Martin Scheutz / Andrea Sommerlechner / Herwig Weigl u.a. (Hgg.): Europäisches Spitalwesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband; 51), München: Oldenbourg 2008, 477 S., ISBN 978-3-486-58566-7, EUR 59,80
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Das Hospitalwesen in seinem gesamten Facettenreichtum erfreut sich seit den letzten Jahrzehnten verstärkter Aufmerksamkeit seitens der Forschung. Neben zahlreichen Einzelstudien entstanden bereits mehrere Sammelbände, welche sich verschiedenen thematischen Schwerpunkten wie dem Funktions- und Strukturwandel oder einem institutionellen Vergleich auf Länderebene widmen. [1] So auch der vorliegende Band, der ergänzend zur 2007 erfolgten Veröffentlichung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung über das europäische Spitalwesen [2] konzipiert wurde und dem ein Quellenreader zur Spitalgeschichte im Jahr 2009 nachfolgen soll. Die Gesamtschau der drei Bände versteht sich als "vergleichendes Handbuch der europäischen Spitalsgeschichte" (12), wobei die diesem hohen Anspruch innewohnenden Schwierigkeiten - wie beispielsweise grundsätzliche Fragen nach einer Definierbarkeit des Begriffes "Hospital" oder das Problem von Raum- und Epochengrenzen - seitens der Herausgebenden deutlich benannt werden. Die einzelnen Beiträge sollen daher in erster Linie im Stile eines Überblickes die jeweilige Quellenlage, den Stand der Bearbeitung sowie Forschungsdefizite und auch -probleme darlegen, um die "Voraussetzung für Vergleichbarkeit zu schaffen" (12).
Den Interessen der Forschenden gemäß werden Hospitäler der Regionen England, Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich, Schweiz, Böhmen, Mähren und Ungarn vorgestellt. Wenn man sich ergänzend den im Vorgängerband schwerpunktmäßig behandelten osteuropäischen Raum vergegenwärtigt, treten "weiße Flecken" auf der europäischen Landkarte, wie beispielsweise der gesamte skandinavische Raum und die Iberische Halbinsel, deutlich vor Augen.
Christina Vanja eröffnet den Reigen mit einem Beitrag zu offenen Fragen und Perspektiven der Hospitalgeschichte. Im Hinblick auf das breite institutionelle Spektrum von europäischen Hospitallandschaften habe die Diskussion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede gerade erst begonnen. Interdisziplinarität und Transparenz gemeinsamer Forschung würden auf der Basis weiterer Erschließung und Veröffentlichung von Quellenbeständen bedeutsame Möglichkeiten eröffnen, um die Geschichte institutioneller Fürsorge auf festeren Boden zu stellen. Zu den Forschungsdesideraten zählt Vanja unter anderem den religiösen Charakter von Hospitälern, ihre Einordnung in die medizinische Welt von Mittelalter und Früher Neuzeit, ihren Beitrag zur Ökonomie, ihre Ordnungen, "Gender studies" sowie die Ausbildung von Hospital-Netzwerken.
Im Anschluss an diesen einleitenden Beitrag erfolgt nun in 18 verschiedenen Aufsätzen der im Westen beginnende und im Osten endende Überblick über das europäische Hospitalwesen. In Gegenüberstellung bzw. Aneinanderreihung widmen sich dabei jeweils mehrere Beiträge einer Region für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit. In erster Linie vom institutionengeschichtlichen Aspekt ausgehend, unterliegen die meisten Aufsätze einem Schema, welches zunächst die Gründung und ihre Umstände (Gründer, Stifter und Träger, rechtliche Grundlage, Ausstattung und Finanzierung) darlegt. Es folgen die Zielgruppen der Fürsorge nebst der davon Ausgeschlossenen, die Nennung der Aufnahmekriterien und -modalitäten. Daran anschließend wird die innere Struktur der Hospitäler beleuchtet, wobei sowohl räumliche Unterbringung als auch personelle Versorgung im Fokus stehen, bevor abschließend auf die Beziehung zwischen Öffentlichkeit und Institution eingegangen wird.
