Udo Wennemuth (Hg.): 450 Jahre Reformation in Baden und Kurpfalz (= Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte; Bd. 1), Stuttgart: W. Kohlhammer 2009, 164 S., ISBN 978-3-17-020722-6, EUR 22,00
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In Baden und der Kurpfalz war es zwar bereits seit den 1520er Jahren zu evangelischen Bewegungen gekommen, die offizielle Einführung der Reformation erfolgte in beiden Territorien jedoch erst 1556. Marksteine für beide Länder sind die Kirchenordnungen, die in diesem Jahr erlassen wurden. Die Kurpfalz und die Markgrafschaft Baden-Pforzheim waren die beiden größten evangelischen Territorien, die nach Ende des alten Reiches im Großherzogtum Baden aufgingen. So bilden die Reformationsgeschichten beider Länder den Kern dieses Aufsatzbandes zu einer Tagung, die 2006 zum 450-jährigen Jubiläum der Reformation in der Kurpfalz und in Baden von der Evangelischen Landeskirche in Baden ausgerichtet wurde. Neben sechs umfangreichen Aufsätzen des Kolloquiums wird der Band durch drei kleinere Beiträge anlässlich der zentralen Jubiläums-Festakte bereichert.
Bernd Moeller beschreibt die Reformation in den Städten, wobei er seine Darstellung auf Land- und Reichsstädte in Baden (Wertheim, Neckarsteinach, Neuenburg, Rheinfelden, Kenzingen, Waldshut und Gengenbach) fokussiert. In diesen Städten wurde die Reformation zwar eingeführt, hatte jedoch keinen dauerhaften Bestand. Nach der Mitte des 16. Jahrhunderts wandte man sich wieder dem Katholizismus zu. Ausgehend von Konstanz arbeitet Moeller den Anteil der Reichsstadt an der Entstehung der Confessio Tetrapolitana heraus, der vor allem beim Entwurf des Abendmahlsartikels zum Tragen kam.
Eike Wolgast nimmt die reformatorische Bewegung in der Kurpfalz bis zum Regierungsantritt Ottheinrichs 1556 in den Blick. Die wechselvolle Vorreformation währte fast vierzig Jahre, von der Heidelberger Disputation 1518 bis zum Erlass der Kirchenordnung 1556. In dieser Zeit gab es zwar reformatorische Veränderungen, diese wurden jedoch nicht obrigkeitlich reguliert. Die pfälzische Reformationspolitik war geprägt durch "offizielles Festhalten an den Reichsordnungen, inoffizielle Entscheidungsfreiheit auf der unteren Ebene" (43). Eike Wolgast macht nachdrücklich auf das Fehlen gedruckter Quelleneditionen aufmerksam und regt detaillierte Studien zum Thema an, mit denen die Sicht auf die lange Zeit reformatorischer Bewegung in der Kurpfalz weiter differenziert werden könne.
Als Pendant zu den Ausführungen von Eike Wolgast nimmt Armin Kohnle in seinem Beitrag eine Bestandsaufnahme der Reformationseinführung in der Markgrafschaft Baden vor. Auch hier gab es eine lang dauernde vorreformatorische Phase, die ebenso wie in der Kurpfalz erst mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 bzw. mit Erlass der Kirchenordnung ein Jahr später in die offizielle Einführung der Reformation mündete. Als Besonderheit der badischen Reformationsgeschichte stellt Kohnle die unterschiedlichen Reformationsverläufe im Unter- und Oberland sowie in den Kondominaten heraus. Die konfessionelle Differenzierung folgte der politischen Zersplitterung der Markgrafschaft. Auch Armin Kohnle macht deutlich, dass neue Quellenpublikationen und -auswertungen zur badischen Reformationsgeschichte dringend erforderlich sind.
