Michael Buhrs / Margot Th. Brandlhuber (Hgg.): Frederic Lord Leighton. 1830-1896. Maler und Bildhauer der viktorianischen Zeit, München: Prestel 2009, 191 S., ISBN 978-3-7913-4401-0, EUR 29,95
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Es ist einer umfassenden Renovierung der Künstlerresidenz Frederic Lord Leightons an der Holland Park Road in London zu verdanken, dass einer der bedeutendsten Vertreter der viktorianischen Kunstszene erstmals mehr als 100 Jahre nach seinem Ableben mit einer Werkschau auf dem Kontinent gewürdigt worden ist (7).
An dem begleitenden Katalog wirkten einige außerordentlich namhafte Wissenschaftler im Bereich der viktorianischen Kunst mit - für Beiträge konnten Elizabeth Prettejohn, Daniel Robbins und Reena Suleman sowie Christopher Newall gewonnen werden. Von deutscher Seite wurde der Band von Margot Th. Brandlhuber komplettiert und vom Direktor des Museums Villa Stuck, Michael Buhrs, herausgegeben.
Wenngleich der Katalog nach einem einleitenden Vorwort auf den ersten Blick konzeptionell in eine rhetorische Falle tappt, in der Tat genau das unternimmt, was dem Geisteswissenschaftler bereits im Proseminar als dringend zu unterlassen angeraten wird, er nämlich die Neugier des Lesers mit einer detailreichen Vita des Künstlers anstachelt, so verzeiht ihm das der Leser geschwind. Christopher Newalls chronologische Ausführungen zum Werdegang Leightons sind weniger ein Abriss der Vita als vielmehr eine höchst aufschlussreiche Biographie, die den Künstler geschickt in sein zeitgenössisches Umfeld wie auch auf einer Metaebene in die vielschichtige Künstlerszene der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einbettet. Wer sich der Lektüre hingibt, gewinnt folgendes Bild von dem einstigen Präsidenten der Royal Academy: Dem Renaissance-Ideal des Universalkünstlers nachstrebend, tat sich Leighton sowohl als Maler und Zeichner, als auch als Bildhauer und sogar Architekt hervor. Der Engländer, dessen Werk von den Einflüssen venezianischer Meister der Renaissance, britischer Präraffaeliten, deutscher Nazarener und französischer Klassizisten zeugt, absolvierte ausgedehnte Studienaufenthalte im Ausland und unternahm Zeit seines Lebens langfristige Kunstreisen nach Südeuropa und in den Nahen Osten, die sich als prägend für sein Kunstschaffen erwiesen. Seit 1868 vollwertiges Mitglied der Royal Academy, wurde er 1878 zum Präsidenten der R.A. ernannt und im selben Jahr geadelt. Während der Zeit seiner Präsidentschaft erlangte die Royal Academy ein zuvor ungekanntes Ansehen innerhalb der europäischen Kunstinstitutionen (12-30).
Leightons künstlerische Bandbreite ist als außerordentlich vielfältig einzuschätzen - seine humanistische Bildung und die internationalen Einflüsse sind omnipräsent in seinem Schaffen. Neben biblischen Themen, die insbesondere in die Zeit seiner verstärkten Hinwendung zum Mediävalismus fallen und damit einen großen Teil seines Frühwerks ausmachen, beschäftigte er sich intensiv mit historischen Sujets wie den Künstlerviten der Frührenaissance.
Seit den 1860er Jahren bildete die griechische Antike das Hauptaugenmerk seines Interesses, sowohl in Bezug auf Kunstobjekte als auch hinsichtlich kunstphilosophischer Aspekte.
Der an die Biographie anknüpfende Aufsatz Elizabeth Prettejohns, "Frederic Leightons Klassizismus", führt eindrücklich vor Augen, dass Lord Leightons Klassizismus gleichzeitig an akademische Traditionen wie auch an eine hegelianische Kunstphilosophie anknüpft (35).
