Rezension über:

Werner Theuer (†) / Arno Polzin: Aktenlandschaft Havemann. Nachlass und Archivbestände zu Robert Havemann in der Robert-Havemann-Gesellschaft und bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin: Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. 2008, 576 S., ISBN 978-3-938857-07-6, EUR 15,00
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Rezension von:
Klaus A. Lankheit
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Klaus A. Lankheit: Rezension von: Werner Theuer (†) / Arno Polzin: Aktenlandschaft Havemann. Nachlass und Archivbestände zu Robert Havemann in der Robert-Havemann-Gesellschaft und bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin: Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 3 [15.03.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/03/15678.html


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Werner Theuer (†) / Arno Polzin: Aktenlandschaft Havemann

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Der Chemiker Robert Havemann war einer der bekanntesten Dissidenten in der DDR. Eigentlich war er ein Vorzeige-Antifaschist, denn seit 1933 bekämpfte er aktiv die nationalsozialistische Herrschaft als Mitglied der Widerstandsgruppe "Neu Beginnen". Seiner Hinrichtung nach dem Todesurteil durch den Volksgerichtshof entging er nur durch seine kriegswichtigen Forschungen.

Nach dem Krieg beteiligte er sich am Aufbau der DDR und arbeitete dabei auch geheimdienstlich mit der Besatzungsmacht und dem Staatsapparat zusammen. Auf seine öffentliche Kritik an der Einmischung der Partei in die wissenschaftliche Forschung 1962 reagierten Partei und Staatsapparat zunehmend repressiv. Spätestens seit 1964 war er geächtet und wurde aus Politik und Gesellschaft systematisch ausgegrenzt. Er solidarisierte sich in der Folgezeit öffentlichkeitswirksam mit anderen Oppositionellen und konnte immer wieder politische Texte im Westen publizieren. Er starb 1982.

Das Bild Havemanns in der Öffentlichkeit nach 1989 hat eine große Bandbreite. Er ist einerseits Vorbild derjenigen, die auf den besseren, menschlichen Sozialismus hoffen, andererseits Feindbild der DDR-Nostalgiker. Zweifellos war er ein bedeutender Intellektueller und ein unabhängiger Geist.

Eine gerechte historisch-kritische Würdigung seines Wirkens und seiner Persönlichkeit auf politischem und wissenschaftlichem Gebiet ist nur auf einer guten Quellengrundlage möglich.

Das 1992 gegründete Robert-Havemann-Archiv hat seinen Nachlass gesammelt, geordnet und der Forschung zugänglich gemacht. Über diese Bestände und zusätzlich über den wichtigsten korrespondierenden Bestand in staatlicher Hand informiert nun das Findbuch "Aktenlandschaft Havemann", eine verdienstvolle Leistung des verstorbenen Archivars Werner Theuer für den Teil in nichtstaatlicher Hand und von Arno Polzin für die Unterlagen bei der BStU.

Schon das Schicksal der Nachlassteile ist ein Stück deutscher Zeitgeschichte. Durch die direkte und indirekte Einwirkung der Repressionsmaßnahmen der DDR musste der Nachlass regelrecht zusammengesucht werden. Der Staatssicherheitsdienst hatte bei mehreren Hausdurchsuchungen Material beschlagnahmt und ungeordnet gelagert, Teile wurden von Havemann und seinen Angehörigen versteckt, um sie diesem Zugriff zu entziehen. Angesichts dieser Erfahrungen muss auch die Entscheidung der Witwe respektiert werden, die Sammlung nicht in staatliche Obhut zu geben.

Die "Aktenlandschaft Havemann" ist, um das Bild der Autoren weiterzuführen, Landkarte und Reiseführer zugleich. Das Findbuch ist in zwei Hauptteile gegliedert. Zunächst wird der persönliche Nachlass Havemanns, geordnet in die Gruppen Korrespondenz, Sachakten aus beruflicher und öffentlicher Tätigkeit, eigene Manuskripte, fremde Manuskripte, Lebensdokumente, von ihm angelegte Materialsammlungen, Publikationen von und über ihn sowie Privatarchive aus dem Familien- und Bekanntenkreis beschrieben. Dokumentationen unter anderem zur juristischen Aufarbeitung des Umgangs der DDR mit Robert Havemann nach 1990 und der Nachweis von Ton- und Filmdokumenten runden diesen Abschnitt ab.

Der zweite Teil gibt eine Übersicht über die bei der Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR überlieferten Akten mit Bezug auf Robert Havemann und seine Ehefrau Katja. Die Verzeichnung richtet sich hier nach der vorgegebenen Ordnung. Mehrere "Operative Vorgänge" bilden den Kern der Überlieferung. Immer wieder frappierend ist der enorme personelle und technische Aufwand, den der Staatsapparat zur Überwachung eines relativ kleinen Personenkreises getrieben hat. Die Verzeichnung beider Teile ist übersichtlich und ausreichend tief. Dem Findbuch sind Konkordanzen, bestandsübergreifende Übersichten und Register beigegeben, die die Orientierung sehr erleichtern. Irritierend ist jedoch die große Menge anonymisierter Kopien der BStU im Havemann-Archiv. Angesichts der räumlichen Nähe der beiden Institutionen gibt es dafür keinen überzeugenden Grund; dies birgt vielmehr die Gefahr, dass Forscher glauben, den Standort BStU nicht berücksichtigen zu müssen.

Das Buch ist ein nützliches Werkzeug, das die Forschungen über die DDR-Opposition nicht nur erleichtern sondern hoffentlich auch anregen wird. Ob ein publiziertes Findbuch in Zeiten online recherchierbarer Datenbanken ein angemessener Aufwand ist, die "Aktenlandschaft" zu beschreiben, ist wohl eine Sache der persönlichen Einstellung, wie eine Entscheidung zwischen gedruckter Landkarte und elektronischem Navigationsgerät.

Klaus A. Lankheit