, die der Münchener Secession nur kurze Zeit oder gar nicht angehört haben. Auch werden Werke zu Zeugen, die außerhalb des Diskussionszeitraums entstanden sind oder in den Ausstellungen der Secession nicht zu finden waren. Hier treten Unschärfen auf, die eine differenzierte Sicht auf die Vereinsgeschichte erschweren.

Folgt man der Argumentation des Autors, drängt sich die Frage auf, ob es neben der künstlerischen Vielfalt auch Entwicklungen gab, die den Verein als Förderer oder Behinderer von Kunstströmungen oder Künstlerkarrieren ausweist. Lassen sich in den Vereinsausstellungen Veränderungen ablesen, die ein verändertes Rezeptionsverhalten seitens der Veranstalter oder Aufschluss über einen Generationswechsel innerhalb des Vereins zulassen? Was schufen die neuen Mitglieder nach der Jahrhundertwende und wie waren sie in den Vereinsausstellungen vertreten? Der Streit vom Herbst 1903 bietet einen Ausgangspunkt, um sich dem Generationsproblem anzunehmen. Ludwigs Beiträge lassen leider nicht erkennen, dass die Secession kreativ und experimentierfreudig begann, aber nach der Jahrhundertwende konservative Züge annahm. Das gilt für die künstlerische Produktion ebenso wie für das Ausstellungswesen, das im Katalog nicht hinreichend zur Sprache kommt. Deshalb geht die historische Einordnung der Befunde nur selten über die Argumentation von Maria Makela (1990) und Bettina Best (2000) hinaus.

Einer der aktivsten Mitglieder des Vereins war der Künstler Franz Stuck. Er gehörte dem Vereinsausschuss von 1892 bis 1914 und darüber hinaus ununterbrochen an, war als Juror an zahlreichen Vereinsausstellungen beteiligt und entwarf die berühmte Bildmarke mit dem 'Athena-Kopf', mit der die Secession ihren Werbemaßnahmen ein nach außen einheitliches Erscheinungsbild gab. Margot Brandlhuber kann belegen, dass Stuck nicht nur zahlreiche Plakate zur Ankündigung der Ausstellungen entwarf, sondern auch maßgeblich für die Gestaltung der Ausstellungsräume verantwortlich war. Somit hat Stuck erheblichen Einfluss auf das äußere Erscheinungsbild des Vereins genommen.

Das Interesse an der Münchener Secession und an der Kunst seiner Mitglieder war groß. In- und ausländische Kunstsammler besuchten die jährlich stattfindenden Ausstellungen oder wandten sich an Galerien und Salons, um Werke Münchener Künstler zu kaufen. Zu ihren Förderern und Sammlern zählten die US-Amerikaner Hugo Reisinger, Charles M. Kurtz, Josef Stránsky, Charles und Emma Frye. Jo-Anne Bernie-Danzker hat ihnen einen eigenen Beitrag gewidmet. Jeder einzelne von ihnen hatte Museen oder Kunstsammlungen begründet, Ausstellungen mit zeitgenössischer deutscher Kunst in amerikanischen Städten gefördert oder mitorganisiert und auf vielfältige Weise die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA zu verbessern gesucht. Bernie-Danzker kann nachweisen, dass der Sympathie für die Münchener Secession und die Kunst seiner Mitglieder ein ungewöhnliches Motiv zugrunde lag: das Bekenntnis zum Internationalismus und die Verteidigung des Individualismusprinzips, das die Zusammenarbeit von Personen unterschiedlicher künstlerischer Positionen in einer Künstlervereinigung erlaubte.

Das von Bernie-Danzker beschriebene Interesse an der Münchener Secession kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausstellungen der Münchener Secession nach 1900 zunehmend an Attraktivität verloren und dass die Kunst ihrer Mitglieder immer häufiger als nicht mehr hinreichend "modern" galt. Die Schweizer Industriellenfamilie Sidney und Jenny Brown-Sulzer hatte über Jahre zahlreiche Werke Münchener Künstler erworben. Ab 1908 begannen sie, ihre Kunstsammlung neu auszurichten. Sie gaben ihre Münchener Erwerbungen in den Kunsthandel zurück und wandten sich der Kunst des französischen Impressionismus zu. Hier deuten sich neue Aufgabenfelder für eine problemorientierte, historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Münchener Secession an. Weshalb ist der Verein nicht zum Sammelbecken moderner Kunstströmungen geworden? Wie ist der Niedergang der Künstlervereinigung nach der Jahrhundertwende zu erklären und inwieweit hat der Wettbewerb mit anderen Vereinen und neuen Galerien die Vereinspolitik der Münchener Secession verändert? Die Auseinandersetzung mit dem Kunstmarkt lässt sich im Rahmen einer Ausstellung kaum anschaulich vermitteln. Sie könnte aber den Blick auf die Münchener Secession und ihre Rolle als Interessengemeinschaft, als Ausstellungsveranstalter und Kunstvermittler erheblich schärfen.

Thorsten Marr