Rezension über:

Hans-Ludwig Grabowski: Das Geld des Terrors. Geld und Geldersatz in deutschen Konzentrationslagern und Ghettos 1933 bis 1945. Dokumentation und Katalog, basierend auf Belegen der zeitgeschichtlichen Sammlung Wolfgang Haney sowie aus weiteren Sammlungen und Archiven, Regenstauf: Battenberg Gietl Verlag 2008, 456 S., ISBN 978-3-86646-040-9, EUR 39,90
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Rezension von:
Jürgen Zarusky
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Zarusky: Rezension von: Hans-Ludwig Grabowski: Das Geld des Terrors. Geld und Geldersatz in deutschen Konzentrationslagern und Ghettos 1933 bis 1945. Dokumentation und Katalog, basierend auf Belegen der zeitgeschichtlichen Sammlung Wolfgang Haney sowie aus weiteren Sammlungen und Archiven, Regenstauf: Battenberg Gietl Verlag 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 5 [15.05.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/05/18238.html


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Hans-Ludwig Grabowski: Das Geld des Terrors

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Seit 1990 sammelt der pensionierte Ingenieur und passionierte Numismatiker Wolfgang Haney "alles zu KZ und Ghetto". Was ihn antreibt, hat der Journalist Tobias Asmuth in einem Porträt so umrissen: "Es ist die Neugier, die ihn quält, und es sind seine eigenen Erinnerungen an die Zeit, deren schrecklichen Auswurf er sammelt. 'Ich weiß, was ein Pass, ein Bild, eine Nummer im Dritten Reich bedeutet haben. Sie konnten über Leben und Tod entscheiden.' So wie im Winter 1944/45, als Wolfgang Haney in eine Kontrolle am Bahnhof Friedrichstraße gerät und der SS-Mann ihn fragt: 'Was bedeutet das in Ihrem Wehrpass?'
'Aber das sehen Sie doch. Ersatzreserve 2: Nicht zur Verwendung vorgesehen.'
'Warum?'
'Meine Mutter ist Jüdin.'
Der Mann schmeißt das Papier weg und brüllt: 'Du Schwein, du wirst uns auch noch überleben.'
Wolfgang Haney hat damals seinen Pass vom Bürgersteig aufgehoben und sich fest vorgenommen, genau das zu tun: zu überleben." [1]

Haney wurde Tiefbauingenieur und begann als passionierter Numismatiker seit Kindertagen und durch die Geschichte seiner Familie motiviert, nach seiner Pensionierung mit dem Aufbau seiner Spezialsammlung, die zahlreiche Beispiele für das "Geld des Terrors" enthält. Gemeint sind eigene Zahlungsmittel, die in Konzentrationslagern und einigen Ghettos zum Einsatz kamen. Geld war, auch und gerade im KZ, manchmal durchaus überlebenswichtig. Der Numismatik-Fachredakteur Hans-Ludwig Grabowski, der Haneys Sammlung katalogisiert, ausgewertet und die Geldgeschichte von KZ und Ghetto auch anhand weiterer Quellen erschlossen hat, stellt das in seinen Erläuterungen gut fundiert dar. Es gehört zu der für das NS-Regime spezifischen Mischung aus Korrektheit und Brutalität, dass die Eigentumsrechte von KZ-Häftlingen im Prinzip durchaus geachtet wurden. Persönliche Gegenstände wurden registriert und in der Effektenkammer bis zur Entlassung aufbewahrt bzw. bei Verstorbenen den Verwandten ausgehändigt. Geldbeträge wurden erfasst und in einer Art Konto geführt, über das die Gefangenen beschränkt verfügen konnten, zumeist um in den Kantinen der Lager Lebensmittel zu weit überhöhten Preisen zu kaufen. Bis 1941 war ein Betrag von 60 Reichsmark monatlich, danach nur noch die Hälfte genehmigt. Häftlinge konnten auch Überweisungen von ihren Familien empfangen. Und sie konnten Überweisungen an andere Häftlinge tätigen und sich auf diese Weise solidarisch zeigen. Grabowskis Buch enthält ein Faksimile der Buchenwalder Kontokarte des österreichischen Psychoanalytikers Ernst Federn, der als Trotzkist inhaftiert war, das solche Überweisungen an Mitgefangene für das Jahr 1939 belegt (44f.).

Die Achtung der Eigentumsrechte unterlag wie alles im NS-Regime dem Primat der rassistisch-antisemitischen Ideologie. Juden, die in die Vernichtungslager transportiert wurden, wurden ausgeplündert - noch ihre Leichen wurden gefleddert. Und ab 1943 wurde auch das Eigentum von "Russen", d.h. Angehörigen der ostslawischen Völker der Sowjetunion, nach deren Tod im KZ eingezogen.

