Tanja Michalsky / Felicitas Schmieder / Gisela Engel (Hgg.): Aufsicht - Ansicht - Einsicht. Neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit (= Frankfurter Kulturwissenschaftliche Beiträge; Bd. 3), Berlin: trafo 2009, 412 S., ISBN 978-3-89626-720-7, EUR 28,80
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Jaap Evert Abrahamse / Heidi Deneweth (eds.): Transforming Space. Visible and Invisible Changes in Premodern European Cities, Turnhout: Brepols 2022
Mireille Chazan / Gérard Nauroy: Écrire l'histoire à Metz au Moyen Age. Actes du colloque organisé par l'Université Paul-Verlaine de Metz, 23 - 25 Avril 2009, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Johannes Süßmann / Susanne Scholz / Gisela Engel (Hgg.): Fallstudien. Theorie - Geschichte - Methode, Berlin: trafo 2007
Claus Zittel / Gisela Engel / Romano Nanni et al. (eds.): Philosophies of Technology. Francis Bacon and his Contemporaries, Leiden / Boston: Brill 2008
Gisela Engel / Brita Rang / Susanne Scholz et al. (Hgg.): Konjunkturen der Höflichkeit in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2009
Der vorliegende Band beruht auf den Beiträgen einer Tagung, die 2006 in Frankfurt a.M. stattgefunden und die Übergänge zu einer geometrisch präzisen Kartografie in den Blick genommen hat. Disziplinen und Epochen übergreifend werden traditionelle und innovative, heilsgeschichtlich angelegte und pragmatische, phantastische und abbildende Formen kartografischer Darstellung nicht als gegensätzliche und sich zeitlich ablösende Repräsentationen begriffen, sondern als aufeinander aufbauende und immer wieder ineinander verschränkte Möglichkeiten der Kartierung von Wissen. Unter dieser Prämisse werden Karten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit untersucht, die ganz unterschiedliche Situationen der Aneignung, Erschließung und Vergewisserung von Raum thematisieren. In 16 Aufsätzen, die unter den Begriffen 'Weltbilder', 'Expansion', 'Glaube' und 'Beherrschung des Raumes' subsumiert sind, wird ein breites Spektrum an möglichen Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Techniken von Kartierung und den Austauschbeziehungen zwischen kartografischer und anderen Formen der Wissensvermittlung zwischen dem 12. und 18. Jahrhundert eröffnet.
Günter Klüser, der sich mit der traditionellen chinesischen Kartografie und ihren Techniken befasst, fordert eine Neueinschätzung des überlieferten Materials ein, die den China-Begriff reflektierend nicht nur auf Prunkstücke ausgerichtet ist und sowohl den Traditionen des Kartierens wie auch dem Einfluss von Texten auf kartografische Aufzeichnungen Rechnung trägt. Die Ebstorfer Weltkarte, aufgrund ihres Detailreichtums und ihres Formats eine der bedeutendsten kartografischen Darstellungen des abendländischen Mittelalters, steht im Vordergrund der Überlegungen von Reinhard Krüger, der feststellt, dass diese Mappa Mundi an einem selbstverständlichen zeitgenössischen Wissen um die Kugelgestalt der Erde partizipiert. In seinem Beitrag zur spätmittelalterlichen Reflexion über Seekarten stellt Patrick Gautier Dalché heraus, dass Gelehrte (insbesondere Petrarca, Boccacio und Paolo dell' Abaco) offenbar ein traditionelles Vertrauen in kartografische Darstellungen als wahrhaftige Abbildungen von Raum setzten, sich gleichzeitig jedoch der Überholtheit und Irrtümer dieser Form der Aufzeichnung von Wissen bewusst waren. Laura Federzonis Beitrag gilt den handschriftlichen und gedruckten Rezeptionen der im 14. Jahrhundert ins Lateinische übersetzten Geografie des Claudius Ptolemäus, die zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert nicht allein neue Darstellungsformen entwickeln, sondern mit Änderungen und Aktualisierungen auf das anwachsende geografische Wissen im Gefolge der Entdeckungen reagieren. Dem mit der Erweiterung des Horizonts verbundenen schrankenlosen Weltgefühl des 16. Jahrhunderts geht Bernhard Klein am Beispiel von Christopher Marlowes Tamburlaine-Dramen nach. Er zeigt, dass darin Reden gegen die alte Weltbild-Tradition dazu dienen, der Wut über die Nachhaltigkeit der Verheißung einer räumlich und körperlich definierten und heilsgeschichtlich eingebundenen Gemeinschaft Ausdruck zu verleihen. Im Unterschied zu den Auseinandersetzungen mit globalen kartografischen Entwürfen geht es in den Beiträgen von Jörg Dünne und Christine Roll um die Formen, in denen Räume erkundet und konstituiert wurden. Jörg Dünne beschäftigt sich mit der Frage nach