Johanna Rickman: Love, Lust, and License in Early Modern England. Illicit Sex and the Nobility (= Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot: Ashgate 2008, VIII + 236 S., ISBN 978-0-7546-6135-1, GBP 55,00
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"What happened to noblemen and noblewomen who engaged in extramarital sexual relationships?" (1) Diese klar formulierte Frage steht am Anfang von Johanna Rickmans Studie über außereheliche Sexualität am englischen Königshof der Frühen Neuzeit. Dabei geht es vor allem um die politischen, dynastischen und sozialen Implikationen missliebiger Sexualität, um Ehebruch also insbesondere und um den Umgang mit illegitimem Nachwuchs. Betrachtet werden dabei ausschließlich heterosexuelle Sexualbeziehungen.
Als Quellen werden vor allem Korrespondenzen herangezogen - und zwar sowohl zwischen den Partnern als auch im weiteren Umfeld des Hofes, sofern dieser von dem Verhältnis Kenntnis nahm. Zum Teil betrifft letzteres auch das Nachleben einer Affäre, die erst ex post bekannt wurde. Immer wieder wird dabei ganz explizit die politische Dimension, vor allem in Bezug auf die Königin bzw. den König, thematisiert; vereinzelt tritt auch diese bzw. dieser selbst maßregelnd in Aktion. Das alles macht die Untersuchung sehr lebhaft und spannend zu lesen.
Zwischen Einleitung und Schlussfolgerungen umfasst der eigentliche Analyseteil der Studie drei eingehende Fallstudien, denen zwei solide, aber vergleichsweise farblose Kapitel zur historischen Kontextualisierung vorangehen. Diese beiden Kapitel behandeln den Umgang mit abweichendem Sexualverhalten an den Höfen Elisabeths I. und James I., wodurch bereits deutlich wird: der eigentliche zeitliche Rahmen dieser Studie ist deutlich enger gefasst als es der Titel suggeriert. Die drei Fallbeispiele schließlich spielen sich sämtlich in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, in den Regierungsjahren James I. also, ab, sodass die Frage nach der Notwendigkeit, auch den elisabethanischen Hof in die Betrachtung mit einzubeziehen, zumindest gestellt werden darf. Der Umstand allein, dass alle Protagonisten die Regierungszeit Elisabeths I. noch miterlebt, einzelne auch ihre Karriere an deren Hof begonnen hatten, wäre dafür eine dürftige Begründung. Allerdings entspann sich eine der behandelten drei Geschichten - und das kann als Argument für eine entsprechende Ausweitung des Betrachtungszeitraumes gelten - bereits am Hof Elisabeths, in den 1590er Jahren.
Diese erste Fallstudie betrifft die Affäre zwischen Penelope Rich und Charles Blount, die beide dem elisabethanischen Hof verbunden waren. Penelope war zu Beginn ihrer Affäre mit Charles noch mit Sir Robert Rich verheiratet, von dem sie erst 1605 geschieden werden konnte. Langwierige Auseinandersetzungen gingen dieser, wie Rickman nachzeichnen kann, wohl eigentlich von beiden Ehepartnern gewünschten Scheidung "a mensa et thoro" voraus, die erst möglich wurde durch Penelopes Eingeständnis, Ehebruch begangen zu haben. Charles wiederum anerkannte Penelopes fünf Kinder und bedachte sie in seinem Testament, das schon kurz nach seiner Heirat mit Penelope in Kraft treten sollte, da er bereits 1606 verstarb. Erst dieses Testament war es dann, das den eigentlichen Skandal verursachte.