In Bezug auf das Gemeinsame der europäischen Hospitäler finden sich durchgängig die meisten Informationen über die Fundationen der jeweiligen Einrichtungen; die Bedeutung dieses Aktes spiegelt sich in der Überlieferungslage der Quellen wider. Die innere Organisation (Leitung der Häuser durch den städtischen Magistrat, Einsatz von Pflegschaften, Spital- und Hausmeister sowie entsprechendem Dienstpersonal) und die Verpflegung der Insassen sind in den meisten Fällen ähnlich dokumentiert. Gleiches gilt für Einschnitte im Hospitalleben, welche durch kriegerische Ereignisse, religiös-politische Strömungen oder Seuchenzüge direkt oder indirekt ihren Niederschlag in den Spitalakten finden. Bezüglich des alltäglichen Lebens der dort untergebrachten Frauen und Männer sind allerdings die wenigsten Informationen vorhanden.
Klar tritt darüber hinaus aus den Beiträgen hervor, dass mit der Klassifizierung von Bedürftigkeit und vor dem Hintergrund eines wachsenden, zentrierten Städtewesens die Ausdifferenzierung verschiedener Hospitalstypen ihren Lauf nahm; sie bildete dennoch eher einen 'Tropfen auf den heißen Stein', da nur ein geringer Anteil der Bevölkerung in diesen Institutionen versorgt werden konnte.
Spezifische Bedeutung für das jeweilige territoriale Hospitalwesen besaßen jedoch beispielsweise die aktive Rolle der französischen Krone sowie 'Anleihen' Frankreichs an der dezidiert katholischen Ausgestaltung des Hospitalwesens in Italien und Spanien als Folge des Trienter Konzils (1545-1563). Dies stellt Daniel Hickey in seinem Beitrag heraus. Petr Svobodný sieht die Hospitallandschaft Böhmens und Mährens in der Frühen Neuzeit einem ständigen Wechselspiel zwischen dem Herrscherhaus, den städtischen Räten und der Kirche ausgesetzt. Judit Majorossy und Katalin Szende stufen im spätmittelalterlichen Ungarn die Bedeutung einer Hospitalstiftung für den Aufstieg eines Dorfes zur Stadt höher ein als die Verleihung von Marktrechten oder die Ansiedlung von Minderbrüdern. Die im Zuge von Freiheitskampf gegen die Türken und antihabsburgischer Bewegung um 1700 auf den Kriegsfeldern Ungarns entstehenden mobilen Lazarette begründeten ein ausgeklügeltes Militärhospitalsystem, so Lilla Krász. Mit sanitären Regeln nach dem Vorbild deutscher Feldärzte ausgestattet, konnten auf diese Weise mehrere tausend Personen versorgt werden.
Für andere Gebiete wie beispielsweise Ober- und Südostdeutschland, (Vorder-)Österreich und die Schweiz scheint es hingegen keine besonderen Eigenheiten in Bezug auf die Ausprägung des jeweiligen Hospitalwesens gegeben zu haben. Die Beiträge von Ludwig Ohngemach, Thomas Just und Herwig Weigl bleiben in dieser Hinsicht sehr an der Oberfläche. So bemerken die Verfasser selbst: "Für strukturierende Vergleiche greift die Materialerfassung [...] nicht tief genug, weshalb der Versuch, die Profile der Region zu erkennen und gegeneinander zu halten, scheitern und letztlich unterbleiben musste und auch die chronologische Entwicklung kaum zum Ausdruck kommt" (150f.).
Für künftige Forschungsansätze zum Hospitalwesen, die neben den nach wie vor erforderlichen Einzeluntersuchungen vor allem vergleichende Regionalstudien und die Auswertung von Quellen hinsichtlich interdisziplinärer Fragestellungen gleichermaßen im Blick haben sollten, bildet der vorliegende Sammelband eine gute Ausgangsbasis. Er stellt (allerdings in unterschiedlicher Qualität) erste territorialspezifische Informationen bereit und liefert auf diese Weise Voraussetzungen, welche die entsprechende Ein- und Zuordnung von Hospitälern erleichtern. Einen Anspruch auf Vollständig- wie Allgemeingültigkeit kann und will der Band allerdings nicht erheben.
Anmerkungen:
[1] Michael Matheus (Hg.): Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europäischen Vergleich, Stuttgart 2005 (Geschichtliche Landeskunde; 56); Gisela Drossbach (Hg.): Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankreich, Deutschland und Italien. Eine vergleichende Geschichte / Hôpitaux au Moyen Âge et aux Temps modernes. France, Allemagne et Italie. Une histoire comparée, München 2007 (Pariser Historische Studien; 75); Neithard Bulst / Karl-Heinz Spiess (Hg.): Sozialgeschichte mittelalterlicher Hospitäler, Ostfildern 2007 (Vorträge und Forschungen; 65).
[2] Europäische Spitäler, in: MIÖG 2007, Bd. 115, Heft 3-4.
Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah