Rezension über:

Stefan Schröder: Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters; Bd. 11), Berlin: Akademie Verlag 2009, 459 S., ISBN 978-3-05-004534-4, EUR 69,80
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Rezension von:
Wiebke Deimann
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Wiebke Deimann: Rezension von: Stefan Schröder: Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri, Berlin: Akademie Verlag 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 4 [15.04.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/04/17388.html


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Stefan Schröder: Zwischen Christentum und Islam

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Die Reiseberichte von den Jerusalemwallfahrten des Ulmer Dominikaners Felix Fabri (1437/38-1502) gehören zu den interessantesten spätmittelalterlichen Pilgerberichten. Der Mönch unternahm im Jahr 1480 seine erste Wallfahrt nach Jerusalem, war damit jedoch unzufrieden, weil ihm zu wenig Zeit für die Besichtigung der heiligen Stätten geblieben sei und er nicht bis zum Katharinenkloster im Sinai gekommen war. Beides holte er auf seiner zweiten Reise 1483 nach, von der er insgesamt drei Berichte anfertigte. Von herausragender Bedeutung ist dabei aufgrund seines großen Umfangs und seines Detailreichtums das auf Latein für seine Klosterbrüder geschriebene Werk Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem. Daneben steht Fabris in deutscher Sprache für ein Laienpublikum verfasste Eigentliche beschreibung der hin vnd wider farth zuo dem Heyligen Landt. Hinzu kommen die Sionpilger für ein Nonnenkloster und ein gereimtes Pilgerbüchlein über die Erlebnisse seiner ersten Jerusalemreise. [1]

Die vier Berichte, die sich an verschiedene Rezipientenkreise wandten und sich daher in Form, Inhalt, Umfang und Sprache voneinander unterscheiden, bilden eine ungewöhnlich gute Untersuchungsbasis für die Forschung. Diese Voraussetzungen hat sich Stefan Schröder in seiner Kasseler Dissertation von 2007/08 zu Nutze gemacht. Er nähert sich den Reiseberichten mit der Frage nach den "Beschreibungen des Fremden und Anderen" (17). In Übereinstimmung mit der neueren Forschung wird darauf verzichtet, "über die Darstellung auf die subjektive Einstellung des Verfassers und dessen individuelle Persönlichkeit zu schließen" (29). Die Reiseberichte seien vielmehr als für einen bestimmten Leserkreis aufbereitete Texte zu verstehen, nicht als Wiedergabe des unmittelbar Erlebten. Dies lässt sich tatsächlich kaum besser verdeutlichen als an den Reiseberichten Fabris, die zwar aus derselben Feder dieselben Reisen thematisieren, sich jedoch nicht allein durch das Weglassen oder Hinzufügen von Informationen unterscheiden, sondern bisweilen auch Widersprüchlichkeiten und divergierende Einschätzungen aufweisen.

Zwar stehen Fabris Evagatorium und die Eigentliche beschreibung im Zentrum der Analyse, doch geht sie in der Menge der berücksichtigten Quellen darüber hinaus und beschränkt sich auch nicht allein auf die vier Reiseberichte des Ulmer Dominikaners. Denn ergänzend finden Parallelberichte aus demselben Jahr Berücksichtigung sowie weitere Schilderungen von Jerusalemwallfahrten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die als Vergleichstexte zu Fabris Werken hinzugezogen werden. Gleichfalls einbezogen sind ältere Reiseberichte, die ihm als Quellen dienten. Dies ist methodisch sehr sinnvoll und führt zu schärferen Untersuchungsergebnissen, können doch auf diese Weise Besonderheiten und Abhängigkeiten in Fabris Werken herausgearbeitet werden. Die Berichte Fabris und alle weiteren Reisebeschreibungen werden in einem eigenen Abschnitt - "Spätmittelalterliche Jerusalempilger und ihre Berichte" (49-98) - nacheinander vorgestellt, wobei für die meisten von ihnen nicht mehr Raum als eine knappe Seite bleibt. Diese Gliederung ist zweckgerecht, trübt allerdings durch den Auflistungsstil etwas die Lesefreude, bevor man nach 100 Seiten zum eigentlichen Hauptteil der Studie durchgedrungen ist.