Gegenüber dieser faszinierenden und dicht rekonstruierten Fallerzählung wirkt die zweite Studie deutlich blasser. Sie betrifft die Beziehung zwischen Mary Wroth und ihrem Cousin William Herbert, der schließlich vom Hof James I. verbannt wurde. Das liegt zum einen daran, dass hier keine ganz neue Geschichte noch einmal aufgewärmt wird: die Affäre des berühmten Earl of Pembroke hat, nicht zuletzt wegen seiner wichtigen Stellung am Hof, seines berühmten Wirkens für die Universität Oxford und seiner engen Beziehung zu Shakespeare, schon häufiger Beachtung gefunden. [1] Zum anderen basiert dieses Kapitel in wesentlichen Teilen auf der Lektüre von Mary Wroths "The Countess of Montgomery's Urania" (1621), das als Selbstzeugnis für die Einstellungen seiner Verfasserin in Bezug auf Sexualität und Weiblichkeit gelesen wird. Dagegen kommt die ursprüngliche Fragestellung, was nämlich die Affäre eigentlich auslöste, reichlich kurz. Mary Wroth selbst spielte zu keiner Zeit eine größere Rolle am Hof, für William bleibt unklar, welchen Stellenwert die außereheliche Beziehung zu seiner Cousine tatsächlich für seine Verbannung spielte. Überzeugend bleibt Rickmans allerdings auch nicht neues Argument, dass vor allem der Einfluss der Sidney-Familie dafür sorgte, dass die Affäre weitgehend verschwiegen wurde.
Während die ersten beiden Fallstudien sich mit Skandalen und inoffiziösen Konflikten beschäftigten, wendet sich die dritte und letzte Case study einem Ehebruchsprozess und dessen Nachwirkungen zu. Auch dieser Prozess spielt sich im Umfeld des jakobinischen Hofes ab. Er entspinnt sich um Frances Villiers, die es zweimal unter höchst dramatischen Umständen schafft, sich einer Bestrafung durch Flucht zu entziehen. Das Ganze gewinnt an zusätzlicher Dramatik, da Frances' Schwager, der Earl of Buckingham, den Prozess gegen sie angestrengt hatte, während ihr Ehemann Robert Howard versuchte, eine Scheidung abzuwenden. Zu Recht wohl sieht Rickman hier Familieninteressen, nicht die Rachegelüste eines gehörten Ehemanns, im Spiel.
Erst auf der allerletzten Seiten wirft Rickman die Idee auf, die Ergebnisse ihrer Untersuchung könnten einen Beitrag zu der von Peter Laslett in die Diskussion eingebrachten "bastardy-prone sub-society" [2] leisten. Mit dieser Idee aber, verlockend wie sie ist, wird der Leser auch unmittelbar wieder allein gelassen: "However, this project requires additional research of the Tudor and Stuart aristocracy on a more local level." (204). Es steht zu hoffen, dass die Verfasserin selbst oder jemand anderes diesen Gedanken noch einmal an anderer Stelle aufgreifen wird.
Insgesamt vermittelt Rickmans gut lesbare und flüssige Studie einige spannende Einsichten in die elisabethanisch-jakobinische Hofkultur, ohne aber neue übergreifende Erkenntnisse wirklich stark machen zu können. Die Rolle der Familie und des sozialen Kapitals, die Funktionalisierung gezielter Skandalisierungen und der Wille zum Nicht-Wissen, solange gewisse Interessen nicht berührt wurden - all das ist im Grunde nichts Neues. Schade auch, dass Rickman ausschließlich englischsprachige Literatur zur Kenntnis genommen hat. Unberührt bleibt davon das Verdienst, weiteres Material erschlossen zu haben für eine Geschichte adeliger Sexualkultur im frühneuzeitlichen England. Aber die muss weiterhin noch geschrieben werden.
Anmerkungen:
[1] Ich nenne nur die monographische Bearbeitung der Episode bei Garry F. Waller: The Sidney Family Romance: Mary Wroth, William Herbert, and the Early Modern Construction of Gender, Detroit 1993.
[2] Peter Laslett: The Bastardy Prone Sub-Society, in: Bastardy and Its Comparative History. Studies in the History of Illegitimacy and Marital Nonconformism in Britain, France, Germany, Sweden, North America, Jamaica and Japan, ed. by Peter Laslett / Karla Oosterveen / Richard M. Smith, Cambridge/Mass. 1990, 217-246.
Hiram Kümper