Text und Bild als kombinierter raumbezogener Informationsverarbeitung und zeigt am Beispiel des Códice Valentim Fernandes, wie sehr die Spannung zwischen symbolischen und technischen Formen der Aufzeichnung geografische Texte zu Beginn des 16. Jahrhunderts strukturell prägte. Christine Roll hingegen befasst sich mit der Wahrnehmung Russlands im 18. Jahrhundert, das nunmehr nicht mehr als nord-, sondern als osteuropäisches Land wahrgenommen wird, und erklärt diesen Wandel mit einer Verlagerung der kulturellen Vormachtstellung von Italien in das aufgeklärte Frankreich wie auch mit der Konstituierung eines europäischen Selbstbewusstseins. Religiöse Aspekte frühneuzeitlicher Kartografie sind Gegenstand von zwei weiteren Aufsätzen: Während Axelle Chassagnette lutherischen Prägungen biblischer Kartografie nachgeht und dabei herausstellt, dass diese in ganz unterschiedlichen Kontexten als Mittel der Religionspolitik genutzt wurden, interpretiert Maike Sach Olaus Magnus' Carta Marina von 1539 als Dokument, das Ansprüche der katholischen Kirche gegenüber dem nunmehr in Skandinavien Fuß fassenden Protestantismus fixiert und zur Rückkehr zum Katholizismus aufruft. Unter dem Titel 'Beherrschung des Raumes' beziehungsweise kurz 'Herrschaft' werden schließlich Zugänge zur Kartografie zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert zusammengefasst, die Kartierungen politischer und rechtlicher Entitäten analysieren. Mit dem Beitrag von Uta Kleine wird die Notwendigkeit herausgehoben, die bisher vernachlässigten lokalen Karten des Mittelalters vor dem Hintergrund ihrer Herstellungs- und Gebrauchszusammenhänge zu betrachten. Sie versteht die Texte verräumlichenden Güterpläne des 12. Jahrhunderts im Kontext des allgemeinen Bestrebens um diese Zeit, Denkordnungen abzubilden. Nathalie Bouloux entdeckt italienische Regionalkarten des 14. Jahrhunderts, die sämtlich im städtischen Kontext (Asti, Siena, Florenz) entstanden sind und offensichtlich kartografische Konzeptionen des 13. Jahrhunderts für stadtstaatliche Repräsentationen adaptieren. Der Beitrag von Burghart Schmidt geht von schriftlichen und kartografischen Beschreibungen aus, um frühneuzeitliche Auffassungen von Hamburg als Metropole und städtisches Vorbild zu diskutieren. Christoph Bartels nimmt kartografisches Material zum Montanwesen und die komplizierten Techniken der Vermessung und Aufzeichnung im Bergbau zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in den Blick und zeichnet die zunehmende Spezialisierung und Codierung von Raumrepräsentationen in diesem Kontext nach. Ausgehend von der Beobachtung, dass Grundrissen befestigter Städte eine besondere Bedeutung bei der herrschaftlichen Selbstdarstellung zukommen, arbeitet Marion Hilliges Proportion und Maß als bestimmende Elemente eines frühneuzeitlichen Repräsentationsmodus heraus, der für ein "modernes, geordnetes und nach außen wehrhaftes Gemein- und Staatswesen" steht (366). Die Formensprache frühneuzeitlichen Städtebaus steht auch im Zentrum des Beitrags von Gisela Leisse. Sie untersucht die vermessungs- und konstruktionstechnischen Kenntnisse von Städteplanern und zeigt, dass vor allem die Entwicklung der darstellenden Geometrie die Repräsentation von Städten beeinflusste und sowohl zur Vereinheitlichung von Darstellungstechniken wie auch zu einer Veränderung des Planungs- und Bauprozesses führte. Auf der Basis der Instrumenten-Sammlung des Historischen Museums Frankfurt befasst sich Reinhard Glasemann schließlich mit den konkreten Problemen von Vermessung, Konstruktion und Planung der Frankfurter Befestigungen im 17. Jahrhundert, die durch Wilhelm Dilich und seinen Sohn Johann Wilhelm betreut wurden.
Mit den disziplinär unterschiedlich akzentuierten Vorstößen, neue kulturgeschichtliche Ansätze im Umgang mit Karten auszuloten, werden Schnittstellen definiert, an denen der immer wieder konstruierte Gegensatz zwischen Symbolik und technischer Präzision kartografischer Repräsentation infrage gestellt, die mittelalterliche Prägung frühneuzeitlicher Kartografie zum Vorschein kommt und deutlich wird, wie notwendig es ist, Entstehungs- und Gebrauchskontexte in Betracht zu ziehen, um kartografische Eigenarten erklären zu können. Angesichts der vielfältigen von diesem Band ausgehenden Einsichten und Anstöße erscheint es schade, dass die Qualität der Kartenreproduktionen zum Teil unzureichend ist (vgl. insbesondere Abb. 1, Seite 126 und Karte 1, Seite 235).
Martina Stercken