Die Ergebnisse seiner Untersuchung präsentiert Stefan Schröder thematisch gegliedert in drei Abschnitten: In "Fremde Städte" (99-197) werden anhand der Beschreibungen Venedigs, Jerusalems und Kairos "Strategien der Fremddarstellung" (187) analysiert. In "Fremde Menschen" (198-311) wird Fabris Darstellungsweise von Venezianern, "Italienern", Muslimen und Juden beleuchtet. Die Ergebnisse laufen in einem Fazit zu den "kulturellen Grenzen bei Felix Fabri" (304) zusammen. Der letzte große Abschnitt hat "Fremde Räume" zum Gegenstand (312-374), namentlich das Mittelmeer, das Heilige Land und Ägypten sowie die Wüste Sinai. Daran schließt sich ein resümierendes Kapitel zu "Raumkonzepte[n] bei Felix Fabri" (370) an. Wenn auch die Aspekte der Fremddarstellung, der kulturellen Grenzen und der Raumkonzepte nicht ausschließlich innerhalb der gewählten Themenbereiche zu finden sind (so könnten beispielsweise auch die Stadtbeschreibungen der Analyse von Konzepten des Raumes dienen), so ist der von Schröder gewählte thematische Aufbau dennoch als gelungen zu werten, da er vergleichbare Motive innerhalb der Berichte nebeneinanderstellt und hierdurch Unterschiede und Parallelen besonders deutlich herausarbeitet. Auf diese Weise treten die unterschiedlichen Abstufungen von Fremdheit klar hervor. Dies sei exemplarisch an einem Ergebnis aus dem Abschnitt über die fremden Räume dargelegt: Der für Felix Fabri nach den von Bernhard Waldenfels aufgestellten Kategorien "strukturell" fremde Raum des Heiligen Landes bleibt für den Reisenden immer noch logisch erfassbar [2], lässt sich insbesondere durch seine Kenntnisse der Heiligen Schrift begreifen und beschreiben (334-337). Die Wüste hingegen erscheint Fabri als ein gegenüber dem Vertrauten gänzlich gegensätzlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfener und unpassierbarer Grenzraum. Sie ist ihm "radikal" fremd (371f.).

Ähnliche Differenzierungen finden sich auch in den anderen Abschnitten, auf die an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Als übergeordnetes Ergebnis seiner in einem angenehm flüssigen Stil verfassten Arbeit konstatiert Schröder, "dass sich [in den untersuchten Reiseberichten] weder eine einheitliche Grenzlinie bestimmen lässt, die das Eigene vom Fremden trennt, noch von einer Dichotomie zwischen einer ausschließlich positiv besetzten Eigenwelt und einer entsprechend negativ bewerteten Fremdwelt ausgegangen werden kann." Vielmehr sei die "Grenze zwischen dem Vertrauten und dem Fremden fließend" (376). Stefan Schröders Monographie liefert einen wichtigen Beitrag zur Erforschung mittelalterlicher Reiseberichte und zeigt erfolgreich, wie sich die Untersuchung von Fremdheitskonzepten in diesen Quellen gewinnbringend umsetzen lässt.


Anmerkungen:

[1] Fratris Felicis Fabri Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem, hg. v. Konrad Dietrich Hassler, 3 Bde., Stuttgart 1843-1849. Eine neue Edition wird derzeit von Folker Reichert (Stuttgart) vorbereitet. Felix Fabri: Eigentliche beschreibung der hin vnd wider Fahrt zu dem Heyligen Land [...], in: Reyßbuch deß heyligen Lands [...], hg. v. Sigmund Feyerabend, Frankfurt am Main 1584, fol. 122v-188r. Felix Fabri: Die Sionpilger, hg. v. Wieland Carls (= Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit; 39), Berlin 1999. Bruder Felix Fabers gereimtes Pilgerbüchlein, hg. v. Anton Birlinger, München 1864.

[2] Bernhard Waldenfels: Phänomenologie des Eigenen und des Fremden, in: Herfried Münkler/Bernd Ladwig (Hgg.): Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit (= Studien und Materialien der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Die Herausforderung durch das Fremde der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften), Berlin 1997, 65-84.

Wiebke Deimann