Eigenes Geld hatte es in schon im 1933/34 bestehenden KZ Oranienburg gegeben. Es diente der Minderung von Fluchtchancen, für die der Besitz von normalem Bargeld natürlich von erheblicher Bedeutung war. Bei den meisten der in Grabowskis Buch beschriebenen und farbig abgebildeten Zahlungsmittel handelt es sich jedoch um die im Mai 1943 für alle Lager eingeführten Prämienscheine. Sie waren Teil des Anreizprogramms, mit dem die SS-Führung nach der Kriegswende von El Alamein und vor allem Stalingrad die Arbeitsleistung der KZ-Häftlinge für die deutsche Rüstungswirtschaft steigern wollte. Dazu gehörten auch neue Verwendungsmöglichkeiten für die Zahlungsmittel wie die erhöhte Zuteilung von Tabakwaren und für "Spitzenkräfte" der Besuch im Lagerbordell "als besondere Belohnung".

Grabowski erläutert und illustriert die Verwaltung von Bargeldbeständen der Gefangenen sowie die Existenz von Lagergeld und Prämienscheinen für die KZs Dachau, Flossenbürg, Groß-Rosen, Herzogenbusch (Vught), Lichtenburg, Mauthausen, Mittelbau (Dora), Natzweiler, Neuengamme, Oranienburg, Ravensbrück, Sachsenhausen, Stutthof und Westerbork, jeweils eingebettet in eine kurze Geschichte der Lager. Auch die durch den Kinofilm "Die Fälscher" von 2007 bekannt gewordene Falschgeldproduktion im KZ Sachsenhausen wird behandelt.

Dass der Teil zu den Ghettos kürzer ist und hier nur Bieslk, Budapest, Litzmannstadt, Sokolka, Theresienstadt und Warschau behandelt werden, liegt in der Natur der Sache. In den meisten der weit über 1000 Ghettos wurde weiterhin die jeweilige Landeswährung benutzt, also zumeist Złoty und Rubel. In den Ghettos in den von NS-Deutschland annektierten Gebieten, im kleinen Bielsk in dem Ostpreußen zugeschlagenen Bezirk Bialystok und vor allem im Ghetto von Litzmannstadt im sogenannten "Warthegau", einem der größten Ghettos, wollten die Nationalsozialisten die Reichsmark nicht als Zahlungsmittel sehen. Während aus Bielsk ganze zwei Scheine "Judengeld" mit der Rechnungseinheit "Rubel" bzw. "Kopeke" bekannt sind, sind die "Rumkis" von Litzmannstadt ein Begriff, der in vielen Berichten von Überlebenden begegnet. Der Begriff leitet sich vom Familiennamen Chaim Rumkowskis, dem "Ältesten der Juden" ab, wie er auf Scheinen und sogar auf eigens für das Ghetto geprägten Münzen als legitimierende Autorität bezeichnet wird.

Im Warschauer Ghetto gab es hingegen kein eigenes Geld, allerdings sollen die Aufständischen vom April und Mai 1943 eigene Zahlungsmittel produziert haben. Die Authentizität eines überlieferten Druckes ist allerdings umstritten. Ein interessantes Stück ist eine Zahlungsbestätigung von 30 Złotych für eine Kontribution von 100 Millionen Złotych, die den Warschauer Bürgern am 2. Februar 1944 auferlegt wurde. Grabowski stellt diese Zahlung in den Zusammenhang mit der Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes, doch ist hier schon wegen des zeitlichen Abstandes und weil den Warschauern bereits 1942 und 1943 (vor dem Ghettoaufstand) ähnliche Zwangszahlungen abverlangt worden waren, ein Fragezeichen anzubringen. Völlig Recht hat der Autor aber, wenn er auch diesen Kontributionsschein in den Komplex "Geld des Terrors" einordnet.

Grabowski hat mit seiner numismatischen Darstellung der Zeitgeschichtsforschung zweifelsohne ein bemerkenswertes Nachschlagewerk zur Verfügung gestellt, das auf einen wenig beleuchteten, aber dennoch wichtigen Aspekt der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik des NS-Regimes verweist. Haneys Sammlung und Grabowskis Erschließungsarbeiten waren darüber hinaus auch in der juristischen Debatte um die Praxis des Ghettorentengesetzes von Bedeutung. Der Autor gehörte zur Gruppe jener Gutachter, die von dem nordrhein-westfälischen Landessozialrichter Jan-Robert von Renesse herangezogen wurden, um zu prüfen, ob die von Rentenversicherern und Sozialgerichten zugrunde gelegten Annahmen über die Arbeits- und Lohnverhältnisse in den Ghettos zutrafen. Wie sich aufgrund von differenzierten historischen, psychologischen und eben auch numismatischen Recherchen zeigte, waren sie das zumeist nicht. Im Juni 2009 wurde das auch vom Bundessozialgericht anerkannt. Zehntausende ablehnende Bescheide werden seither überprüft und häufig revidiert.

Hier zeigte sich, dass die viel beschworene historische Verantwortung Aufmerksamkeit für das Detail verlangt - auch und gerade wenn es ums Geld geht.


Anmerkung:

[1] Tobias Asmuth: Der Mann der die Sterne sammelt, taz Berlin lokal Nr. 7126 vom 09.08.2003, http://www.schoah.org/zeitzeugen/sterne.htm.

Jürgen Zarusky