Gottfried Seebaß (†) lenkt den Blick auf die Kirchenordnungen der Kurpfalz und Badens von 1556, die den zentralen Kulminationspunkt der Reformationsgeschichte beider Territorien bilden. Die Regelwerke gehen auf die württembergische Kirchenordnung von 1553 zurück und stimmen in ihrem Wortlaut weitgehend mit dieser überein. Die Einheit der Kirchenordnungen von Württemberg, Baden und der Kurpfalz und damit des weiträumigen lutherischen Bekenntnisstandes in Südwestdeutschland brach jedoch wenige Jahre später auseinander, als die Kurpfalz 1563 zum reformierten Bekenntnis übertrat.
Christoph Strohm untersucht, wie dieser Übergang der Kurpfalz zum reformierten Protestantismus vonstatten ging. Er zeigt die wesentlichen Aspekte auf, durch die die Konfessionalisierung und das Profil des Bekenntnisstandes in der Kurpfalz markiert werden: "Humanistisch begründete Wertschätzung von Rationalität und grundsätzliche Vorbehalte gegen jede Art von Aberglauben sowie ein durch die Präsenz von Verfolgungserfahrung aufgeladener, schroff antirömischer Affekt brachten eine charakteristische Mischung aus Späthumanismus und reformierter Konfession hervor" (106).
Thomas K. Kuhn widmet sich der Rezeption der Reformationseinführung in Baden, indem er die Feiern anlässlich verschiedener Reformationsjubiläen bis zum Ende des Großherzogtums untersucht. Der quellennah gearbeitete Aufsatz führt vor Augen, dass in Baden neben der Feier von Luthers Thesenanschlag 1517 auch Jubiläen der Confessio Augustana 1530, des Augsburger Religionsfriedens 1555, der Einführung der Kirchenordnung 1556 sowie der Badischen Union 1821 begangen wurden. Anhand von Ansprachen, Predigten, Liedern und Programmschriften untersucht Kuhn die Feiern als "Orte protestantischer Inszenierung und Erinnerungskultur" (109) und kommt zu dem Ergebnis, dass die Jubiläumsfeierlichkeiten wesentlich der "evangelischen Selbstbestimmung" (145) dienten.
Beschlossen wird der Tagungsband mit einem Vortrag, einem Grußwort und einer Predigt anlässlich der zentralen Festakte zum 450-jährigen Reformationsjubiläum in Baden.
Neben dem Festgottesdienst, bei dem Landesbischof Ulrich Fischer seine Predigt über Jesaja 50,4-9 mit dem Reformationsjubiläum in Baden verknüpft, schlägt der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber in seinem Beitrag "Kirche der Reformation am Beginn des 21. Jahrhunderts. Eine Ortsbestimmung" einen Bogen über fast 500 Jahre von der Heidelberger Disputation 1518 bis hin zu einer Standortbestimmung des heutigen evangelischen Bekenntnisses in Baden und in Deutschland.
Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch betont in seinem Grußwort die ökumenische Entwicklung der letzten Jahre in Baden und interpretiert das Motto des Reformationsjubiläums "Erinnern und Erneuern", das sich auch in den pastoralen Leitlinien der Erzdiözese Freiburg wiederfinden lässt.
Der Tagungsband stellt einen wichtigen Forschungsbeitrag zur kurpfälzischen und badischen Kirchengeschichte dar. Sämtliche Aufsätze orientieren sich eng am Thema, sie greifen inhaltlich ineinander und vermitteln einen detaillierten Blick auf die Reformationsgeschichte beider Territorien. Der Eindruck eines gelungenen Bandes entsteht dadurch, dass nicht nur neue Forschungsergebnisse präsentiert, sondern auch Desiderata aufgezeigt werden. Der Tagungsband ist als erster Band der "Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte" erschienen, und es wäre zu wünschen, dass die Anregungen zu weiteren Quelleneditionen und deren Auswertung in Fortsetzung dieser Reihe aufgegriffen würden, um das Bild der konfessionellen Auseinandersetzung in der Kurpfalz und in Baden weiter zu schärfen.
Sabine Arend