Der Besucher der Ausstellung konnte sich von der großen Detailgenauigkeit und der handwerklichen Raffinesse überzeugen, die seine künstlerische Tätigkeit kennzeichnen. Die Gemälde strahlen eine überaus brillante Farbigkeit und Lichtführung aus, die die unverwechselbare Sinnlichkeit und Absorption der Figuren unterstreichen. Dieser Qualität der Kunstwerke sucht der Werkkatalog im Mittelteil der Publikation durch hochwertige Farbabbildungen Rechnung zu tragen. Leider werden jedoch nur sehr knappe Basisinformationen zu den einzelnen abgedruckten Bildern gegeben - noch wünschenswerter wären einzelne Bildinterpretationen gewesen, wie dies etwa im Katalog zur Millais-Ausstellung von 2007 [1] oder demjenigen der Ausstellung "Turner And The Masters" von 2009 [2] durch die Tate Britain geschehen ist. Ein recht großer Teil der Ausstellung, nämlich die Portraits von der Hand Leightons, wird dadurch inhaltlich im Katalog unterschlagen, obwohl sie qualitativ anderen Gemälden in nichts nachstehen. Die Initiatoren der Ausstellung hatten es sich zum Ziel gesetzt, Frederic Lord Leighton als viktorianischen Maler und Bildhauer zu verorten, eine Schwerpunktlegung wurde zunächst durch den Titel nicht impliziert. Der durch die Räume schreitende Betrachter konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ein großer Teil der Bilder eher nach ihren Maßen denn nach einer inhaltlichen Stringenz gehängt wurden - dementsprechend nahmen die klassizistischen Gemälde per se mehr Raum ein. Es erstaunt nicht, dass die Publikation denn auch den Klassizismus in den Vordergrund stellt. Was allerdings tatsächlich irritiert, ist die Wahl der darin behandelten Werke: Ganz offensichtlich zählen die klassizistischen Bilder, die dem Münchener Publikum nahegebracht werden sollten, nicht zu den repräsentativen Meilensteinen in der klassizistischen Kunst Leightons, denn es findet abgesehen von der mehr als beiläufigen Erwähnung des Werks "Orpheus and Eurydice" (ca. 1864) nicht eine der gesehenen Leinwände Eingang in Prettejohns (ansonsten außerordentlich gelungene) Argumentation.
Die zweite Schwerpunktlegung, die der Ausstellungskatalog vorschlägt, trägt Leightons Künstlerhaus Rechnung, das ein einzigartiges Bau- und Raumkonzept aufweist und von ihm selbst maßgeblich gestaltet wurde. Aufschlussreich vom Hauptkurator der Museen des Royal Borough of Kensington and Chelsea, Daniel Robbins, und der Sammlungs- und Forschungskuratorin am Leighton House Museum, Reena Suleman dargestellt, bekommt der Leser einen Eindruck sowohl von der Baugeschichte des Leighton House als auch über den Repräsentationscharakter der Künstlerresidenz. Proportional zu und in Verbindung mit Leightons eigenem künstlerischen Erfolg, so erfährt man, gewann auch Leighton House an architektonischer Bedeutung (162). Abgerundet wird jener letzte Teil der Publikation durch eine vergleichende Analyse der Tradition europäischer Künstlerhäuser von der Hand Margot Th. Brandlhubers. Grundsätzlich wäre es wünschenswert gewesen, man hätte der Ausstellung gleich dem Katalog mehr Profil verliehen - die im Ausstellungskatalog aufgeworfenen Themenkomplexe ließen sich in dieser Tiefe keinesfalls anhand der Hängung erkennen.
Großes Lob muss der Idee ausgesprochen werden, den prominenten viktorianischen Akademiker dem deutschen Publikum nahe zu bringen. Zu lange ist die britische Kunst des 19. Jahrhunderts zu Gunsten der französischen Zeitgenossen vernachlässigt worden. Es ist an der Zeit, jenes fortwährende Paradigma der Überlegenheit französischer Kunstproduktion zu hinterfragen, der Schritt in diese Richtung durch die Villa Stuck wird demnach sehr begrüßt. Dass die deutsche Forschungslage zur viktorianischen Kunst nicht gerade ausufernd genannt werden kann, macht allein schon der Umstand deutlich, dass die Publikation fast ausschließlich von Briten erstellt worden ist - was an sich bereits genügend Appell an die deutsche Forschung sein dürfte.
Anmerkungen:
[1] Millais (Ausstellungskatalog der Tate Britain, London 2007.)
[2] Turner And The Masters. (Ausstellungskatalog der Tate Britain, London 2009.)
Nele Martina Putz